Grundrecht auf Asyl abschaffen: „Wahlkampfgetöse“ oder längst überfällige Debatte?
„Das individuelle Recht auf Asyl ist im Grundgesetz nicht mehr nötig, weil wir nach den Regeln der Genfer Flüchtlingskonvention ohnehin Menschen, die verfolgt werden, Schutz gewähren.“ Diese Meinung vertritt derzeit Michael Stübgen (CDU), der Landesinnenminister von Brandenburg und aktuelle Vorsitzende der Innenministerkonferenz.
In Brandenburg wird am kommenden Sonntag ein neuer Landtag gewählt.
Stübgens Rechtsauffassung zufolge biete eine Streichung des Individualrechtsanspruchs gemäß Artikel 16a GG (Satz 1: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“) in erster Linie die Möglichkeit, Flüchtlingskontingente einzuführen:
Wir entscheiden dann, wer in unser Land kommt. Und wir können festlegen, in welchem Ausmaß wir Migranten aufnehmen und integrieren können.“
Anstelle des Artikels 16a GG könne „im Grundgesetz die Genfer Flüchtlingskonvention als Institutsgarantie“ verankert werden, schlug Stübgen nach Informationen des „Spiegel“ vor.
„Umfassend das Instrument der Zurückweisungen anwenden“
Der brandenburgische Innenminister unterstütze zudem die Forderung seines Bundesparteichefs Friedrich Merz, wegen der andauernden Belastungen durch die Massenmigration eine „nationale Notlage“ auszurufen: „Dann können wir umfassend das Instrument der Zurückweisungen anwenden.“
Voraussetzung seien allerdings vorherige Gespräche mit den Nachbarländern, betonte der CDU-Politiker.
Stübgen hatte das Thema in einem Gespräch mit dem „Handelsblatt“ (hinter Bezahlschranke) über einen Neustart der deutsch-syrischen Beziehungen angeschnitten. Der Innenminister setzte sich dafür ein, wieder eine Botschaft oder eine ständige Vertretung in Syrien einzurichten, um Abschiebungen zu erleichtern. Vielen anderen europäischen Ländern sei dies auch gelungen. Nun sei es an Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), „ihren Job“ zu machen, forderte Stübgen. Denn Diplomatie bedeute, „auch mit Regierungen zu verhandeln, die die Menschenrechte nicht ernst nehmen“.
Der Bürgerkrieg in Syrien sei jedenfalls „im Wesentlichen vorbei“. Falls Baerbock überzeugt sei, „dass wir nur noch Botschaften in blühenden Rechtsstaaten betreiben sollen, dann können wir 80 Prozent aller Botschaften schließen“, argumentierte Stübgen.
Rechtlich möglich – praktisch fast ohne Relevanz
Rein rechtlich gesehen wäre die Abschaffung des Asylrechts im Grundgesetz möglich. Bundestag und Bundesrat müssten einem entsprechenden Änderungsantrag gemäß Artikel 79 (2) GG lediglich mit einer Zweidrittelmehrheit zustimmen. Das hatte das Bundesverfassungsgericht nach Informationen des Wissenschaftlichen Diensts des Bundestags (PDF) bereits 1996 „ausdrücklich festgestellt“ (BVerfGE 94, 49, 103 f.).
Die Chancen auf eine Zweidrittelmehrheit betrachtet allerdings selbst Stübgen momentan als gering: „Deshalb konzentrieren wir uns jetzt auf das Machbare“, zitiert ihn der „Spiegel“. In der Tat hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) jedweder Änderung des Grundgesetzes zur Bewältigung illegaler Migration schon vor drei Wochen eine Absage erteilt.
An der Asylalltagspraxis würde eine Abschaffung des Grundgesetzartikels ohnehin kaum etwas ändern, wie der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags zu bedenken gab: Unter allen positiven Asylentscheidungen machten nämlich jene, die allein aufgrund des Grundgesetzartikels gewährt würden, nur etwa ein Prozent aus.
„Der Großteil basiert auf europarechtlichen Vorgaben“, stellte der Dienst fest. Ein weiteres Hemmnis bestehe in der Genfer Flüchtlingskonvention, zu deren Befolgung sich auch Deutschland verpflichtet habe.
All das begründe letztlich in jedem Fall einen „Individualanspruch aus Asyl“ auch abseits des Grundgesetzes, wie auch Anuscheh Farahat, Professorin für öffentliches Recht, nach Angaben der „Tagesschau“ festgestellt hatte.
Zudem sei die Regierung in Bezug auf Asyl ja noch an Artikel 1 und Artikel 2 des GG gebunden, schrieb der Wissenschaftliche Dienst. Diese Artikel würden eine Nichtaufnahme oder Abschiebung eines Flüchtlings verhindern, wenn ihm in seiner Heimat oder einem anderen Zielland „konkrete Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit“ drohten.
Kubicki grundsätzlich für Vorschlag offen
Vorsichtige Zustimmung für Stübgens Vorstoß signalisierte im „Handelsblatt“ bereits der FDP-Bundesvize Wolfgang Kubicki. „Ich halte diesen Vorschlag jedenfalls nicht von vornherein für falsch oder indiskutabel“, so der Liberale. Und weiter:
Wenn hiermit sowohl der humanitäre Schutz als auch die Beachtung der staatlichen Kapazitätsgrenzen besser als mit der bisherigen Regelung in Einklang gebracht werden können, wäre dies allemal eine ernsthafte Debatte wert.“
In Bezug auf Syrien nannte es Kubicki „infantil“, zu glauben, „dass wir unsere Interessen im Ausland angemessen vertreten können, indem wir ausschließlich mit demokratischen Staaten reden“. Er selbst würde allerdings zuerst versuchen, „mit den Autoritäten im kurdisch kontrollierten Nordosten Syriens“ zu reden, bevor er sich an den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad wenden würde.
Lang: „Wahlkampfgetöse“
Ricarda Lang, die Co-Vorsitzende der Grünen auf Bundesebene, erklärte dagegen auf ntv, sie sei
ehrlich gesagt schockiert, wie viele gerade bereit sind, grundgesetzlich verankerte Garantien zu opfern für ein bisschen Wahlkampfgetöse.“
Die Grünen würden das individuelle Recht auf Asyl dagegen stets verteidigen. Insofern sei es wichtig, dass ihre Partei auch nach dem Wahlsonntag im Brandenburger Landtag vertreten sei. Denn nur mit den Grünen werde es „eine Regierung ohne Populisten, ohne Putin-Freunde geben“, so Lang unter Verweis auf das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW).
Auch Ihr Co-Vorsitzender Omid Nouripour hatte sich gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe entsetzt über den aktuellen Migrationsdiskurs im Allgemeinen und über den gescheiterten Asylgipfel im Besonderen gezeigt. Nach Informationen der „Tagesschau“ erklärte Nouripour: „Wir sind immer noch bereit, über vernünftige Vorschläge der Union zu sprechen. Leider haben wir bisher keine gehört.“
Er halte es für „unanständig“, welche „Zwischentöne“ selbst aus dem „demokratischen Lager“ zu vernehmen seien. Diese erinnerten ihn „an manches rechtsextreme Plakat aus den 1990ern“: „Alle Afghanen raus, alle Syrer raus.“
Die AfD reagierte auf ihrem X-Kanal mit Häme auf Stübgens Vorschlag: „So kennt man die #CDU: Innenminister Stübgen kommt in #Brandenburg kurz vor der Wahl auf die Idee, das Asylrecht abzuschaffen. Gleichzeitig wird die Anzahl der Asylbewerber in Kleinstädten wie Bad Saarow verdoppelt. Wer #CDU wählt, bekommt Grün.“
Keine ganz neue Idee
Stübgens Vorschlag zur Abschaffung von Artikel 16a GG ist im Übrigen nicht ganz neu. Erst vor wenigen Wochen hatte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) im „Deutschlandfunk“ das individuelle Grundrecht auf Asyl als „nicht mehr zeitgemäß“ bezeichnet.
Schon im Juli 2023 hatte Thorsten Frei, der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, angeregt, das individuelle Asylrecht abzuschaffen und Aufnahmekontingente einzuführen.
Frei war zuletzt als Unterhändler für die Union in den Migrationsgipfel von Bundeskabinett und Vertretern der Ministerpräsidentenkonferenz entsandt worden. Am 10. September 2024 aber hatte Frei die Asylgespräche abgebrochen, als sich abgezeichnet hatte, dass Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) den Unionsforderungen nach Zurückweisungen sogenannter Dublin-Flüchtlinge an den deutschen Grenzen nicht vollständig nachkommen würde.
Erst vor wenigen Tagen hatte der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Alexander Throm (CDU), einen gänzlich anderen Ansatz in der Migrationspolitik vorgeschlagen: Jene Leistungen, die Deutschland an ausreisewillige Ausländer verteile, sollten zumindest für eine Weile deutlich aufgestockt werden. Das verursache unterm Strich weniger Kosten „als ein aufwendiger von der Bundespolizei begleiteter Abschiebeflug oder die weitere Zahlung von Sozialleistungen“, meinte Throm.
Landtagswahl in Brandenburg
Am kommenden Sonntag, 22. September, wird in Brandenburg ein neuer Landtag gewählt. Der jüngsten Forschungsgruppe Wahlen zufolge führt die AfD mit 28,0 Prozent knapp vor der seit Jahrzehnten dominierenden SPD (27,0 Prozent).
Dahinter rangieren die CDU (14,0 Prozent) und das BSW (13,0). Die Grünen müssen bei ihrem augenblicklichen Vier-Prozent-Zweitstimmenanteil auf Direktmandate hoffen. Das Gleiche gilt für die übrigen Parteien, die die Fünf-Prozent-Hürde in der Umfrage nicht geknackt hatten.
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion