Grüne Entscheidung birgt große Risiken
Anfang der Woche gab es bei den Grünen in Thüringen ein großes Stühlerücken. Zwei Minister verlassen die Landesregierung unter Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) – die Nachfolger stehen schon fest. Ob es allerdings ein kluger Schachzug der Grünen ist, eineinhalb Jahre vor der Landtagswahl auf neue, völlig unbekannte Gesichter zu setzen, bleibt abzuwarten. Die Art und Weise, wie die eigene Partei den bisherigen Minister für Migration und Justiz, Dirk Adams, abserviert hat, lässt auch Fragen in der eigenen Partei zurück. Was war passiert?
Art des Abgangs offenbart Brutalität des Politikbetriebs
Am vergangenen Montagvormittag machte Dirk Adams über die Plattform Twitter öffentlich, dass die Landessprecher Ann-Sophie Bohm und Bernhard Stengele ihn aufgefordert hätten, seinen Rücktritt als Minister zu erklären. Adams lehnte diesen Rücktritt aber ab. Wörtlich schrieb er: „In der derzeitigen Situation kann ich, aus Verantwortung gegenüber meinem Ministerium, dieser Aufforderung nicht nachkommen“. Er werde nur eine Entlassung durch den Linken-Ministerpräsidenten Bodo Ramelow akzeptieren.
Diese Entlassung kam wenig später. Bodo Ramelow übergab die Entlassungsurkunde dem scheidenden Minister persönlich. Die Grünen-Chefs hatten darum gebeten, dass der Ministerpräsident den Grünen-Minister entlässt. Es war ein unfreiwilliger Abgang, der zeigt, wie hart Politik manchmal sein kann.
Umweltministerin Anja Siegesmund (Grüne) wird vorerst die Geschäfte Adams weiterführen. Auch Siegesmund ist Ministerin auf Abruf. Sie hatte im Dezember ihren freiwilligen Rücktritt zum 31.01. 2023 aus persönlichen Gründen angekündigt. Auch von ihrem Posten als stellvertretende Ministerpräsidentin und Mitglied des Bundesrates wird sie sich dann zurückziehen.
Im Dezember überraschend Rückzug angekündigt
In Thüringen ist Siegesmund das bekannteste Gesicht der Grünen. Daher wird ihr Rückzug Auswirkungen auf die Partei haben, für die die Ankündigung der Umweltministerin überraschend kam. „Es wäre natürlich besser gewesen, wenn wir früher vom Rückzug von Anja Siegesmund erfahren hätten, aber jetzt sind wir handlungsfähig und für die Zukunft gut aufgestellt“, sagte Astrid Rothe-Beinlich, die Grünen-Fraktionsvorsitzende im Landtag, damals dem „Tagesspiegel“.
Die Grünen haben ein Problem damit, ihr Spitzenpersonal im Land bekannt zu machen. Bekanntheit ist aber eine entscheidende Währung in der Politik. Anja Siegesmund konnte zwar zuletzt auf eine steigende Bekanntheit verweisen, allerdings gab es im Sommer 2022 eine Umfrage, bei der nicht mal zwei von drei Thüringern die Umweltministerin kannten. Nur jeder Vierte war mit der Arbeit der Ministerin zufrieden. Das schlägt sich bis heute bei den Grünen in Thüringen durch: Vom Höhenflug der Bundespartei konnten sie nie profitieren. Die letzte Umfrage zur Landtagswahl aus dem November letzten Jahres sah die Grünen bei sieben Prozent stehen.
Nachfolger weitestgehend unbekannt
Die designierten Nachfolger von Siegesmund und Adams wurden schon am Montagnachmittag vorgestellt. Landeschef Stengele soll neuer Umweltminister werden. Migrationsministerin soll die Polizistin Doreen Denstädt werden. Dem vergleichsweise populären Duo Siegesmund und Adams können sie aber nicht das Wasser reichen. Zum jetzigen Zeitpunkt kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Entscheidung vom vergangenen Montag die Partei um den Wiedereinzug in den Landtag bringen könnte.
Beide sind im Land bisher fast unbekannt. Gut eineinhalb Jahre vor der Landtagswahl ist das riskant. Bis bestenfalls Mitte 2024 haben beide Zeit, sich im Land bekannt zu machen. Das ist nicht viel, wenn man bedenkt, dass ihre Vorgänger nur leidlich bekannt waren, obwohl sie viel länger auf der politischen Bühne standen.
Ein weiteres Problem dürfte sein, dass beiden bisher jegliche Erfahrung im Parlaments- und Regierungsbetrieb fehlt. Einen Akzeptanzvorschuss dürfte es daher in den Ministerien nicht geben. Die Einarbeitung Stengeles und Denstädts dürfte Monate dauern. Diese Zeit haben aber im Moment weder das Land noch die Grünen.
Landesregierung ohne eigene Mehrheit
Die Situation im Landtag ist schwierig. Aktuell sind dort fünf Fraktionen vertreten. Dazu kommen noch fraktionslose Abgeordnete, die damals über das Ticket der AfD beziehungsweise der FDP in den Landtag eingezogen sind.
Die Landesregierung aus Linke, SPD und Grüne verfügt über keine eigene Mehrheit im Landtag. Ihnen fehlen vier Stimmen. Möchte sie Beschlüsse durchsetzen, muss sie sich nach Partnern in der Opposition umschauen. Eine ursprünglich für den Herbst 2021 vorgesehene Landtagswahl kam nicht zustande, da sich die Parteien in Erfurt darüber heillos zerstritten hatten. Die CDU kündigte als Reaktion damals den sogenannten Stabilitätspakt auf, der die Minderheitsregierung des linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow im Amt gehalten hatte. Seitdem ist das Regieren in Thüringen nicht leichter geworden.
AfD bei Umfragen stärkste Kraft im Land
Die letzten Umfragen sehen die AfD mit zuletzt 26 Prozent als stärkste Partei im Land. Die regierenden Linken mussten mit ansehen, wie die Partei unter Partei- und Fraktionschef Björn Höcke an ihnen vorbeizog.
Ob die FDP, die bei Umfragen nicht mehr als fünf Prozent erreicht, und die Grünen im neuen Landtag vertreten sein werden, ist nicht sicher. Das Parlament bestünde dann aus nur vier Parteien. Das hat Auswirkungen auf die Verteilung der Stimmen und die Zusammensetzung des Landtages. An die AfD könnte dann mehr als ein Drittel der Sitze gehen: Als stärkste Kraft im Landtag hätte die Partei Anspruch auf den Posten des Landtagspräsidenten.
Die anderen Parteien Linke, SPD und CDU hätten dann zusammen keine Zwei-Drittel-Mehrheit mehr. Ohne Zustimmung der AfD wäre keine Verfassungsänderung möglich. Mag die Minister-Rochade der Grünen also im Moment noch keine gravierenden Auswirkungen haben, könnte sich nach der Landtagswahl 2024 zeigen, ob die Entscheidung tatsächlich Schaden angerichtet hat.
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