Gewalt gegen Politiker unter Verdacht einer Täter-Opfer-Umkehr

Nach dem Überfall auf einen SPD-Politiker empören sich Teile der etablierten Politik und Medien über eine angeblich von der AfD geschürten Gewaltbereitschaft. Wie passt das damit zusammen, dass AfD-Politiker am häufigsten von politischer Gewalt betroffen sind? Eine Analyse.
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Vor einem AfD-Büro im sächsischen Döbeln gab es eine Explosion.Foto: Sebastian Willnow/dpa
Von 13. Mai 2024

Zunächst erstaunt eine Antwort auf eine Anfrage von Epoch Times bei der AfD, die ergab, dass die Partei selbst keine eigene Statistik darüber führt, wie viele Parteimitglieder wann Gewalt gegen sich selbst oder als Sachbeschädigung gegen ihre Büros, Fahrzeuge oder Wohnungen erfahren haben.

In einem Hintergrundgespräch mit Epoch Times heißt es zudem, dass sich die AfD-Parteiführung sogar explizit damit zurückhält, solche Übergriffe gegen Mitglieder medial zu verbreiten. Es heißt, immer dann, wenn man das getan habe, zögen sich an der Basis wieder Mitglieder aus der Parteiarbeit zurück.

Die Ampelparteien sehen diesen Kommunikationskonflikt für sich nicht. Als zuletzt der SPD-Europapolitiker Matthias Ecke beim Plakatekleben überfallen und krankenhausreif geschlagen und als Berlins Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) von einem psychisch gestörten Rentner (74) von hinten angegriffen wurde, nahmen die etablierte Politik und die Medien diese Gewalttaten zum Anlass für eine Kampagne gegen die AfD. Der „Deutschlandfunk“ zitiert zwei Soziologen, für die ein „aufgeheizter, nach rechts verschobener Diskurs“ Ursache sei für zunehmende Gewalt gegen Politiker.

Im Fahrwasser dieser Debatte wurden auch Fälle passiver Gewalt gegen grüne Spitzenpolitiker von Politik und Medien verhandelt: Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) wurde knapp eine Stunde lang daran gehindert, eine Parteiveranstaltung in Brandenburg zu verlassen, ihr Fahrzeug wurde blockiert. Im baden-württembergischen Biberach wurde der politische Aschermittwoch abgesagt wegen zu befürchtender massiver Proteste der Bauern. Und zur medialen Wiedervorlage kam auch eine Blockade gegen den grünen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, als der im Januar dieses Jahres in Nordfriesland eine Fähre zunächst nicht verlassen konnte.

Habeck: Diese Angriffe gehen uns alle an

Bundeswirtschaftsminister Habeck, der sich zuletzt über den X-Account des Ministeriums immer wieder mit kurzen Clips an die Bevölkerung gewandt hatte, meldete sich nach dem Überfall gegen SPD-Politiker Ecke mit einem Statement zu Wort.

Habeck erklärte, in jüngster Zeit seien immer häufiger Politikerinnen und Politiker Opfer von Angriffen geworden. Besagtes Video wurde auch deshalb in den sozialen Medien vielfach kritisiert, weil AfD-Politiker solche Angriffe nicht erst „in jüngster Zeit“ erlebten, sondern seit Jahren davon betroffen seien. Der Minister betont in seiner kurzen Ansprache, dass diese Angriffe uns alle angingen. Denn es seien Angriffe auf die Rede- und Meinungsfreiheit in diesem Land:

„Diese Angriffe, sie fordern unseren entschiedenen Widerspruch, unseren entschiedenen Widerstand, die Solidarität mit allen Angegriffenen.“

Es waren vor allem AfD-Politiker und während der Corona-Jahre zudem nicht wenige Corona-Maßnahmen- und Impfkritiker, die eine Beschneidung ihrer Rede- und Meinungsfreiheit beklagten. Es waren oppositionelle Demonstranten, die sich regelmäßig vom Straßenrand aus von Linksextremisten der Antifa bedroht und sich dort mit „Wir impfen euch alle“-Ansagen konfrontiert sahen.

Diese Übergriffe meinte Robert Habeck offenbar in seiner Rede nicht, wenn er weiter ausführte, dass diese Angriffe, „Ausdruck einer Verrohung der politischen Debatte“ seien, einer „Grenzüberschreitung in den sozialen Medien, wo inzwischen Gewaltphantasien und Gewaltaufrufe hemmungslos gepostet werden“.

„Mit Gewalt Angst erzeugen“

Satzweise und Wort für Wort könnte Habecks Empörung auch jene der AfD sein, die schon seit Jahren betroffen ist. Für AfD-Politiker eine Art Täter-Opfer-Umkehr. Aber auch hier dasselbe Phänomen auf beiden Seiten: Die taz schrieb nach dem Überfall auf den Sozialdemokraten Ecke:

„Mit einer Täter-Opfer-Umkehr reagierte die AfD auf den brutalen Angriff in Dresden gegen den SPD-Europaabgeordneten Matthias Ecke. […] Einschüchterung, mit Gewalt Angst erzeugen, gehört zum Repertoire der AfD. Die Angriffe gehen alle an, denen Demokratie etwas bedeutet.“

Fakt bleibt allerdings, dass die AfD in der Vergangenheit Hauptangriffsziel politisch motivierter Gewalt war. Im Herbst 2023 ergab eine Kleine Anfrage der AfD-Fraktion, dass die AfD 2023 – und das sind nur die aktenkundigen Fälle – mit 86 Gewaltdelikten gegen ihre Politiker die mit Abstand am häufigsten betroffene Partei war, gefolgt von den Grünen mit 62 Delikten gegen Vertreter ihrer Partei.

Statistiken mit solchen Ergebnissen in Richtung AfD sind zudem keine neuen Erkenntnisse. So beantwortete im Frühjahr 2020 die bayerische Landesregierung eine Anfrage eines AfD-Abgeordneten dahingehend, dass die AfD besonders häufig von Gewaltdelikten betroffen sei.

Neben Habeck meldete sich mit Cem Özdemir ein weiterer Minister der Ampelregierung via X zu Wort. Der Landwirtschaftsminister reagierte mit seinem Aufruf explizit auf Überfälle gegen AfD-Politiker in Stuttgart:

„Nochmal: Gewalt und solche Angriffe haben in unserer Demokratie nichts verloren – völlig egal, gegen wen sie sich richten. Politische Auseinandersetzung ja, aber in der Debatte. Gute Besserung den beiden Verletzten.“

„Eine maximal verlogene Debatte“

Der viel gelesene X-Influencer, Blogger und Journalist Henning Rosenbusch kommentierte die Debatte ebenfalls:

„Eine maximal verlogene Debatte, so wie sie gerade geführt wird. Aber das ist ja mittlerweile eher die Regel als die Ausnahme.“

So eindeutig wie es der Wirtschaftsminister in seiner Videobotschaft beschreibt, will es in dieser Debatte auch der „Spiegel“ nicht sehen, der ein gesamtgesellschaftliches Problem identifiziert:

„Reflexhaft wird die AfD für die Übergriffe auf Politiker beschuldigt – obwohl ihre Vertreter seit Jahren stärker als SPD und Grüne von Gewalt betroffen sind. Das Problem geht tiefer: Die Kommunikation in unserem Land ist gestört.“

Beispiele von Übergriffen gegen AfD-Politiker – so sie von der AfD überhaupt bekannt gemacht werden – werden medial kaum beachtet. So ist beispielsweise der wie Matthias Ecke in Sachsen politisch tätige AfD-Stadtrat Marius Beyer schon mehrfach Opfer linksextremistischer Gewalt geworden.

Der AfD-Fraktionsvorsitzende Jörg Urban erklärte dazu schon Anfang 2023:

„Linksextremisten scheinen in Sachsen Narrenfreiheit zu haben. Wo bleibt der Aufschrei in der Landespolitik? CDU-Innenminister Armin Schuster ist es offenbar egal, wenn militante Gruppen AfD-Politiker jagen und verprügeln.“

Die Rolle der Öffentlich-Rechtlichen

Die „Bild“ beschwert sich über eine verzerrte Darstellung der Öffentlich-Rechtlichen und titelt: „ARD verzerrt Gewaltstatistik über AfD“. Aber auch RTL beteilige sich an dem Framing:

„In mehreren großen Medien wurde erklärt, dass Grünen-Mitglieder am häufigsten Opfer von Angriffen werden. Darunter bei ‚RTL Aktuell‘, im ARD-Online-Angebot ‚DIE DA OBEN!‘ und auch am Sonntagabend in der ARD-Talkshow von Caren Miosga.“

Die „Bild“ recherchierte hier, dass die Grünen offenbar deutlich häufiger Beleidigungen und Beschimpfungen – sogenannte „Äußerungsdelikte“ – zur Anzeige brächten. Bei Sachbeschädigungen und Körperverletzung sind AfD-Politiker am häufigsten betroffen. Das Fazit der Zeitung ist eindeutig, ARD suggeriere hier, dass Grüne häufig Ziel und Opfer von Angriffen seien. Dies sei aber zumindest missverständlich und unterscheidet nicht zwischen der Art der Angriffe.

Zu den vielen Merkwürdigkeiten gehört ebenfalls, dass seit Beginn der Debatte um Gewalt gegen Politiker und Andersdenkende die sogenannte „Hammerbande“ kaum Erwähnung in der Debatte findet; Mitglieder einer linksextremistischen Terrorgruppe beziehungsweise einer kriminellen Vereinigung, die es sich zum Ziel gemacht hat, den politischen Gegner mittels schwerer Körperverletzung zur Aufgabe seiner politischen Betätigung zu zwingen.



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