Gesundes Selbstvertrauen oder Fehleinschätzung? Scholz denkt nicht an Rücktritt

Wegen der historisch schlechten Umfragewerte wächst der Druck auf Bundeskanzler Scholz und die gesamte Ampel: Insbesondere in der Migrationspolitik wünschen sich viele Menschen Veränderungen. Die Vertrauensfrage will der Kanzler aber nicht stellen. Im Gegenteil rechnet er 2025 mit einer zweiten Amtszeit.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zeigt sich in der Migrationsdebatte kompromissbereit.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im ZDF-„Sommerinterview“: Kein Gedanke an einen Rücktritt – obwohl einer Umfrage zufolge niemand mehr die Ampelregierung will.Foto: Thomas Kierok/ZDF/dpa
Von 9. September 2024

Die Umfragewerte im Keller, immer mehr kritische Töne auch von regierungsnahen Medien, eine Lösung der Asyl- oder Wirtschaftsprobleme nicht wirklich in Sicht: Der Ampelregierung und besonders Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) weht in diesen frühen Septembertagen nach Solingen, Sachsen und Thüringen ein eisiger Wind entgegen.

Das Nachrichtenmagazin „Focus“ schreibt dem Regierungschef eine seltene „Selbstverliebtheit“ zu. Das Boulevardblatt „Bild“ sieht „Klatschen in Serie“. Das Nachrichtenportal „t-online“ traut dem Kanzler angesichts der „Überhitzung in der Ampelkoalition“ nicht mehr zu, willens oder fähig zu sein, das Ruder noch herumzureißen: „Was die Ampel noch zusammenhält, ist das Wissen, dass ein Koalitionsbruch und vorzeitige Neuwahlen für alle drei desaströs ausgehen würden“, schreibt „t-online“-Kommentatorin Heike Vowinkel.

Vowinkel bezieht sich wie der „Focus“ und die „Bild“, insbesondere auf zwei aktuelle Publikationen des ZDF, nämlich das „Sommerinterview“ und das repräsentative „Politbarometer“. Für Letzteres hatte das ZDF wieder einmal die Dienste der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen in Anspruch genommen.

Laut ZDF-„Politbarometer“ fanden gut sieben von zehn (71 Prozent) der zwischen dem 3. und 5. September 1.328 zufällig ausgewählten Wahlberechtigten, dass die Ampelregierung ihre Arbeit eher schlecht mache. Nur noch 25 Prozent glaubten, dass die Bundesregierung eher gut agiere. Kein einziger Befragter aber wünsche sich mehr eine Fortführung der rot-grün-gelben Koalition nach der Bundestagswahl am 28. September 2025.

Union alleine wäre stärker als gesamte Ampel – AfD beliebter als SPD

Bei der Sonntagsfrage erzielte die SPD nach dem ZDF-„Politbarometer“ 15 Prozent, die Union mehr als doppelt so viel (33 Prozent). Der AfD würden zwei Prozentpunkte mehr ihre Stimme geben (17 Prozent) als der Kanzlerpartei. Die Stimmen für die Grünen (elf Prozent) und die FDP (vier Prozent) eingerechnet, käme die Ampel noch auf 30 Prozent. Eine INSA-Umfrage maß für die Ampel nur 29 Prozent.

Direkt bezogen auf den Kanzler, meinen laut ZDF-„Politbarometer“ nur noch 17 Prozent, dass der gebürtige Osnabrücker sich durchsetzen könne. Mehr als drei Viertel (77 Prozent) glauben das nicht mehr. Ein Wert so schlecht „wie noch nie“, heißt es beim ZDF.

Mit 65 Prozent sind beinahe zwei Drittel aller Befragten überzeugt, dass Scholz seine Arbeit schlecht erledigt, lediglich 32 Prozent vertreten die gegenteilige Auffassung.

Eine zweite Kandidatur von Scholz im Herbst 2025 halten sogar 74 Prozent aller Befragten für falsch, und selbst unter den SPD-Wählern sieht das fast jeder Zweite (49 Prozent) genauso. Lediglich 23 Prozent aller Wähler fänden eine weitere Amtszeit für Scholz in Ordnung – sechs Prozentpunkte weniger als vor vier Wochen.

Kanzler und Partei zum Weitermachen entschlossen

Forderungen nach der Vertrauensfrage, die ein vorzeitiges Ende der Legislatur und Neuwahlen bedeuten könnte, begegnete Scholz im ZDF-„Sommerinterview“ am 8. September 2024 lächelnd mit dem Konter, es handele sich bloß um „ein kleines Oppositionsideechen“, das alle drei Wochen auftauche. Seine Regierung habe unter anderem die Gasmangellage und die „Inflationsanpassungskrise“ bewältigt, die Verteidigung mit dem Bundeswehr-Sondervermögen gestärkt und „Weichen gestellt, damit es eine gute ökonomische Zukunft gibt“. „Es sollten ab und zu auch Fakten zählen“, mahnte der Kanzler.

Zuvor hatte sich schon die SPD-Parteispitze für eine zweite Kandidatur von Scholz starkgemacht. Er sei „froh, dass Olaf Scholz unser Bundeskanzler ist“, bestätigte der Ko-Parteivorsitzende Lars Klingbeil erst vor wenigen Tagen. Scholz durch den mit Abstand beliebtesten SPD-Bundesminister Boris Pistorius zu ersetzen, halte er für nicht angebracht. „Wir müssen uns Vertrauen bei den Bürgerinnen und Bürgern zurück erkämpfen“, so Klingbeil. Dazu müssten nun vordringlich das Rentenpaket II, höhere Löhne und geringere Stromkosten kommen.

Auch Klingbeils Co-Chefin Saskia Esken hatte im ZDF ihre Loyalität zu Scholz bekannt: „Scholz bleibt Kanzler – und ist selbstverständlich auch Kanzlerkandidat.“

Derart gestärkt, lobte der Kanzler seine Partei im ZDF-„Sommerinterview“ als „kampferprobte Partei“. Er selbst wolle dafür kämpfen, dass die SPD bei der Bundestagswahl 2025 „ein starkes Mandat“ bekomme. Das sei schließlich schon 2021 „geschafft“ worden.

Der Glaube an eine zweite Amtszeit des Kanzlers erinnert „t-online“-Kommentatorin Heike Vowinkel an die letzten Tage des US-Präsidenten Joe Biden vor dessen Rückzug zugunsten von Kamala Harris: „Auch wenn der Kanzler es noch nicht wahrhaben will: Für ihn hat wohl der Herbst begonnen“. Als möglichen Nachfolger sieht Vowinkel Verteidigungsminister Pistorius: Ihm werde laut ZDF-Politbarometer wohl „mehr Führungsstärke zugetraut“. Scholz rangiert nur auf Platz sieben.

Doch Scholz selbst scheint sich nicht daran zu stören: „Die Regierung hat eine Mehrheit, und sie hat eine Mehrheit, die Aufgaben zu tun, um die es jetzt geht“, stellte er im ZDF-„Sommerinterview“ klar. Konkret verwies er auf das anstehende Rentenpaket II, die weiter unbedingte Unterstützung der Ukraine und die Sicherheitslage.

Scholz: „Ich habe die größte Wende im Umgang mit Migration zustande gebracht“

Dem ZDF-„Politbarometer“ zufolge vertrauen 71 Prozent der Wähler nicht mehr darauf, dass Deutschland den Massenandrang ins eigene Land noch verkraften kann. Im März 2024 seien lediglich 55 Prozent dieser Meinung gewesen. Doch Scholz ist offenbar überzeugt, dass andere als er nicht genug getan hätten:

„Ich habe die größte Wende im Umgang mit Migration zustande gebracht in der Geschichte der letzten zehn, 20 Jahre“, reklamierte Scholz, „wir haben dafür gesorgt, dass jahrzehntelang nicht durchsetzbare Entscheidungen durchgesetzt worden sind, was die Frage betrifft des Managements der irregulären Migration.“

Doch diese „Wende“ scheint spätestens seit dem Messerattentat von Solingen nicht nur den Oppositionsparteien, sondern auch der FDP nicht mehr auszureichen. Dazu der Kanzler im ZDF:

Wir haben schon Zurückweisungen an der Grenze, wir haben schon Grenzkontrollen, und ein effektives Grenzmanagement ist etwas, was wir gerne weiter mit Unterstützung der Opposition ausbauen wollen.“

Merz hatte der Ampel vergangene Woche ein Ultimatum gestellt: Beim zweiten Teil des „Migrationsgipfels“ von Vertretern der Regierung, der Länder und der Union am Dienstag, 10. September, soll die Ampel eine „verbindliche Erklärung“ über Grenzkontrollen und Zurückweisungen geben – andernfalls werde er die Verhandlungen abbrechen, erklärte Merz. Unions-Fraktionsvize Jens Spahn (CDU) bekräftigte in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ das Ultimatum seines Parteivorsitzenden: Die CDU stehe „für Placebo-Maßnahmen nicht zur Verfügung“.

Ukraine-Krieg: Scholz will über Wege zum Frieden diskutieren

Beim Thema Ukraine gab sich Scholz im ZDF-„Sommerinterview“ moderater als in den vergangenen zweieinhalb Jahren:

Ich glaube, das ist jetzt der Moment, in dem man auch darüber diskutieren muss, wie wir aus dieser Kriegssituation doch zügiger zu einem Frieden kommen, als das gegenwärtig den Eindruck macht.“

Er wolle mit seinem „besonnenen Kurs“ weiter machen. Inzwischen sei er sich auch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj darüber einig, dass beim nächsten „Gipfel über den Frieden“ auch russische Vertreter anwesend sein sollten. Sein jüngstes Gespräch mit ihm sei „vertrauenswürdig“ gewesen. Dass die Ukraine möglicherweise mit der Zerstörung der Nord Stream-Gaspipelines zu tun habe, müsse „aufgeklärt“, die Verantwortlichen „zur Rechenschaft“ gezogen werden.

Kanzler stärkt Brandenburgs Ministerpräsident Woidke den Rücken

Dass der brandenburgische SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke den prominenten Scholz im Wahlkampf ausdrücklich nicht dabeihaben wollte, schien den Kanzler nicht sonderlich zu stören: Er selbst sei ebenfalls schon „Regierungschef eines Landes“ gewesen. „Wenn Sie meine Wahlkämpfe anschauen, die habe ich schon um Themen des Landes Hamburg geführt“, so Scholz im ZDF-„Sommerinterview“, „ich empfehle allen, es genauso zu machen“.

Zuvor hatte Scholz im „Tagesspiegel“ erklärt, dass Woidke „ein erstklassiger Ministerpräsident“ sei und dies „auch nach der Wahl bleiben“ werde. Woidke selbst hatte mehrfach angekündigt, sich aus der Politik zurückzuziehen, falls die AfD am 22. September vor der SPD landen sollte.

Auch die Frage von ZDF-Interviewerin Diana Zimmermann zum Widerstand der FDP-Bundestagfraktion beim Rentenpaket II brachte den Regierungschef nicht aus der Ruhe: „Wir vertrauen darauf, es steht im Koalitionsvertrag, wir haben es auf den Weg gebracht als Regierung“, so Scholz, „es wird beschlossen werden“.

Ampelparteien in Sachsen und Thüringen abgestürzt

Neben Vertretern der Union und der AfD hatte auch der FDP-Parteivize, Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki, nach den Stimmenverlusten von Sachsen und Thüringen ein Ende der Ampel als Option dargestellt: Die Regierung habe ihre Legitimation verloren.

Die FDP war am 1. September in beiden Ländern mit jeweils rund einem Prozent aus dem Parlament geflogen; die Grünen hatten es mit 5,1 Prozent gerade so noch in den sächsischen Landtag geschafft. Die Kanzlerpartei SPD blieb jeweils einstellig (7,3 Prozent in Sachsen, 6,1 Prozent in Thüringen).



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