„Gemeinwohlgefährdung“ – das beinhaltet der Gesetzentwurf der Regierung

Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung reagiert auf eine Zunahme von Angriffen gegen Polizei- und Rettungskräfte. Auf dem Wege sollen auch Politiker, Ehrenamtliche und NGOs vor „in keinem inneren Zusammenhang mit dem strafbaren Verhalten“ stehenden Folgen von Straftaten geschützt werden.
Titelbild
Ehrenamt und andere Tätigkeiten für das Gemeinwohl geraten in Gefahr. Symbolbild.Foto: Stefan Puchner/dpa/Archiv/dpa
Von 15. Oktober 2024

Ein Gesetzentwurf (20/12950) aus dem Justizministerium trägt den sperrigen Titel: „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften sowie von dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten.“

Am Montagvormittag war der Entwurf zudem Gegenstand einer Anhörung im Rechtsausschuss. Im Archiv des Bundestages wird die zweistündige Sitzung wie folgt zusammengefasst: „Dabei hat der Entwurf viel Zustimmung im Grundsatz, aber weniger in der konkreten Ausführung gefunden.“

Solche Anhörungen nach erster Lesung im Bundestag folgen üblicherweise einem festgelegten Ablauf aus Stellungnahmen eingeladener Experten und der sich anschließenden Befragung der Sachverständigen durch Mitglieder des Rechtsausschusses.

Weniger Berufssachverständige – mehr Betroffene

Hier fiel zunächst auf, dass die Sachverständigenliste – ungewöhnlich für eine Anhörung im Rechtsausschuss – nur zur Hälfte aus Berufsjuristen bestand. Eingeladen waren auch Vertreter jener Berufsgruppen, die zunehmend verbalen und körperlichen Angriffen ausgesetzt sind. So berichtete etwa René Burfeindt vom Generalsekretariat des Deutschen Roten Kreuzes von immer häufiger werdenden Angriffen auf Rettungskräfte.

Und Dr. Andreas Gassen, der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, war vor dem Ausschuss die Stimme der niedergelassenen Ärzte. Gassen sprach davon, dass die Gewalt überwiegend von Männern als Begleitpersonen von Patienten ausgehe.

Der Vizepräsident des Deutschen Feuerwehrverbandes berichtete ebenfalls von einer „zunehmenden Respektlosigkeit und Aggression“.

Die Abgeordnete Canan Bayram (Bündnis 90/ Die Grünen) etwa wollte in der Fragerunde von den Experten wissen, wie die Verwendung des Begriffs „eine dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit“ eigentlich zu beurteilen sei.

Der AfD-Bundestagsabgeordnete und Jurist Tobias Peterka stimmt mit dem Sachverständigen Dr. Johannes Schrägle von der Neuen Richtervereinigung zunächst darin überein, dass der Begriff einer „Schädlichkeit des Allgemeinwohls“ sehr gefährlich sei. Das chinesische Strafrecht sei im Übrigen voll von solchen Formulierungen.

Peterka wollte wissen, ob Dr. Schrägle eine Abgrenzung von Meinungsäußerungen im Gesetzentwurf erkennt und ob die Abwägung hin zur Strafbarkeit hier schneller ausfallen und ob es da zukünftig „Ausfransungseffekte“ geben könne.

Zuletzt kommt Peterka auf „den Elefanten im Raum“ zu sprechen. Er will wissen, über welche Tätergruppen man eigentlich spreche, das sei bis dahin von keinem Sachverständigen oder Fragesteller näher beleuchtet worden. Dr. Gassen etwa hatte von gewaltbereiten Männern gesprochen, ohne dabei die Tätergruppe näher zu beleuchten.

BKA bescheinigt Höchststand bei Gewalttaten

Dazu passt, dass das Bundeskriminalamt (BKA) im gerade erst veröffentlichten Bundeslagebild für 2023 einen „Höchststand bei Gewalttaten gegen Polizeikräfte und Einsatzkräfte von Feuerwehr und Rettungsdiensten“ statistisch belegt sieht. So wurden insgesamt 9.500 Beamte zusätzlich Opfer einer gegen sie gerichteten Gewalttat, als im Jahr zuvor, was einem Anstieg um fast zehn Prozent entspricht.

Die Zahlen des BKA sind dabei eindeutig: „Während der Anteil der deutschen Tatverdächtigen von 69,9 auf 66,4 Prozent sank, stieg der Anteil der nichtdeutschen Tatverdächtigen von 30,1 auf 33,6 Prozent.“

Besagter Sachverständiger Schrägle sieht zudem keinen Vorteil gegenüber der geltenden Rechtslage, vielmehr überwögen die Nachteile: So sei etwa die Formulierung „dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit“ zu unbestimmt. Wer solle entscheiden, was das ist, fragte Schrägle und beantwortet damit auch gleich die Frage der Abgeordneten Bayram. Er befürchtet zudem eine „erhebliche Rechtsunsicherheit“ für die Gerichte.

Auffällig am zwanzigseitigen Gesetzesentwurf: Es geht hier zwar zunächst um den Schutz der Polizei- und Rettungskräfte, die zunehmend Angriffen ausgesetzt seien. Aber schon im Titel erfolgt der zusätzliche Verweis auf „dem Gemeinwohl dienende(n) Tätigkeiten“. Von einer „Gemeinwohlgefährdung“ ist die Rede.

In der Problemstellung zum Gesetzentwurf heißt es aus dem federführenden Bundesjustizministerium: „Dazu gehören die vielen ehrenamtlich Tätigen ebenso wie Amts-, Mandats- oder sonstige Berufsträger, die in verschiedensten Bereichen Verantwortung für unser demokratisches Gemeinwesen übernehmen.“

Die Gesetzesverschärfung soll laut Entwurf „zugleich im Lichte der aktuellen Entwicklungen ein klares Zeichen gegen gemeinwohlschädliche und demokratiefeindliche Straftaten“ setzen. Auf Seite 2 heißt es dazu, der Entwurf sehe vor, „dass hinsichtlich der verschuldeten Auswirkungen der Tat auch solche in Betracht zu ziehen sind, die geeignet sind, eine dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen“.

Wichtige Aufgaben in Staat und Gesellschaft

Über die prominent in den Medien besprochene Forderung, dass Polizei- und Rettungskräfte besser geschützt werden, sieht der Gesetzentwurf vor, kommunale Entscheidungsträger im Sinne des § 106 StGB neben den Bundespräsidenten und Mitgliedern eines Verfassungsorgans gegen Nötigung, Gewalt und Drohungen zu schützen.

Die Bundesregierung schreibt in ihrer Begründung, viele Menschen übernähmen wichtige Aufgaben in Staat und Gesellschaft und verdienten deshalb besonderen Schutz. Hier wird die Flüchtlingshilfe ebenso explizit erwähnt wie die Mitarbeit in „politischen Parteien“ und Vereinen. Erwähnt werden zudem „Übergriffe auf Politikerinnen und Politiker im Rahmen des Europawahlkampfs“.

Teil der Begründung aus dem Hause des Justizministers Marco Buschmann: „Die Berichte und statistischen Erkenntnisse der letzten Jahre deuten auf eine zunehmende Verrohung des gesellschaftlichen Miteinanders und eine steigende Tendenz zu Übergriffen unterschiedlicher Art auf für das Gemeinwohl tätige Personen hin.“

Auch die Körber-Stiftung wird erwähnt. Sie hat ebenfalls einen Sachverständigen zur Anhörung geschickt. Dazu passend heißt es im Gesetzentwurf: „In einer Umfrage der Körber-Stiftung unter ehrenamtlichen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern gaben ebenfalls knapp 40 Prozent der Befragten an, dass sie oder Personen aus ihrem Umfeld schon einmal wegen ihrer Tätigkeit beleidigt, bedroht oder tätlich angegriffen worden seien.“

Eine Online-Enzyklopädie kritisiert eine „Nähe der Politik zur Stiftung, wie sie sich beispielsweise in dem von der Stiftung ausgerichteten Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten manifestiert“.

Wer ist laut Gesetzentwurf neben Polizei- und Rettungskräften und Politikern noch bedroht von einer „Gemeinwohlgefährdung“? Der Entwurf erwähnt hier ausdrücklich auch Journalisten: „Auch Straftaten zum Nachteil von Medienschaffenden nehmen zu.“

Anfeindungen, insbesondere Beleidigung und Bedrohungen

Und zu den bereits erwähnten Flüchtlingshelfern heißt es in der Begründung zum Gesetzentwurf: „Im Bereich der Flüchtlingshilfe gaben in einer Umfrage der Bundesarbeitsgemeinschaft für Freiwilligenagenturen im Jahre 2022 14,5 Prozent der Befragten an, in Bezug auf ihre Arbeit im Themenfeld ,Flucht und Asyl‘ Anfeindungen, insbesondere Beleidigung und Bedrohungen, erfahren zu haben.“

Die Bundesregierung erläutert ausführlich, was sie mit „Gemeinwohlgefährdung“ meint. Es gehe dabei auch um Angriffe, welche die Funktionsfähigkeit des Gemeinwesens gravierend beeinträchtigen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt erschüttern: „Denn dort, wo für das Gemeinwohl tätige Personen zum Ziel von Aggressionen und Angriffen werden, steht zu befürchten, dass sie sich von solchen Tätigkeiten – sei es aus Angst vor weiteren Übergriffen, sei es aus Demotivation – zurückziehen.“

Insgesamt seien diese Tendenzen geeignet, „die Funktionsfähigkeit des Staates und ein gedeihliches Miteinander in der Gesellschaft zu gefährden“.

Aber wer konkret ist gemeint? In der Begründung wird explizit auf Kommentare im Internet verwiesen, sprich auf die sozialen Medien: „Mit dem Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität wurde zudem die Strafandrohung für öffentlich, beispielsweise im Internet begangene Beleidigungen deutlich erhöht (§ 185 StGB).“

Bestraft werden soll zukünftig nicht mehr nur eine Beleidigung an sich, sondern auch die „verschuldeten Auswirkungen der Tat“, das sei „ein weiteres wichtiges Signal zum Schutz von Personen, die sich ehrenamtlich oder in beruflichem Kontext für das Gemeinwohl engagieren.“

Besonders schützenswerte Kerngruppen

Die Begründung kommt dabei immer wieder auch auf die Polizei- und Rettungskräfte zurück. Sie sind hier gewissermaßen die besonders schützenswerte Kerngruppen im Fokus dieses Gesetzentwurfs.

Der Gesetzentwurf erscheine gleichwohl geeignet, so heißt es weiter auf Seite 13, „um im Lichte der aktuellen Entwicklungen ein klares Zeichen gegen gemeinwohlschädliche und demokratiefeindliche Straftaten im analogen und digitalen Raum zu setzen“.

Der Gesetzentwurf will die „(potenziellen) Auswirkungen der Tat auf eine gemeinwohlorientierte Tätigkeit (…) in ihrer Bedeutung für das Erfolgsunrecht der Tat und für die Rechtsordnung“ insgesamt besonders hervorheben. Die Gerichte und Ermittlungsbehörden sollen „für die Bedeutung solcher außertatbestandlichen Rechtsfolgen sensibilisiert werden“.

Mit dem Merkmal der „verschuldeten Auswirkungen der Tat“ nehme der Entwurf, heißt es auf Seite 15, „den Erfolgsunwert der Tat in den Blick, um die dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit in den Mittelpunkt zu stellen“.

Bisher umstritten seien solche außertatbestandlichen Folgen, welche „in keinem inneren Zusammenhang mit dem strafbaren Verhalten stehen und außerhalb des eigentlichen Tatbildes liegen“.

Ein Anteil an der Umsetzung der Agenda 2030

Die Bundesregierung legt zudem Wert darauf festzustellen, dass der Gesetzentwurf seinen Anteil hat an der Umsetzung der Agenda 2030:

„Der Entwurf steht im Einklang mit den Leitgedanken der Bundesregierung zur nachhaltigen Entwicklung im Sinne der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie (DNS), die der Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen dient.“

Indem der Entwurf das Strafrecht punktuell ergänze, leiste er auch „einen Beitrag zur Verwirklichung von Nachhaltigkeitsziel 16 „Friedliche und inklusive Gesellschaften für eine nachhaltige Entwicklung (zu) fördern“.

Auf Seite 17 heißt es zudem, es sollen zukünftig auch solche Taten erfasst werden, „in denen eine tatsächliche Beeinträchtigung (noch) nicht eingetreten ist“. Die Bundesregierung ist sich hier durchaus bewusst, dass es sich, wie sie schreibt, beim, Begriff des „Gemeinwohls“ demnach „um einen unbestimmten Rechtsbegriff“ handelt.



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion