Fehlen bald weitere zwölf Milliarden im Bundeshaushalt? Karlsruhe will noch 2024 entscheiden

Das Bundesverfassungsgericht will noch in diesem Jahr entscheiden, ob die seit 2021 geltende Regelung zum Solidaritätszuschlag verfassungskonform im Sinne des Gleichbehandlungsgebots ist. Der Finanzminister würde ein Nein begrüßen, auch wenn sich neue Lücken im Haushalt auftäten.
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Den Solidaritätszuschlag zahlen immer noch viele Unternehmer und Spitzenverdiener.Foto: iStock
Von 16. März 2024

Zwölf Milliarden Euro will die Bundesregierung im Steuerjahr 2024 über den Solidaritätszuschlag einnehmen – doch die Kalkulation könnte ins Wanken geraten: Wie die „Welt“ berichtet, will das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe (BVerfG) noch vor Jahresschluss entscheiden, ob der „Soli“ in seiner aktuellen Form überhaupt verfassungsgemäß ist.

Sechs FDP-Bundestagsabgeordnete hatten am 20. August 2020 vor dem BVerfG per Verfassungsbeschwerde offiziell Zweifel angemeldet, dass das Gleichbehandlungsgebot im Falle des Solis gewahrt bleibt.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) blickt dem Entscheid mit einem lachenden und einem weinenden Auge entgegen: Einerseits gehört der Soli von jeher zu den Lieblingsstreichplänen des Liberalen, andererseits ist Lindner auf die Milliarden angewiesen: Der Soli fließt komplett in den Bundeshaushalt.

Ähnliches gilt nach Einschätzung der „Welt“ für Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne): Obwohl auch er dem Sparkurs unterliegt, hatte er zuletzt immer wieder eingeräumt, dass Deutschland auch wegen der hohen Steuerlast für Unternehmen im internationalen Wettbewerb mehr und mehr an Boden verliert. Und ein Aus für die aktuelle Soliregelung würde viele Unternehmen entlasten.

Wer muss überhaupt noch den Soli zahlen?

Denn gemäß dem Gesetz zur Rückführung des Solidaritätszuschlags (PDF-Datei) sind es neben Top-Verdienern vor allem Körperschaften und Personenvereinigungen, die auch über das Jahr 2020 hinaus per Solidaritätszuschlag extra zur Kasse gebeten werden dürfen. Nach Angaben der „Wirtschaftswoche“ sind deutschlandweit „rund 500.000 Kapitalgesellschaften“ betroffen.

Diese Unternehmen steuern mit beinahe sieben Milliarden Euro den Löwenanteil bei, wie die „Welt“ unter Berufung auf das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) schreibt. Die restlichen gut fünf Milliarden müssen 2024 laut „Wirtschaftswoche“ jene Bürger aufbringen, die im Jahr mehr als 18.130 Euro Einkommensteuer zahlen müssen.

Für „zusammenveranlagte Partner“ liege der Grenzbetrag doppelt so hoch. Der Solidaritätszuschlag beträgt nach Angaben des Portals „Finanztipp“ einheitlich 5,5 Prozent von der Lohnsteuer.

Lindner: „Schnellste wirksame Unternehmensteuerreform“

Finanzminister Lindner will nach Informationen der „Welt“ am liebsten gar nicht so lange warten, bis Karlsruhe entschieden hat. Ginge es nach ihm, könne der „Einstieg in den Ausstieg beim Solidaritätszuschlag beginnen“.

Denn dessen Komplettabschaffung wäre aus seiner Sicht „die am schnellsten wirksame Unternehmensteuerreform“, so Lindner am 13. März 2024 während seines Besuchs beim „Zukunftstag Mittelstand“ des Verbands der kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland (BVMW).

Lindner habe aber auch zu bedenken gegeben, dass bei einem Wegfall im Bundeshaushalt an anderer Stelle gespart werden müsse. Und laut „Welt“ liegt schon die aktuelle Lücke für das kommende Haushaltsjahr 2025 irgendwo zwischen 15 und 25 Milliarden Euro.

Für Lindners Parlamentarischen Staatssekretär Christian Dürr (FDP) kann es der „Welt“ zufolge trotzdem nicht schnell genug gehen, den Soli abzuschaffen. Viel neues Gesetzeswerk wäre nach seinen Worten jedenfalls nicht nötig: Der Bundestag könne das „schnell und unbürokratisch“ einfach per Beschluss regeln. Dürr hatte zu jenen sechs liberalen MdBs gehört, die im Sommer 2020 vor dem BVerfG Klage eingereicht hatten.

SPD will Soli durch „Zukunftsabgabe“ ersetzen

Bei den Ampelbundestagsfraktionen von SPD und Grünen überwiegt allerdings der Wunsch, den Soli so lange wie möglich beizubehalten. Katharina Beck, Finanzexpertin der Fraktion der Grünen im Bundestag, habe ihre Bedenken mit der Sozialverträglichkeit begründet: „Politisch gesehen wäre eine überproportionale Entlastung ausschließlich der obersten zehn Prozent sehr fragwürdig“, zitiert sie die „Welt“.

Michael Schrodi, der finanzpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, sieht das ähnlich. Doch ihm wäre laut „Welt“ selbst bei einem Soli-Verbotsbeschluss des BVerfG nicht bange, auf den Geldregen verzichten zu müssen: „Es ist Beschlusslage der SPD, die bestehende Ergänzungsabgabe für die zehn Prozent höchsten Einkommen umzuwidmen zu einer verfassungsfesten Zukunftsabgabe“.

Denn das Geld würde in jedem Fall gebraucht, um „den Investitionsstau auf- und eine wirtschaftliche Dynamik auszulösen“. Schrodi spielte darauf an, dass der Soli als Teil der „Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer und zur Körperschaftsteuer“ gemäß Artikel 106, Absatz 1, Nr. 6 des Grundgesetzes betrachtet wird.

Bundesfinanzhof hatte Soli als rechtmäßig beurteilt

Doch ob es überhaupt zu einem Umetikettieren des Solis kommen muss, um die bedrohten Soli-Milliarden im Sinne der SPD zu retten, kann durchaus bezweifelt werden: Der Bundesfinanzhof in München hatte als höchstes deutsches Finanzgericht bereits im Januar 2023 entschieden, dass für die deutsche Wiedervereinigung nach wie vor ein erhöhter Finanzbedarf bestehe (Aktenzeichen: IX R 15/20).

Der Soli sei damit vorläufig weiterhin rechtmäßig. Und zwar unabhängig davon, dass der Solidarpakt II 2019 entfallen war. Der Pakt hatte laut „Tagesschau“ einst als Grundlage für den Soli gedient.

Zuständig ist wieder der Zweite Senat

Zuletzt hatte Mitte November 2023 ein ganz anderer Beschluss des BVerfG die Finanzplanung der Ampelregierung in schwieriges Fahrwasser hineinmanövriert.

Der Zweite Senat des höchsten deutschen Gerichts hatte entschieden, dass es grundgesetzwidrig war, übrig gebliebene Milliardenbeträge aus dem Corona-Sonderfonds nachträglich für klimapolitische Maßnahmen zu verwenden. Das Urteil riss eine Lücke von etwa 60 Milliarden Euro in die Haushaltsplanungen der Ampel.

Auch für den Streitfall um die Verfassungsmäßigkeit des Solis (Aktenzeichen: 2 BvR 1505/20) ist wieder der Zweite Senat unter dem Vorsitz von Verfassungsrichterin Prof. Doris König zuständig.

Denn laut BVerfG fallen vor allem Organstreitverfahren, Bund-Länder-Streitigkeiten, Parteiverbotsverfahren und Wahlbeschwerden in sein Ressort als „Staatsgerichtshof“ – und damit unter anderem auch Fragen des Einkommen- und Kirchensteuerrechts. Zur verantwortlichen „Berichterstatterin“ der Soli-Beschwerde wurde Bundesverfassungsrichterin Dr. Rhona Fetzer bestimmt.



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