FDP will Bürgergeld reduzieren – den einen zu viel, den anderen zu wenig

Der FDP geht die drohende Nullrunde im nächsten Jahr für Bürgergeldempfänger nicht weit genug: Der FDP-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Christian Dürr, will allen Empfängern bis zu 20 Euro weniger überweisen lassen. SPD und AfD lehnen den Vorstoß ab, allerdings aus ganz unterschiedlichen Gründen.
Bei der beschlossenen Einstufung von Moldau und Georgien als sichere Herkunftsstaaten dürfe es nicht bleiben, meint FDP-Politiker Christian Dürr.
Der FDP-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Christian Dürr, will das Bürgergeld im nächsten Jahr kürzen. Die SPD-Fraktion hält davon nichts.Foto: Kay Nietfeld/dpa
Von 12. August 2024

Es hatte sich schon seit Tagen angedeutet: Die FDP wird versuchen, das Fünf-Milliarden-Haushaltsloch 2025 auch über Einsparungen im Sozialbereich zu stopfen. Christian Dürr, der Fraktionsvorsitzende der FDP im Bundestag, kam im Gespräch mit der „Bild“ speziell auf das Bürgergeld zu sprechen: Ginge es nach seiner Partei, sollte es ab Januar 2025 eine „Anpassung nach unten“ erfahren.

Aufgrund der soliden Haushaltspolitik des Finanzministers ist die Inflation stärker zurückgegangen als ursprünglich gedacht, dadurch fällt das Bürgergeld aktuell 14 bis 20 Euro im Monat zu hoch aus.“

Bei der letzten Anpassung zum 1. Januar 2024 war der Bürgergeld-Regelsatz für Alleinstehende um 61 Euro auf jetzt 563 Euro erhöht worden. Die nun angepeilte Kürzung hätte aus Sicht Dürrs zwei positive Effekte: Erstens würden „die Steuerzahler um bis zu 850 Millionen Euro“ entlastet, zweitens würden die Arbeitsanreize erhöht.

Schnellstmögliche Umsetzung

„Das Ganze sollten wir schnellstmöglich auf den Weg bringen“, forderte der 47-jährige Diplom-Ökonom in der „Bild“ (Bezahlschranke). Die FDP stehe jedenfalls schon hinter den „notwendigen gesetzlichen Änderungen“.

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai stimmte Dürrs Vorstoß im gemeinsamen „Morgenmagazin“ von ARD und ZDF am 12. August 2024 vor dem Hintergrund der Haushaltsdebatte zu: Das aktuelle Bürgergeldsystem enthalte „Defizite“ und setze „falsche Anreize“, die dazu führten, „dass Menschen nicht mehr den Weg zum regulären Arbeitsmarkt suchen“, argumentierte Djir-Sarai. „Wer arbeitet, muss mehr haben als jemand, der nicht arbeitet“, so Djir-Sarai. Das sei „eine Frage der sozialen Gerechtigkeit“.

Bereits im Juli hatte eine Sprecherin des Arbeitsministeriums angedeutet, dass es zum 1. Januar 2025 zumindest eine Nullrunde für Bürgergeldempfänger geben könnte. „Wir rechnen im Moment damit, dass angesichts der jetzt rückläufigen Preissteigerungsraten wahrscheinlich nach jetziger Lage zum 1. Januar 2025 es auch sein kann, dass es keine Erhöhung geben wird“, zitiert sie die „Welt“.

Eine Nullrunde sieht laut „Tagesschau“ auch Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). Und auch Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil (SPD) habe bereits angekündigt, dass die nächste Anpassung des Bürgergelds entsprechend niedrig sein werde, wenn die Inflation deutlich sinke. Er erwarte die Daten noch im Sommer vom Statistischen Bundesamt. Die Änderungen sollen nach Informationen der „Zeit“ möglichst schon zusammen mit dem Haushaltsgesetz im Kabinett beschlossen werden.

Klingbeil: „Es gibt kein Recht auf Faulheit“

Auch aus der Kanzlerpartei SPD waren am Wochenende kritische Töne über Menschen zu hören, die nicht ernsthaft an einer Erwerbsarbeit interessiert sind. „Es gibt kein Recht auf Faulheit“, stellte der SPD-Bundesvorsitzende Lars Klingbeil im ARD-„Sommerinterview“ fest. Er bezog sich allerdings ausdrücklich nur auf jene rund 16.000 Menschen, die die „Solidarität des Staates ausnutzen, sich zurücklehnen und sagen, ich muss nichts machen.“

Auf der anderen Seite gebe es „800.000 Menschen, die ja arbeiten, und trotzdem Bürgergeld bekommen, weil sie so wenig Geld verdienen in der Arbeit, dass sie was obendrauf kriegen“, gab Klingbeil zu bedenken (Video in der ARD-Mediathek).

Die Epoch Times fragte sämtliche übrigen Fraktionen und Gruppen im Bundestag nach ihrer Meinung zu Dürrs und Klingbeils Äußerungen. Bis zum Redaktionsschluss am 12. August lagen lediglich aktuelle Antworten aus den Reihen der SPD und der AfD vor.

SPD-Arbeitspolitiker: FDP mit „völlig unausgegorenen Ideen fernab jeder Realität“

„Ich halte überhaupt nichts davon, ständig mit völlig unausgegorenen Ideen fernab jeder Realität für Verunsicherung zu sorgen“, erklärte Martin Rosemann, der arbeitspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, gegenüber der Epoch Times.

Der SPD-Politiker Martin Rosemann weist den FDP-Vorschlag nach einer Bürgergeld-Kürzung umgehend zurück. (Archivbild)

Der SPD-Politiker Martin Rosemann (Archivbild). Foto: Britta Pedersen/dpa

„Herr Dürr führt eine Regierungsfraktion, die den Anpassungsmechanismus beschlossen hat, bei dem die Inflation zu recht schneller berücksichtigt wird als vorher.“ Ihm persönlich seien Vorschläge für eine erneute Reform des Anpassungsmechanismus aus der FDP-Fraktion nicht bekannt. Rosemann ermahnte den Bündnispartner:

Statt zu verunsichern, wäre es hilfreich, wenn man nach fast drei Jahren endlich mal in seiner Rolle als Teil einer Regierungskoalition und damit in einer Verantwortungsgemeinschaft ankommen würde.“

AfD will „aktivierende Grundsicherung“ und Arbeitspflicht für erwerbsfähige Langzeitarbeitslose

Die AfD habe „die übermäßige Erhöhung des Bürgergeldes“ aus dem Januar „von Anfang an abgelehnt“, betonte René Springer, der Sprecher für Arbeit und Soziales der AfD-Bundestagsfraktion. „Die Masseneinwanderung in unsere Sozialsysteme“ bezeichnete er gegenüber der Epoch Times als „Hauptursache“ für das Milliardenloch im Haushalt: „Über diesen rosa Elefanten im Raum will die FDP als Mitverursacher aber nicht reden.“ Sein Vorschlag:

Als AfD wollen wir das Bürgergeld in eine aktivierende Grundsicherung umwandeln, die grundsätzlich nur noch Deutschen zusteht. Das spart jedes Jahr viele Milliarden Euro und erhöht die gesellschaftliche Akzeptanz.“

AfD-Politiker Springer beklagt hohe Ausgaben für Bürgergeld (Archivbild)

Der AfD-Politiker René Springer (Archivbild). Foto: Britta Pedersen/dpa

Klingbeils Ablehnung eines Rechts auf Faulheit werde auch von der AfD geteilt, erklärte Springer. Dieser Punkt stehe „aber im absoluten Widerspruch“ zur Politik der SPD, denn die Sozialdemokraten hätten das Bürgergeld „nicht nur eingeführt, sondern faktisch zu einem bedingungslosen Grundeinkommen gemacht“. Die AfD fordere dagegen „schon lange eine Arbeitspflicht im gemeinnützigen Bereich für langzeitarbeitslose erwerbsfähige Leistungsbezieher“:

Wer sich dieser Arbeitspflicht verweigert, sollte zunächst nur noch Sachleistungen erhalten. Totalverweigerer sollten sanktioniert werden bis hin zum vollständigen Leistungsentzug.“

Die AfD habe schon vor Monaten verschiedene Anträge gestellt, um entsprechende Reformen auf den Weg zu bringen. Springer verwies auf die Bundestagsdrucksachen 20/3943 (PDF), 20/10609 (PDF), 20/9152 (PDF) und 20/10063 (PDF).

Union schon länger für Bürgergeldreform

CDU und CSU hatten sich ebenfalls schon vor einigen Tagen für radikale Änderungen beim Bürgergeld eingesetzt, die auch nichtdeutsche Staatsbürger betreffen sollten. Aus den Reihen der Grünen gab es dagegen Widerstand. Im Juni 2024 waren von 5.548.518 Bürgergeld-Regelleistungsbeziehern 2.656.504 oder 47,87 Prozent nichtdeutsche Staatsangehörige.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamts erhielten bis einschließlich Juli 2024 „durchschnittlich rund 4,01 Millionen erwerbsfähige und circa 1,53 Millionen nicht erwerbsfähige Personen Bürgergeld; insgesamt also etwa 5,54 Millionen“. Das seien rund 50.000 mehr als in der Vorjahresstatistik. 2023 wurden inklusive der Kosten für Wohnung und Heizen allein vom Bund entsprechende Sozialtransfers in Höhe von 37,6 Milliarden getätigt – schon damals ein Rekordwert. Der Bundestag berichtete sogar von 43,83 Milliarden Euro, die im Haushalt 2023 für die Grundsicherung für Arbeitsuchende bereitgestellt wurden.

Vor dem Jahr 2019 war die Zahl der Hartz IV-Leistungsempfänger laut Statistischem Bundesamt übrigens regelmäßig noch höher gewesen: 5,79 Millionen habe es 2018 gegeben, 2006 sogar 7,34 Millionen.

Kürzungen nicht unbegrenzt erlaubt

Dem Leistungskürzungspotenzial hatte das Bundesverfassungsgericht nach Angaben der „Tagesschau“ schon im November 2019 Grenzen gesetzt: Bei „Totalverweigerern“ könne eine Kürzung von 30 Prozent noch angemessen sein, 60 oder 100 Prozent weniger seien aber auf keinen Fall verfassungskonform.

Im Jahr 2023 hatte die Bundesagentur für Arbeit (BA) gegenüber 128.415 erwerbsfähigen Leistungsberechtigten Kürzungen in 226.008 Fällen angeordnet. Das habe zwar 28.935 Personen und 77.520 Fälle mehr als im Vorjahr bedeutet, aber deutlich weniger als im Vor-Corona-Jahr 2019. Damals habe es 806.811 Leistungsminderungen gegeben.

Der Löwenanteil der Kürzungen 2023 sei „wegen Nichterscheinen zu Terminen“ verhängt worden, nämlich zu 84,5 Prozent. Lediglich knapp 16.000 Leistungsminderungen habe es zwischen Februar und Dezember 2023 gegeben, weil die Empfänger sich strikt geweigert hätten, eine Arbeit, eine Ausbildung, eine Maßnahme oder ein gefördertes Arbeitsverhältnis anzutreten oder fortzuführen. Laut BA blieben „rund 97 Prozent der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten […] von Leistungsminderungen unberührt“.

Der Sozialverband Deutschland (SOVD) hatte erst vor wenigen Tagen davor gewarnt, Bürgergeld-Empfänger zu „diskreditieren“. Hintergrund war eine Forsa-Umfrage für den „Stern“, in der sich 56 Prozent der Deutschen dafür ausgesprochen hatten, das Bürgergeld für „Arbeitsverweigerer“ komplett zu streichen, wie es CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann Ende Juli gefordert hatte. SOVD-Pressesprecher Peter-Michael Zernechel sprach sich im Interview mit der Epoch Times stattdessen für „Hilfestellungen“ aus, um Menschen in Lohn und Brot zu bringen – „durch Umschulungsmaßnahmen, durch Sprachkurse und Eingliederungsgeschichten“.



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