FDP will Acht-Stunden-Tag kippen – SPD hält dagegen

FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler fordert die Abschaffung des Acht-Stunden-Arbeitstages zugunsten einer flexibleren wöchentlichen Höchstarbeitszeit, um sich an moderne Lebensrealitäten anzupassen. Die SPD widerspricht, befürchtend, dass längere Arbeitszeiten Frauen benachteiligen könnten.
FDP-Abgeordneter Lukas Köhler bei einer Rede im Bundestag.
FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler fordert die Abschaffung des Acht-Stunden-ArbeitstagsFoto: Michael Kappeler/dpa
Von 21. Mai 2024

FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler hat sich für die Abschaffung des Achtstundenarbeitstags ausgesprochen. „Wir sollten die Tageshöchstarbeitszeiten abschaffen und nur noch eine wöchentliche Höchstarbeitszeit festschreiben“, sagte der FDP-Politiker im Interview gegenüber dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. Dafür, so Köhler, müsse man das Arbeitszeitgesetz entsprechend modernisieren. Der Acht-Stunden-Tag sei „ein fossiles Dogma aus einer Zeit, in der die Sorge vor Ausbeutung massiv war. Aber die Zeiten haben sich geändert. Das Arbeitszeitgesetz kommt aus einer Welt, in der es kein Homeoffice gab. Kaum jemand hält dieses Acht-Stunden-Dogma in seinem Arbeitstag noch durch”, so der FDP-Fraktionsvize weiter. 

Die exakte Erfassung der Arbeitszeit gehe an der Lebensrealität der Menschen vorbei, ist sich der FDP-Bundestagsabgeordnete sicher: „Da gibt es mal einen Tag, an dem mehr zu tun ist. Dafür gibt es mal einen anderen Tag, an dem man früher aus der Arbeit will, weil man die Kinder abholen möchte.“

Keine „starren“ Vorschriften

Köhler könnte sich die Anpassung der Arbeitszeiten zunächst für Branchen mit starken Tarifverträgen vorstellen. Zu diesen Branchen zählt der Politiker in seinem Interview die Chemieindustrie, Post- und Paketmarkt und die Logistikbranche. Auch in der IT-Branche und anderen Berufsfeldern mit Home-Office-Möglichkeiten sind nach Ansicht Köhlers angepasste Arbeitstage denkbar. Die Änderungen würden die Wirtschaftswende beschleunigen. Um insgesamt die Produktivität zu steigern, müssten die Menschen in ihrem Arbeitsalltag entlastet werden.

Weiter plädiert Köhler im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk für eine Lockerung der gesetzlich vorgeschriebenen Pause- und Ruhezeiten. „Wir sollten da keine starren Vorschriften mehr machen“, so Köhler. 

Flexibilität soll nicht illegal sein

Schon jetzt würden Menschen etwa die Mittagspause durcharbeiten, um früher nach Hause gehen zu können. Anderen würden sich am späten Abend noch einmal an den Computer setzen, um dafür nachmittags mit ihren Kindern auf den Spielplatz zu können. „Die haben dann natürlich keine elf Stunden mehr bis sie am nächsten Tag wieder im Büro sitzen. Viele Menschen brechen also faktisch schon das Arbeitszeitgesetz, weil dadurch ihr Leben entspannter ist. Diese Flexibilität sollte nicht mehr illegal sein“, sagte Köhler.

Nachdenken könne man außerdem über eine Lockerung bei der gesetzlichen Höchstgrenze für die Wochenarbeitszeit von derzeit 48 Stunden.

SPD hält dagegen: Fördert nur „Einverdienermodell“

SPD-Fraktionsvize Dagmar Schmidt widersprach inzwischen in der „Bild“ den Vorstellungen Köhlers. Die SPD-Politikerin fürchtet, dass der Wegfall der Tageshöchstarbeitszeiten in hauptsächlich zulasten von Frauen gehen könnte. 

Die SPD-Politikerin sieht in längeren und flexibleren Arbeitszeiten „vor dem Hintergrund der immer noch unzureichenden Betreuungsmöglichkeiten für Kinder eine zusätzliche Hürde, insbesondere für Frauen“, so Schmidt zu „Bild“. Das verschärfe den Fachkräftemangel, statt ihn zu lösen.

„Die Aufweichung des Acht-Stunden-Tags fördert ein Einverdienermodell“, befürchtete die SPD-Bundestagsabgeordnete, „das sich nur wenige leisten können“.

Weiter betont die SPD-Politikerin, dass Flexibilität nicht zulasten der Gesundheit gehen dürfte. „Stattdessen sollten wir moderne Arbeitszeitmodelle fördern, die den Bedürfnissen der Wirtschaft und der Beschäftigten gerecht werden.“

Die Gefahr einer Ausbeutung, wie von Schmidt angedeutet, sieht FDP-Politiker Köhler nicht. Er argumentiert, dass sich „mehr Menschen zum Arbeiten entschließen, wenn alles flexibler wird“.

Union hat Antrag in den Bundestag eingebracht

Das Thema „Flexibilisierung der Arbeitszeit“ ist kein Vorstoß der FDP. Schon im Februar dieses Jahres stellte die Union im Bundestag den Antrag „Arbeitszeit flexibilisieren – Mehr Freiheit für Beschäftigte und Familien“

Die Unionsabgeordneten fordern im Antrag von der Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorzulegen, „der die Wünsche nach stärkerer Arbeitszeitflexibilisierung aufgreift und der zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf flexiblere Arbeitszeiten und Arbeitszeitmodelle für verschiedene Lebensphasen ermöglicht“. Auch solle damit eine wöchentliche statt der täglichen Höchstarbeitszeit eingeführt und diese im Einklang mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie ausgestaltet werden.

Die EU-Arbeitszeitrichtlinie legt fest, dass die wöchentliche Arbeitszeit maximal 48 Stunden betragen darf. Diese durchschnittliche Arbeitszeit darf in einem Siebentageszeitraum nicht überschritten werden. Je nach nationalem Recht wird dieser Durchschnitt über Zeiträume von bis zu vier, sechs oder zwölf Monaten berechnet.

Das deutsche Arbeitszeitgesetz erlaubt eine tägliche Arbeitszeit von bis zu zehn Stunden, solange im Durchschnitt über 24 Wochen oder sechs Monate die tägliche Arbeitszeit von acht Stunden nicht überschritten wird.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem deutschen Arbeitszeitgesetz und der EU-Arbeitszeitrichtlinie besteht darin, dass die EU-Richtlinie die Wochenarbeitszeit als Höchstgrenze definiert, während das deutsche Gesetz den Fokus auf die tägliche Arbeitszeit legt. 

Der Antrag der Union befindet sich im Moment in der Ausschussberatung des Bundestages. Im Ausschuss für Arbeit und Soziales fand deshalb am 22. April eine Expertenanhörung statt. Die Experten gaben sehr unterschiedliche Stellungnahmen ab. 

Es geht um besseres Verteilen statt längeres Arbeiten

Die „Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände“ (BDA) und Vertreter aus verschiedenen Wirtschaftsbranchen, darunter das Handwerk und die IT-Industrie, plädierten für eine Umstellung der täglichen auf die wöchentliche Höchstarbeitszeit. Sie argumentierten, dass flexiblere Arbeitszeiten den betrieblichen Erfordernissen im globalen Wettbewerb besser entsprechen und gleichzeitig den Beschäftigten helfen könnten, familiäre Anforderungen besser zu bewältigen. Roland Wolf von der BDA betonte, es gehe nicht um längeres Arbeiten, sondern um eine bessere Verteilung der Arbeitszeit.

Birgit Schweer vom Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) und Adél Holdampf-Wendel vom IT-Branchenverband Bitkom hebten hervor, dass eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden ohne Erhöhung der regelmäßigen Arbeitszeit mehr Flexibilität bringen und dem Fachkräftemangel entgegenwirken könnte. In Österreich werde dieses Modell bereits erfolgreich angewendet, so Schweer.

Flexible Arbeitszeiten nicht in allen Branchen

David Beitz vom „Gesamtverband der Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektro-Industrie“ fügte hinzu, dass die EU-Arbeitszeitrichtlinie eine wöchentliche statt tägliche Höchstarbeitszeit vorsieht, was die vorgeschlagene Umstellung europarechtlich stütze. Dies sei jedoch nicht bei allen Tätigkeiten, wie Fließbandarbeit, möglich.

Gewerkschaften und Arbeitsschutzexperten lehnten die Umstellung ab. Stephan Teuscher von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi warnte vor höheren Belastungen und zweifelt daran, dass längere Arbeitszeiten zu mehr Freizeit führen würden. Nils Backhaus von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin betonte die negativen gesundheitlichen Auswirkungen langer Arbeitstage und das erhöhte Unfallrisiko. Er unterstrich die Bedeutung der täglichen Arbeitszeitbegrenzung und bestehender Ruhezeiten für den Schutz der Arbeitnehmer.

Derzeitige Regelungen ausreichend

Einzelsachverständige wie Anja Olbe und Amélie Sutterer-Kipping betonten, dass eine stärkere Flexibilisierung nicht im Sinne der Beschäftigten sei. Sie argumentieren, dass feste Pläne und verlässliche Strukturen notwendig seien, um Arbeit und Privatleben zu verbinden. Sutterer-Kipping fügt hinzu, dass flexiblere Arbeitszeiten Betreuungskonflikte verschärfen könnten.

Professor Jens Michael Schubert Arbeitsrechtler an der Leuphana Universität Lüneburg, sieht die derzeitigen Möglichkeiten der Arbeitszeitflexibilisierung als ausreichend an. Er verwies auf zahlreiche tarifliche und betriebliche Regelungen, die bereits flexible Arbeitszeiten ermöglichen. Professor Gregor Thüsing, Direktor des „Instituts für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit der Universität Bonn“ betonte, dass rechtliche Spielräume des europäischen Arbeitszeitrechts genutzt werden sollten, um freiwillige längere Arbeitszeiten zu ermöglichen, und forderte flexiblere Ausgleichszeiträume für den Zehn-Stunden-Tag.



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