Fast 146.000 Straftäter werden gesucht – wo die Polizei an ihre Grenzen stößt

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) fordert mehr Investitionen in die Innere Sicherheit. Nach Ansicht des Stellvertretenden GdP-Bundesvorsitzenden Alexander Poitz müssten bundesweit 20.000 zusätzliche Dienstposten bei den Polizeien in Bund und Ländern geschaffen werden. Trotzdem sei Deutschland grundsätzlich ein „sicheres Land“.
Polizisten mit Spezialausrüstung beim Einsatz in Wuppertaler Arbeitsagentur
Das Symbolbild zeigt Polizisten mit Spezialausrüstung bei einem früheren Einsatz in Wuppertal.Foto: Roberto Pfeil/dpa
Von 14. September 2024

Nach Recherchen der „Bild“ gibt es in Deutschland derzeit beinahe 146.000 Haftbefehle, die bisher nicht vollstreckt wurden. Hinter jedem steht ein Mensch, der sich trotz eines Tatverdachts auf freiem Fuß befindet – darunter fast 1.500 Fälle mutmaßlichen Mordes, Totschlags oder versuchter Tötungsdelikte. Weitere knapp 1.900 Fälle betreffen Verdächtige, die sich Sexualverbrechen schuldig gemacht haben könnten. Auch rund 15.000 mutmaßliche Diebe seien auf freiem Fuß.

Alexander Poitz, der Stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), kritisierte im Gespräch mit der Epoch Times primär die nicht ausreichende Personalstärke der Polizei: „Es herrscht absoluter Personalmangel, Dienstposten sind unbesetzt, der Krankenstand ist hoch, insbesondere bei der Kriminalpolizei“, so Poitz. Dazu komme ein hoher Altersdurchschnitt der Dienst verrichtenden Beamten.

20.000 zusätzliche Planstellen erforderlich

„Notwendig wären bundesweit 20.000 Dienstposten, und zwar zusätzlich zum aktuellen Bestand“, forderte Poitz. Zur Finanzierung habe die GdP gerade erst ein eigenes Sondervermögen „Innere Sicherheit“ gefordert.

Poitz stimmte zu, dass die Hauptgründe für die knapp 146.000 unvollstreckten Haftbefehle auch im Melderecht und bei den zu geringen Befugnissen der Polizei bei „Ermittlungen im virtuellen Raum“ liegen könnten. Er sprach sich auch für weitreichendere Befugnisse aus, Gesichtserkennungssoftware unter datenschutzrechtlichen Voraussetzungen nutzen zu dürfen.

Alexander Poitz, der Stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Foto: GdP/Kay Herschelmann

Alexander Poitz, der Stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Foto: GdP/Kay Herschelmann

Personalmangel bei Strafvollzugsbeamten – kein Mangel an Insassen

In den derzeit 172 Justizvollzugsanstalten (JVAen) Deutschlands saßen nach Angaben des Statistischen Bundesamts vor anderthalb Jahren genau 44.232 Strafgefangene im geschlossenen oder offenen Vollzug ein. Knapp zwei Drittel von ihnen, nämlich 28.673, besaßen der Statistik zufolge die deutsche Staatsangehörigkeit, die übrigen 15.559 nicht.

Nach Informationen der „Tagesschau“ war die Gesamtzahl der Inhaftierten im Juli 2024 auf 55.700 gestiegen, die JVAen klagten über einen „dramatischen Personalmangel“ und eine zu geringe Bezahlung der Strafvollzugsbeamten. Aktuellere Angaben liegen Epoch Times derzeit nicht vor.

Nach Angaben der „Bild“ (Bezahlschranke) sind die deutschen Gefängniszellen derzeit zu 70 bis 90 Prozent belegt. Um im Maximalfall alle Untergetauchten einsperren zu können, würde die Kapazität nach Meinung von Heiko Teggatz, dem Stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) bei Weitem nicht ausreichen. In Bayern werden nach „Bild“-Informationen in Passau und Marktredwitz neue Haftanstalten gebaut. Die neue Passauer JVA solle 450 Häftlingen Platz bieten, jene in Marktredwitz 364.

Über mangelnde Platzkapazitäten in den Gefängnissen oder generell bei der Justiz konnte sich GdP-Bundesvize Poitz nicht äußern: Diese Frage betreffe die Justiz, nicht die Polizei. Dasselbe gelte für die Statistik jener Menschen, die nach ihrer Abschiebung routinemäßig zur Fahndung ausgeschrieben würden, damit sie bei einem Wiedereinreiseversuch sofort festgesetzt werden könnten: Über die genaue Anzahl solcher Fälle lägen der GdP keine Erkenntnisse vor.

2023 waren laut „Statista“ 16.430 Personen abgeschoben worden, während in derselben Zeit 351.815 Anträge auf Asyl gestellt wurden. Von Januar bis August 2024 wurden 174.369 Asylanträge gestellt.

GdP: „Deutschland ist ein sicheres Land und soll es bleiben“

Zu besonderer Sorge gebe es trotz alldem keinen Anlass, betonte Polizeigewerkschafter Poitz: „Deutschland ist ein sicheres Land und soll es bleiben“. Es gebe daher nach vielen Jahren des Sparens bei den Sicherheitsbehörden und politischem Streit um erweiterte digitale Befugnisse der Polizeien einen „Optimierungsbedarf“, was die innere Sicherheit angehe.

Die Fahndung nach untergetauchten Personen, gegen die ein Haftbefehl vorliege, mache im Alltag ohnehin nur „einen geringen Prozentsatz der Polizeiarbeit“ aus, erklärte Poitz. Vollstreckbare Haftbefehle würden „turnusmäßig“ anhand der zuletzt bekannten Adressdaten eines Gesuchten wieder „aufgerufen“. Dann gingen Polizeibeamte der Sache nach – eben mit mehr oder weniger Erfolg. Der Löwenanteil der Arbeit eines Polizeibeamten bestehe im Streife fahren, in der Reaktion auf Notrufe, in der „Prävention im öffentlichen Raum“ oder auch in der Aufnahme von Anzeigen.

Effekte des Selbstbestimmungsgesetzes abwarten

Das neue Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) der Bundesregierung, nach dem Vorname und Geschlecht einer Person per Willenserklärung geändert werden können, berge durchaus eine gewisse „Besorgnis“, räumte Poitz ein.

Er hoffe, dass das Sicherheitsinteresse der Strafverfolgungsbehörden dadurch nicht beeinträchtigt werde. „Wie die Prozesse aussehen werden, wird die Praxis zeigen“, sagte Poitz. Das SBGG tritt am 1. November 2024 in Kraft.

Die GdP hatte zuletzt öffentlich „mehr Befugnisse im Anti-Terror-Kampf“, mehr spezialisiertes Ermittlerpersonal, eine „Digitaloffensive“ inklusive erhöhter „Online-Befugnisse“, mehr „Ermittlungsbefugnisse auf Augenhöhe“ im Kampf gegen das organisierte Verbrechen und mehr Geld für die innere Sicherheit allgemein gefordert.

Immer mehr Aufgaben für die Sicherheitsbehörden

Es gehe „noch deutlich mehr, um die die Sicherheitsbehörden angesichts der heterogenen Sicherheitsbedrohungen für die Bundesrepublik nachhaltig zu stärken“, hieß es in der jüngsten Pressemitteilung der GdP vom 12. September 2024: „Die bislang im Haushalt 2025 veranschlagte eine Milliarde mehr für die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt und den Bundesverfassungsschutz“ sei nur als „ein erster richtiger Schritt“ zu betrachten, meinte der GdP-Bundesvorsitzende Jochen Kopelke. „Mehr Polizisten und modernste Ausrüstung müssen auch noch in 2024 zusätzlich finanziert werden.“

Schließlich kämen angesichts des jüngst auf den Weg gebrachten „Sicherheitspakets“ weitere Aufgaben auf die Beamten zu – etwa bei den Verschärfungen des Waffenrechts; oder speziell bei der Bundespolizei in Bezug auf erweiterte Grenzsicherungsaufgaben. Kopelke:

Es muss angesichts der Bedrohungslage und der gesamten Kriminalitätsentwicklung in unserem Land eine gemeinsame kräftige Finanzierung der hohen Bedarfe der Sicherheitsbehörden geben. Es braucht ein gemeinsames Sondervermögen innere Sicherheit. Wer mehr Polizisten auf der Straße sehen will, muss die großen Digitalprojekte der Polizeien sofort umsetzen. Damit werden Kräfte freigesetzt. Wir benötigen zusätzlich mehr Bereitschaftspolizisten und schweres Gerät; für das, was da noch kommt.“



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