Wirtschaft hofft auf Ende der Brexit-Unsicherheit – Anleger erwarten „Boris-Boom“
Die deutsche Wirtschaft begrüßt das klare Wahlergebnis in Großbritannien. „Der politische Nebel in London lichtet sich. Mit dem Wahlausgang ist der Auftrag verbunden, das Austrittsabkommen jetzt rasch anzunehmen“, erklärte der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Kein Unternehmen in Deutschland wolle den Brexit. „Trotzdem atmen unsere Unternehmen auf, dass endlich ein Mandat für die Annahme des Austrittsvertrages vorliegt.“ Auszugehen sei von einem Austritt zum 31. Januar.
Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) forderte „schnellstens eine Entscheidung beim Brexit“. Noch immer drohe ein No-Deal, warnte der Verband. Die anhaltende Unsicherheit seit dem Referendum im Juni 2016 habe zu einem Rückgang der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich geführt.
„Auch für die Zukunft sieht es nicht besser aus, denn laut aktueller DIHK-Umfrage erwartet mehr als die Hälfte der deutschen Unternehmen in Großbritannien für 2020 eine schlechtere wirtschaftliche Entwicklung im Land“, erklärte DIHK-Präsident Eric Schweitzer. Aufgrund der Unklarheit über die künftigen Wirtschaftsbeziehungen seien die deutschen Unternehmen vor Ort zurückhaltend bei ihren Investitions- und Beschäftigungsplänen. Deutsche Unternehmen haben demnach in Großbritannien 2500 Niederlassungen und beschäftigen über 400.000 Mitarbeiter.
Freihandelsabkommen notwendig
„Mit dem Austritt Großbritanniens beginnt zunächst die Übergangszeit, in der für Großbritannien zunächst alle Regeln des Binnenmarktes weitergelten und sich so nichts für die Wirtschaft ändert“, erklärte Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. „In dieser Zeit muss Großbritannien ein neues Freihandelsabkommen mit der EU aushandeln.“
„Jetzt müssen die EU und Großbritannien mit Hochdruck an einem Freihandelsabkommen arbeiten“, forderte der Maschinenbauerverband VDMA. „Gelingt dies nicht, gehen die mit einem harten Brexit verbundenen Diskussionen und Unsicherheiten Ende 2020 wieder los“. Sollte keine Einigung gelingen, „könnte es doch noch zu einem harten Brexit komme“, warnte der Außenhandelsverband BGA. Ifo-Präsident Clemens Fuest schätzt es als schwierig ein, „innerhalb der Übergangsfrist bis Ende 2020 ein Freihandelsabkommen zu vereinbaren“.
Zumindest kurzfristig sorgt der Sieg von Johnsons Tories aber für wirtschaftliche Klarheit. Nach der Wahl sei ein „Exit vom Brexit“ nun nicht mehr möglich, erklärte Gabriel Felbermayr, Präsident des IfW Kiel – auch wenn weiter „maximal unsicher“ sei, ob es „zu einem weichen oder harten oder smarten Deal mit der EU kommt“.
Investitionen sollen für „Boris-Boom“ sorgen
Angekündigt hat Johnson unter anderem auch milliardenschwere Investitionen. Die Nettoinvestitionen des öffentlichen Sektors würden damit wieder „auf ein historisch hohes Niveau steigen“, kommentierte Fondsmanager John Stopford von Investec AM. „Wir erwarten eine weitere Erholung des Pfunds und der britischen Inlandsaktien aufgrund der gesunkenen Unsicherheit und der Beseitigung des Risikos einer marktunfreundlichen Politik“. Die Märkte würden einen kleinen „Boris-Boom“ erwarten.
Die Konservativen von Boris Johnson erzielten bei der Parlamentswahl in Großbritannien einen deutlichen Sieg. Sie kommen laut Medienberichten nach den vorliegenden Endergebnisse aus 647 von 650 Wahlkreisen auf 362 Sitze im Unterhaus, womit die Schwelle zur absoluten Mehrheit deutlich überschritten ist.
Aktienmärkte im Aufwärtstrend
Der Wahlsieg der Tories, die nach der jahrelangen Hängepartie im britischen Parlament künftig die absolute Mehrheit der Abgeordneten stellen, beflügelte am Freitag die Aktienmärkte. Die Börse in London öffnete am Morgen zwar zunächst leicht im Minus, drehte dann aber bereits nach wenigen Minuten ins Plus. Auch an den anderen europäischen Börsen stiegen die Kurse. Die britische Währung hatte bereits in der Nacht kräftig zugelegt. Das Pfund übersprang erstmals seit Mai 2018 die Marke von 1,35 Dollar; der Anstieg war der stärkste binnen eines Jahrzehnts.
Analysten begründeten die Feierstimmung an der britischen Börse damit, dass nun die jahrelange Unsicherheit der Unternehmen signifikant zurückgehe. Für die Wirtschaft sei der Wahlausgang „das perfekte Ergebnis“, kommentierte Analyst Neil Wilson von Markets.com. Zudem sei das „Corbyn-Risiko komplett zunichte gemacht“ worden. Labour-Chef Jeremy Corbyn, der bei der Wahl mit seiner Partei in der Gunst der britischen Wähler regelrecht abgestürzt war, hatte im Wahlkampf unter anderem mit Verstaatlichungen geworben und damit viele marktliberale Wirtschaftsvertreter verschreckt.
Die Tories haben mit dem deutlichen Wahlsieg nun freie Bahn für einen EU-Austritt Großbritanniens zum 31. Januar. Offen ist immer noch, wie genau die künftigen Beziehungen zur EU aussehen. (afp)
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