Brüssel droht Polen bei Richterentlassung mit Stimmrechtsentzug in der EU – Polen spricht von „Erpressung“
Im Streit um die Justizreform in Polen hat die EU-Kommission ihr schwerstes Geschütz aufgefahren: Die Behörde drohte am Mittwoch, sie werde „sofort“ ein Verfahren zum Stimmrechtsentzug einleiten, wenn Warschau Richter des Obersten Gerichtshofs in den Ruhestand zwinge.
Für den Fall des Inkrafttretens anderer Reformteile hat die Behörde bereits ein Vertragsverletzungsverfahren beschlossen, das zu empfindlichen Geldbußen führen kann. Polen warf Brüssel „Erpressung“ vor.
Die Kommission setzte Warschau eine Frist von einem Monat. Die nationalkonservative Regierung in Warschau müsse bis dahin „Gesetze zur Reform des Justizwesens entweder zurückziehen oder sie in Übereinstimmung mit der polnischen Verfassung und europäischen Standards zur Unabhängigkeit des Justizwesens bringen“.
Polen wird „keine Erpressung von Seiten von EU-Funktionären akzeptieren“
Polens Regierung reagierte empört. „Wir werden keine Erpressung von Seiten von EU-Funktionären akzeptieren“, sagte Regierungssprecher Rafal Bochenek der polnischen Nachrichtenagentur PAP. Alle von der polnischen Regierung angestrebten Änderungen stünden im Einklang „mit der Verfassung und demokratischen Regeln“.
Die Kommission liegt seit Anfang 2016 mit Warschau im Clinch, als die Regierung aus ihrer Sicht die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts beschnitt. Damals leitete Brüssel ein Verfahren zur Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit in Polen ein – erstmals überhaupt in der EU-Geschichte.
Alle Versuche, darauf im Dialog oder mit Empfehlungen zum Ziel zu kommen, scheiterten jedoch. Warschau trieb in den vergangenen Wochen dann weitere Justizreformen voran – trotz Protesten. Dazu gehört ein Gesetz, das es dem Justizminister ermöglicht, Richter des Obersten Gerichtshofs in den Ruhestand zu schicken.
Präsident Duda legte Veto ein
Gegen dieses Gesetz sowie ein weiteres zur Reform des Landesrichterrates hatte Polens Präsident Andrzej Duda am Montag überraschend sein Veto eingelegt. EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermans begrüßte dies am Mittwoch, verwies aber gleichzeitig auf nicht blockierte Teile der Reform. „In der vergangenen Woche haben sich einige Dinge in Polen verändert, einige aber nicht“, sagte er.
Bereits in Kraft ist seit Mitte Juli ein Gesetz zur nationalen Hochschule für Gerichtsbarkeit. Und Duda unterzeichnete am Dienstag ein viertes Gesetz, wonach der Justizminister künftig alle leitenden Richter an den gewöhnlichen Gerichten einschließlich der Berufungsgerichte ernennen oder entlassen kann.
Wegen dieses Gesetzes droht Polen nun ein Vertragsverletzungsverfahren, das zu einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof und Geldstrafen führen kann. Es werde eingeleitet, sobald die Regelung veröffentlicht und damit in Kraft getreten sei, erklärte die Kommission am Mittwoch.
Timmermans droht mit Stimmrechtsentzug
Als schwerer stuft Brüssel das derzeit durch Dudas Veto blockierte Vorgehen gegen den Obersten Gerichtshof ein. Die EU verlange, „dass die polnische Regierung keinerlei Maßnahmen einleitet, um Richter des Obersten Gerichtshofs zu entlassen oder in den Ruhestand zu zwingen“, sagte Timmermans. Andernfalls werde die Kommission „sofort das Verfahren zu Artikel 7“ des EU-Vertrags auslösen, das bis zu einem Stimmrechtsentzug führen kann.
Schon die Auslösung wäre ein bisher einzigartiger Schritt. Über Sanktionen müssten dann aber die anderen EU-Länder entscheiden. Als Voraussetzung für die Einschränkung von Rechten Polens oder den Stimmrechtsentzug ist dabei ein einstimmiger Beschluss nötig. Ungarns Regierungschef Viktor Orban hat bereits klar gemacht, dass er ein Vorgehen gegen Warschau nicht mittragen würde. (afp)
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