EU möchte Migranten ohne Asylanspruch konsequenter abschieben
In Europa ist die Asyl- und Migrationspolitik ein Streitpunkt. Einigkeit hat es kaum gegeben. Es gibt keine verbindlichen Aufnahmeregelungen, an die sich alle EU-Mitgliedstaaten halten. Gemeinsame Lösungen, wenn sie vereinbart wurden, standen am Ende nur auf dem Papier. Das ist bekanntlich geduldig.
Im Sommer letzten Jahres gab es ein Modell der Kommission zur „freiwilligen Solidarität“ bei der Aufnahme von Flüchtlingen, die eine Aussicht auf Asyl haben. Länder wie Österreich und Ungarn machten damals nicht mit. Der Plan scheiterte daher schnell. Innerhalb dieses Projektes wurden nur 117 Menschen verteilt, obwohl 8.000 vereinbart waren.
Schengen-Debatte wirkte wie eine Ersatzdebatte über die Asylpolitik
Die beiden EU-Mitgliedstaaten Rumänien und Bulgarien erlebten Ende des letzten Jahres, wie eng Asylpolitik und EU-Freizügigkeit zusammenhängen. Der Schengen-Raum, eine Zone, in der die Länder ihre Binnengrenze für den freien und uneingeschränkten Personenverkehr freigegeben haben, sollte um die Länder Kroatien, Rumänien und Bulgarien erweitert werden. Dagegen regte sich vor allem Widerstand aus Österreich und den Niederlanden. Am Ende wurde Kroatien aufgenommen. Bulgarien und Rumänien mussten aber draußen bleiben.
Österreichs Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) hatte schon im Vorfeld das Veto seiner Regierung gegen die Aufnahme beider Länder angekündigt. Der Minister begründete die Entscheidung am Ende innenpolitisch mit der hohen Anzahl von Asylanträgen in Österreich und forderte weitere Maßnahmen der EU-Kommission. „Es ist falsch, dass ein System, das an vielen Stellen nicht funktioniert, an dieser Stelle auch noch vergrößert wird.”, so Karner damals. Es habe bis Dezember mehr als 100.000 illegale Grenzübertritte nach Österreich gegeben. Davon seien 75.000 nicht registriert gewesen. Ein weiterer Beweis dafür, dass das System derzeit nicht funktioniere, würden die zahlreichen Kontrollen an den Binnengrenzen im Schenge-Raum zeigen. Österreichs Innenminister sprach sich damals für eine Verschiebung der Abstimmung über die beiden Beitrittskandidaten Rumänien und Bulgarien aus. „Es ist jetzt die Unzeit dazu, diesen Schritt zu machen.“
Die Niederlande wendeten sich vor allem gegen einen Beitritt Bulgariens in den Schengen-Raum. Begründet wurde das Veto mit rechtsstaatlichen Bedenken. Der niederländische Ministerpräsident, Mark Rutte, hatte zuvor gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk „NOS“ das Veto seines Landes damit begründet, dass er die „Möglichkeit ausschließen will, die Grenze zwischen der Türkei und dem Schengen-Raum in Bulgarien mit einer 50-Euro-Banknote illegal zu überqueren.“ Damit unterstellte Rutte, Bulgarien lasse Korruption an der Grenze zu.
Bulgarien zeigte sich daraufhin über diese Form des Umgangs verärgert. Präsident Rumen Radev erinnerte daran, dass vor Kurzem drei bulgarische Polizisten getötet wurden, die die EU-Außengrenze schützten. „Statt europäischer Solidarität erhält Bulgarien Zynismus“.
Der bulgarische Generalstaatsanwalt Ivan Geshev fordert als Reaktion auf die Äußerungen Ruttes, dass die Niederlande, Daten über Bestechungsfälle liefern sollten, damit diese untersucht und vor das bulgarische Gericht gebracht werden können.
68 Prozent mehr illegal eingereiste Flüchtlinge im vergangenen Jahr
Nach Angaben der Grenzschutzagentur Frontex waren es bis November 308.000 Migranten und Flüchtlinge, die irregulär eingereist sind. Im Vergleich zum Jahr 2021 ist das ein Anstieg um 68 Prozent. Das setzt die EU weiter unter Handlungsdruck. Viele abgelehnte Asylbewerber reisen weder aus noch werden abgeschoben. Laut vorläufiger Zahlen der Europäischen Kommission, wurden 2022 nur 23,3 Prozent ausreisepflichtige Migranten abgeschoben. Das bedeutet, dass knapp jeder vierte ausreisepflichtige Asylbewerber wieder in sein Heimatland zurückkehrt.
Die EU-Kommission hat mit 18 Drittstaaten verbindliche Rückführungsabkommen. Mit sechs weiteren Ländern gibt es rechtlich unverbindliche Abkommen. Das ist nicht viel, zumal sich bisher wichtige Länder wie Tunesien, Marokko oder Ägypten weigern, die Flüchtlinge wieder aufzunehmen. Die EU möchte jetzt aber gegensteuern. Das hat die zuständige EU-Innenkommissarin Ylva Johansson bei der Vorstellung des Fünfpunkteplans gegen illegale Migration angekündigt. Bis Ende 2023 möchte sie das Ruder bei der Rückführung herumgerissen haben. Nun müsse man politische Entschlossenheit mit den Verwaltungskapazitäten zusammenfügen.
Sonderbeauftragte und verstärkte Unterstützung bei Rückführung durch Frontex
Dass es die EU-Kommission ernst meint, das soll die geplante Ernennung einer Sonderbeauftragten für die Rückführung unterstreichen. Das Amt soll die Belgierin Mari Juritsch übernehmen. Intensiv soll sie in der Frage der Rückführung mit den Mitgliedstaaten der EU zusammenarbeiten. Weiter kündigt Johansson an, dass auch Frontex ihre Unterstützung für Rückführungsoperationen wesentlich verstärken wird.
Vorschläge Österreichs nur teilweise umgesetzt
Österreich ist mit 80.000 neu registrierten illegalen Migranten im Jahr 2022 besonders hart betroffen. Daher hatte Innenminister Gerhard Karner, als er sich im November mit seinen EU-Amtskollegen traf, um über die Asyl-Situation zu beraten, einen Fünf-Punkte-Plan dabei. Zuvor hatte er schon in einem Brief an die EU-Kommission für seine Vorschläge geworben.
Dieser Plan Karners umfasse effektive Grenzkontrollen und die Finanzierung baulicher Maßnahmen an der Außengrenze durch die EU-Kommission, ein Pilotprojekt für Verfahrenszentren an der Außengrenze sowie eine „Zurückweisungsrichtlinie“ analog zur Vertriebenenrichtlinie, die keine Einzelfallprüfung erforderlich macht. Außerdem schlägt Karner Asylverfahren in sicheren Drittstaaten und die leichtere Aberkennung des Schutzstatus von straffälligen Personen vor.
Die EU-Kommission hat einige Punkte in ihrem Aktionsplan zur Eindämmung der Migration auf der Westbalkanroute aufgenommen. Der Brüsseler Vorschlag sieht stärkere Grenzkontrollen und den Einsatz der EU-Truppe Frontex sowie EU-Unterstützung bei Rückführung abgelehnter Asylsuchender vor. Nicht enthalten sind darin aber etwa die von Österreich geforderte Zurückweisungsrichtlinie sowie Asylverfahren in sicheren Drittstaaten.
Auch bei der Beratung mit seinen europäischen Amtskollegen konnte der Minister diese nicht von den letzten beiden Punkten überzeugen. Eine Mehrheit gibt es daher für diese Vorschläge bisher nicht.
Johansson setzt auf einen gesamteuropäischen Ansatz
In der Onlineausgabe der Zeitung „WELT“ erklärte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson am vergangenen Mittwoch nun noch einmal ihre Strategie. „Ich erwarte im Jahr 2023 weitere Fortschritte im Migrationsmanagement, weil die Mitgliedstaaten den Wert eines gemeinsamen europäischen Ansatzes sehen. Das vergangene Jahr hat gezeigt, dass wir einen Gesamtansatz brauchen (‚whole-of-route perspective‘)“, so Johansson.
Laut der Innenkommissarin gehören zu dieser Strategie, neben besseren Möglichkeiten von legaler Migration, neuen Programmen gegen Menschenschmuggel, Investitionen in verbesserten Klimaschutz in Afrika und die stärkere Zurückführung illegaler Migranten auch die bessere Entwicklung von „Partnerschaften“ mit Herkunfts- und Transitländern.
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