Ein Rechtsanwalt rechnet ab: „Politik und Justiz haben versagt“
Der Rechtsanwalt Sebastian Lucenti hat schwere Vorwürfe gegen Teile der deutschen Legislative, Exekutive und Judikative erhoben. Ihr Umgang mit der Corona-Krise sei häufig nicht verhältnismäßig gewesen, legt er in seiner zweiteiligen Analyse für die „Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht“ vom 10. März ausführlich dar. Die beiden Aufsätze lesen sich fast wie eine Anklageschrift – Punkt für Punkt.
Von Haus aus ein Experte für Baurecht, nimmt Lucenti fast jedes Regierungsargument über die Existenz einer „medizinischen Notlage nationaler Tragweite“ auseinander, zerpflückt die Standpunkte der Verantwortungsträger, prangert eine „Vielzahl schwerer Fehler und Unterlassungen“ an.
Keine Überlastung des Gesundheitssystems
Speziell der Gesetzgeber habe seinen „staatlichen Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum […] längst überschritten“. Eine Überlastung des Gesundheitssystems, die zur Einführung von Maßnahmen stets als Begründung angeführt worden sei, habe es in Deutschland nie gegeben, argumentiert Lucenti.
Seiner Ansicht nach bedarf es einer Reform des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) und einer „umfassenden kritischen“ Ermittlung des Sachverhalts bezüglich der mittelbaren Impfpflichten. Außerdem fordert er „eine umfassende Analyse, Aufarbeitung und Beseitigung der Ursachen, die dazu geführt haben, dass Menschen gegenüber Grundrechtseingriffen von historischem Ausmaß effektiver Rechtsschutz ganz überwiegend systematisch versagt geblieben ist“.
Die Strategie, Maßnahmen für alle zu erlassen, statt sich auf gefährdete Gruppen zu beschränken, habe immensen Schaden verursacht. Schon die „Sachverhaltsermittlung unter Ausschöpfung aller verfügbaren Erkenntnisquellen“ sei vom Gesetzgeber dafür nicht erbracht worden. Die bisherige „Sachverhaltsermittlung“ genüge jedenfalls nicht, um auch nur eine Impfpflicht zu begründen – sei sie nun unmittelbar für alle oder nur mittelbar für bestimmte Gruppen wie Soldaten oder das Gesundheitspersonal.
BVerfG „erkennbar rechtsfehlerhaft“
Dass das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Eilanträge und Verfassungsbeschwerden gegen die Corona-Politik, insbesondere gegen Impfpflichten, abgeschmettert hatte, hält Lucenti für einen Fehler: Das BVerfG habe bei der Prüfung von Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit unter Berücksichtigung der Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit der mRNA-Impfstoffe „erkennbar rechtsfehlerhaft“ gehandelt, indem es „der pauschalen Behauptung des RKI und der Aussage des PEI, es gebe keine Spätfolgen bei Impfstoffen“, in seiner Entscheidung vom 27. April 2022 „unbesehen gefolgt ist“. Allein dies ist für Lucenti schon „nicht akzeptabel“.
Außerdem habe das Bundesverfassungsgericht seine Begründung für die Rechtmäßigkeit der Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen bei seinem Beschluss vom 19. November 2021 „widerspruchslos“ auf einen schon damals längst überholten, acht Monate alten MODUS-COVID-Bericht gestützt, der zudem von einem Team um den „fachfremden“ Verkehrssystemplaner Prof. Dr. Kai Nagel stammte.
Ein ebenfalls älterer Warnhinweis „führender deutscher Aerosolforscher“ sei vom BVerfG dagegen ausgeblendet worden. Auch beim Entscheid zur Bundesnotbremse sei kein einziger kritischer Wissenschaftler gehört worden – das BVerfG habe stattdessen dem Charité-Chefvirologen Prof. Christian Drosten vertraut.
Angebracht sei nun vielmehr eine „umfassende kritische“ Ermittlung des Sachverhalts durch die Gerichte. Denn die umstrittenen Entscheidungen des BVerfG seien nicht in Stein gemeißelt, betont Lucenti:
Neue wissenschaftliche Erkenntnisse oder die Feststellung der Unrichtigkeit von gesetzgeberischen Annahmen ermöglichen es, selbst eine zunächst als verfassungsgemäß bewertete gesetzliche Regelung auf jeder Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung zukünftig als verfassungswidrig anzusehen.“
Keine Kennwerte, PCR-Test ohne Beweiskraft
Noch nicht einmal eine wissenschaftlich korrekte „Bewertung der Gefährdungslage“ sei je erfolgt: Bis heute lägen keine eindeutigen „Kennwerte“ – weder die Infektionssterblichkeit noch Anteil oder Aufenthaltsdauer auf Intensivstationen noch die Statistik zu einer eventuellen Übersterblichkeit – vor, anhand derer man verlässliche Aussagen über eine „medizinische Notlage nationaler Tragweite“ treffen könnte.
Zu keinem Zeitpunkt habe je „eine wissenschaftliche Evidenz für einen Kausalzusammenhang der [per PCR-Test] ermittelten Inzidenzen, einem Grenzwert für eine 7-Tagesinzidenz und steigender COVID-19-Hospitalisierungen und Todesfällen“ bestanden. Die „allein aus positiven PCR-Tests abgeleiteten Fallzahlen“ hätten „keinerlei Beweiskraft“, gab Lucenti unter Verweis auf das „Ärzteblatt“ zu bedenken.
Eine aktuelle Studie von Prof. Ulrike Kämmerer et al., die erst vor wenigen Tagen im Fachblatt „International Journal of Vaccine Theory, Practice and Research“ (PDF) erschienen ist, scheint ihm recht zu geben. Wie „report 24“ schreibt, „ergaben [die Corona-Maßnahmen] nicht nur keinen Sinn, sondern beruhten auf einer völlig falschen wissenschaftlichen Basis, dem Drosten-PCR-Test“.
Mindestanforderungen an „gutes Gesetz“ verfehlt
Bis heute gebe es auch keine Differenzierung von „an oder mit“ Corona Verstorbenen, obwohl die korrekte Beurteilung einer Gefährdungslage diesen Unterschied zwingend notwendig machen würde, meint Lucenti. Und weder die Coronaschutzverordnungen der Länder noch das Infektionsschutzgesetz erfüllten bis heute die Mindestanforderungen an ein „gutes Gesetz“.
Insgesamt diagnostiziert der Jurist eine „fatale Weigerung der Rechtsprechung, beachtliche wissenschaftliche Erkenntnisse – abseits der vorselektierten zweifelhaften Datenerhebung des RKI und des PEI – zur Kenntnis zu nehmen, sich mit dem Zustandekommen dieser Zahlenwerke zu beschäftigen und die Ergebnisse im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigen.“
Kritik an PEI-Impfsurveillance
Mit Blick auf die Arbeit des PEI, das die Sicherheit und Wirksamkeit der Impfstoffe im Rahmen der „Impfsurveillance“ ständig zu überwachen habe, argumentiert Lucenti ähnlich wie der Datenanalyst Tom Lausen: Angesichts einer hohen Dunkelziffer und bei zum Teil explodierenden Verdachtsfällen wäre nach Artikel 13 Absatz 5 des IfSG eine „unverzügliche Detailanalyse aller Krankenkassendaten dringend geboten“. Diese aber existierten bis heute nicht öffentlich.
Der Umstand, dass das PEI keine Nachforschungen aus den verfügbaren Krankenkassendaten anstellt, um Klarheit über das Ausmaß der Untererfassung von unerwünschten Impfnebenwirkungen der COVID-19-Impfstoffe zu gewinnen, begründet ernsthafte Zweifel an der Unabhängigkeit und Zuverlässigkeit des Gremiums.“ (Sebastian Lucenti)
Auch das RKI habe „wesentliche Aufgaben“ von Beginn an und bis heute derart „mangelhaft erfüllt“, dass „seitens der Verwaltungsgerichte und des BVerfG längst […] erhebliche Zweifel“ angebracht gewesen wären. Diesen Zweifeln könne man begegnen, indem man für mehr Transparenz, Meinungsvielfalt und vor allem unabhängige Expertisen sorge, schlägt Lucenti vor. Reformen müssten her:
Das IfSG ist im Hinblick auf die Feststellung und Bewältigung einer medizinischen Notlage evidenzbasiert zu reformieren. Hierzu gehört, die dem RKI und PEI zugewiesene Rolle dahingehend zu ändern, diesen die alleinige Datenerhebungs- und Datendeutungshoheit zu entziehen. Die Stellung und Gewichtung des RKI im Rahmen des § 4 IfSG ist auf eine Stimme eines weisungsunabhängigen interdisziplinär besetzten Expertengremiums außerhalb des Einflussbereichs des Bundesgesundheitsministeriums zu reduzieren.“
Die beiden Artikel von Sebastian Lucenti sind kostenfrei im Internet verfügbar:
- Keine „Lex-COVID-19“ für Corona-Maßnahmen – Teil I
Das Ende des verfassungsrechtlichen Tunnelblicks auf staatliche Entscheidungen unter Unsicherheiten - Keine „Lex-COVID-19“ für Corona-Maßnahmen – Teil II
Unverhältnismäßigkeit einer mittelbaren und unmittelbaren Impfpflicht gegen COVID-19
Maaßen lobt Lucentis Analyse
Die Analyse fand bereits den Beifall von Ex-Verfassungsschutzchef Hans Georg Maaßen (Twitter) und vom Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte e.V.
Das Bundesministerium für Gesundheit und das Robert Koch-Institut wollten sich zu den Vorwürfen Lucentis nicht äußern. Man kommentiere „grundsätzlich“ beziehungsweise „generell“ keine Äußerungen Dritter, ließen sie die Epoch Times auf Anfrage wissen. Stellungnahmen des Paul-Ehrlich-Instituts und des Bundesverfassungsgerichts stehen noch aus.
Auch Lucenti selbst zog es vor, sich nicht näher zum bisherigen Feedback auf seine Analyse zu äußern: Er wolle „aus besonderen Gründen zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keine Stellungnahme gegenüber Pressevertretern abgeben“, schrieb er der Epoch Times auf Anfrage.
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