Zweiter Frühling ohne Wagenknecht? Linkspartei freut sich über mehr Ein- als Austritte

Seit der Ankündigung der Gründung des BSW durch Sahra Wagenknecht haben 224 Mitglieder die Linkspartei verlassen. Demgegenüber hat sie 422 Neu- oder Wiedereintritte zu verzeichnen. In Berlin hat sich ein Landtagsabgeordneter dem BSW angeschlossen.
Titelbild
Linkspartei-Logo auf Parteitag (Archiv).Foto: über dts Nachrichtenagentur
Von 31. Oktober 2023

Vor etwas mehr als einer Woche haben Sahra Wagenknecht und mehrere weitere prominente Politiker ihren Austritt aus der Linkspartei erklärt. Gleichzeitig haben sie den Verein Bündnis Sahra Wagenknecht – Für Vernunft und Gerechtigkeit e. V. (BSW) vorgestellt. Dieser soll bis Anfang des nächsten Jahres die Gründung einer gleichnamigen Partei vorbereiten.

Im Bundestag haben neben Wagenknecht neun weitere Abgeordnete die Linkspartei verlassen – und spätestens mit dem Abschluss der Parteigründung wird auch die Linksfraktion Geschichte sein. Am 7. November will diese darüber entscheiden, ob die BSW-Anhänger bis dahin Mitglieder der Fraktion bleiben dürfen. Ein „Nein“ zu dieser Option hätte eine sofortige Selbstauflösung zur Folge und damit das Ende der Arbeitsverträge mit Dutzenden Mitarbeitern.

Nur noch 54.000 Genossen – die PDS hatte 1989 knapp 300.000 Mitglieder

Meinungsumfragen räumen der Wagenknecht-Formation bundesweit deutlich größere Erfolgschancen als der Linkspartei ein. Diese hatte in den vergangenen Jahren eine Serie von Wahlniederlagen zu verkraften.

Auch die Zahl der Mitglieder ist stetig zurückgegangen. Dies gilt selbst dann, wenn man 2,3 Millionen Mitglieder der DDR-Staatspartei SED und 285.000 verbliebene Mitglieder der Nachfolgepartei PDS im Jahr 1990 ausklammert.

Die aus deren Zusammenschluss mit der westdeutschen Anti-„Hartz IV“-Plattform WASG entstandene Partei Die Linke wies im Jahr 2009 noch 78.000 Mitglieder auf. Im Vorjahr waren es nur 54.000 Genossinnen und Genossen.

Linkspartei freut sich über Nettozuwachs bei Mitgliedern im Wochenvergleich

Nun sieht Bundesgeschäftsführer Tobias Bank jedoch einen Silberstreifen am Horizont. Wie er gegenüber dem „Spiegel“ darlegt, stünden 224 Parteiaustritten seit der Vorstellung des BSW 422 Neueintritte gegenüber.

Dieser Nettozuwachs an Mitgliedern stützt das bereits seit längerer Zeit gepflegte Narrativ der Linkspartei, wonach diese sich nicht trotz, sondern durch Wagenknecht in der Krise befinde. Bereits im Vorjahr meldete die Bundesgeschäftsführung den Verlust von 809 Mitgliedern zwischen dem 8. September und dem 10. Oktober.

Die Meldung über diesen ungewöhnlichen Zeitraum – üblich sind Jahresmeldungen bezüglich der Mitgliederzahlen – sollte explizit diese Erzählung stützen. Der 8. September war der Tag, an dem Sahra Wagenknecht im Bundestag Kritik an der Russlandpolitik der Bundesregierung geäußert hatte. Dabei warf sie dieser vor, einen „beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten“ zu führen.

Erster Übertritt zum BSW im Abgeordnetenhaus

Ob und in welchem Ausmaß es sich bei den Neueintritten um Personen handelt, die vor einem Jahr nach der Wagenknecht-Rede ausgetreten waren, lässt Bank offen. Er äußert jedoch auch, dass der Austritt der Politikerin in der Partei ein „ganz großes Aufatmen“ bewirke. Das BSW sei inhaltlich „ein Kessel Buntes“ und müsse „erst mal liefern“.

Auch in Berlin stehen 64 Neueintritte seit dem Wagenknecht-Austritt nur 29 Personen gegenüber, die die Partei verlassen hätten. Einer davon ist jedoch Mitglied des Abgeordnetenhauses. Obwohl sich die Linkspartei in Berlin aufgrund jahrelanger Regierungserfahrung als stabil wahrnimmt, büßt auch sie jetzt einen Landtagsabgeordneten ein.

Wie das „Neue Deutschland“ schreibt, hat MdA Alexander King am vergangenen Freitag, 27. Oktober, seinen Austritt aus der Linkspartei erklärt. Er sehe im BSW eine „Chance, den Rechtsruck in der deutschen Politik zu bremsen und umzukehren“.

King: „Kein Umdenken“ in Linkspartei zu erkennen

Der Linkspartei gelinge es nicht mehr, „das gesamte Spektrum derjenigen zu erreichen, die mit der derzeitigen Politik unzufrieden und für eine sozial gerechte, wirtschaftlich vernünftige, freiheitliche und friedliche Politik ansprechbar sind“.

Die Parteiführung würde mittlerweile mit den Grünen um die gleiche potenzielle Wählerschaft konkurrieren. Damit lasse sie „einen Teil der herkömmlichen linken Wählerschaft politisch heimatlos zurück“. Auch nach den Wahlniederlagen in Bayern und Hessen sei kein Umdenken erkennbar. So sei es jedoch nicht möglich, Menschen zu überzeugen, die „aus Wut und Protest rechts wählen, obwohl sie nicht rechts sind“.

Der stellvertretende Landeschef Björn Tielebein bescheinigte King zwar eine „gute Sacharbeit“ im Landtag. Er forderte ihn wie die Fraktionsspitze jedoch zur Niederlegung des Mandats auf. Die Mitglieder der Fraktion seien „in der Erwartung gewählt worden, dass sie auf Basis des Linke-Programms Politik machen“.

King erklärte, sein Mandat erst abgeben zu wollen, sobald die neue Partei gegründet sei. Die Linkspartei habe selbst in der Vergangenheit keine Probleme damit gehabt, Wechsler unter Mitnahme ihres Mandats zu begrüßen.

„Warum geht die Linke ohne Wagenknecht nicht durch die Decke?“

Kein Verständnis für die Auffassung der Linken-Spitze, Sahra Wagenknecht sei der Grund für deren Misserfolge, hat auch der frühere EU-Abgeordnete und Ex-Linke Fabio De Masi. Er äußert auf Facebook, die Linkspartei scheine nach wie vor nur noch damit beschäftigt zu sein, sich an Wagenknecht und dem BSW abzuarbeiten.

Dabei müsse nach der Logik ihrer Gegner die Linkspartei „in der Sonntagsfrage durch die Decke gehen, da man ungestört von Wagenknecht die eigene Politik in Reinform verkaufen kann“.
Er wittere „eine gewisse Obsession, von der man sich nicht trennen kann“. Es wäre ein guter Zeitpunkt, selbst programmatisch in die Offensive zu gehen. Allerdings habe die Linke „selbst wirtschafts-, außen- und gesellschaftspolitisch nicht mehr so viel zu bieten […], um breite Schichten der Bevölkerung, die von der aktuellen Politik genervt sind, anzusprechen“. Und da, wo man noch sinnvolle Antworten gebe, „hört keiner mehr zu, weil die eigene Marke beschädigt ist“.



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