Zweite Stufe des Bürgergeldes tritt in Kraft
„Augenhöhe“ ist das Wort, das häufig fällt, wenn es um die zweite Stufe des neuen Bürgergeldes geht. Nachdem die erste Stufe vor einem halben Jahr das von Anfang an mit einem Negativ-Image behaftete Hartz IV ersetzt hatte, treten zum 1. Juli weitere Regelungen in Kraft, die das Leben von Menschen in der Grundsicherung verbessern – sie aber vor allem zurück in den Arbeitsalltag holen sollen.
Das Image der Jobcenter als eine Behörde, bei der Menschen als Bittsteller kommen, soll durch das Bürgergeld massiv geradegerückt werden. Wertschätzung, Kooperation und einfachere Sprache sollen künftig eine Rolle spielen. Was hat sich geändert und was ändert sich noch?
Was hat die Bundesregierung zu der Reform des Bürgergeldes veranlasst?
Die alte Hartz-IV-Regelung hatte zu viele Probleme aufgeworfen, die mit einer einfachen Angleichung der Regelsätze an die gestiegenen Lebenshaltungskosten nicht mehr zu beheben waren. Vor allem aber waren die Gesetze nach Überzeugung der Bundesregierung zu wenig darauf ausgerichtet, Menschen wieder in den Job zu bekommen. Anders als bei Einführung von Hartz IV im Jahr 2005, als Deutschland unter Massenarbeitslosigkeit litt, braucht der Arbeitsmarkt inzwischen jede helfende Hand. Die Rückgewinnung von Langzeitarbeitslosen für den Arbeitsmarkt gilt inzwischen als ein wichtiges Potenzial im Kampf gegen den Arbeitskräftemangel.
Was unterscheidet die zweite von der erste Stufe beim Bürgergeld?
Grob gesagt: Bei der ersten Stufe zum Jahreswechsel ging es vor allem um die Finanzen. Die Regelsätze wurden angehoben, um 53 Euro auf nun 502 Euro für Alleinstehende ohne Kind. In der zweiten Stufe geht es um die Leistungen zur Integration in den Arbeitsmarkt. „Das ist nach 17 Jahren einer der größten Weiterentwicklungsschritte“, sagt Daniel Terzenbach, Vorstand bei der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg. Es gehe darum, Anreize zu schaffen, dass die Menschen Bildungsangebote annehmen. So kann etwa auch die Weiterbildung bezahlt werden – sogar mit Erfolgsprämien. „Bisher war es für einen Langzeitarbeitslosen häufig finanziell attraktiver, einen Ein-Euro-Job anzunehmen als eine längerfristige Qualifizierung“, sagt Terzenbach.
Es geht also um eine nachhaltige Qualifizierung?
Das ist das Ziel. Das Maßnahmenpaket des Bürgergelds soll zum Beispiel Kurzzeitbeschäftigungen für Ungelernte weniger attraktiv machen. Stattdessen will man das Qualifikationsniveau deutlich anheben, etwa mit gestreckten Ausbildungszeiten für Alleinerziehende und vielen anderen Instrumenten. Ein ganzheitliches Coaching etwa für Langzeitarbeitslose ist eines der Instrumente.
70 Prozent der 1,7 Millionen Arbeitslosen in der Grundsicherung sind ohne formalen Berufsabschluss. 880.000 Menschen gelten als Langzeitarbeitslose, davon ist die Hälfte schon mehr als vier Jahre aus dem Berufsleben raus. Als Hartz IV eingeführt worden war, stellte sich die Situation völlig anders dar – damals waren viele gut qualifizierte Menschen arbeitslos geworden und fanden keinen Job mehr. Der Arbeitsmarkt war das Problem, nicht die Qualifizierung. Heute ist es umgekehrt. „Man geht mit dem Bürgergeld viel stärker an die Wurzeln der Langzeitarbeitslosigkeit“, sagt Terzenbach. Die Ursache für Arbeitslosigkeit solle bekämpft werden, nicht das Symptom.
Was kostet die Reform?
Die Maßnahmen sind zum Teil extrem teuer. Beispielsweise wurden im Zuge des Bürgergeldgesetzes auch die zunächst befristeten Maßnahmen des Teilhabechancengesetzes unbefristet weitergeführt. Hier können Arbeitgeber für bestimmte Zeit bis zu 100 Prozent der Lohnkosten erstattet bekommen, wenn sie Langzeitarbeitslose einstellen und langfristig beschäftigen. Allein für das Teilhabechancengesetz werden die Kosten pro Jahr auf mehr als eine Milliarde Euro geschätzt. Die Befürworter sind jedoch sicher, dass sich die Bemühungen langfristig lohnen. „Man kann jetzt keine Wunder erwarten. Das ist eine Investition, die sich in mehreren Monaten oder Jahren auszahlt.“
Was sagen Kritiker zu der Reform?
Vor allem von Seiten der Union kam zum Bürgergeld immer wieder teils heftige Kritik. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) etwa hatte wiederholt betont, das Bürgergeld bedeute eine Abkehr vom Prinzip „Fördern und Fordern“. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hatte erklärt, ein Bürgergeld-Empfänger sei unter Umständen besser gestellt, als jemand, der in seinem Job 2500 Euro brutto verdiene. Solche Berechnungen sind jedoch in der Fachwelt höchst umstritten. Sozialverbände hingegen bemängeln, die Erhöhung der Regelsätze sei nicht ausreichend, um die gestiegenen Lebenshaltungskosten bestreiten zu können. (dpa)
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