Zwei blutige Wochen in Deutschland und Frankreich
Umstände, Motive und Hintergrund der Taten waren unterschiedlich. Es gibt aber auch Parallelen:
Nizza, 14. Juli: Am französischen Nationalfeiertag rast in der Hafenstadt Nizza ein 31-jähriger Tunesier mit einem Lastwagen in eine Menschenmenge. Er tötet 84 Menschen und verletzt mehr als 200. Der Mann hatte die Tat vermutlich länger geplant. Die Motive sind nach wie vor unklar, es gibt aber Hinweise auf Sympathien für den Islamismus.
Würzburg, 18. Juli: Mit Axt und Messer bewaffnet geht ein 17-Jähriger in einer Regionalbahn bei Würzburg auf Fahrgäste los. Fünf Menschen werden verletzt. Polizisten erschießen den Attentäter, der sich in einem Video als Kämpfer der Terrormiliz IS bezeichnete. Er kam als Flüchtling nach Deutschland und gab sich als Afghane aus, seine Identität wird aber noch geprüft.
München, 22. Juli: Mit einer Waffe und mehr als 300 Schuss Munition im Rucksack eröffnet ein 18-Jähriger in und vor einem Einkaufszentrum in München das Feuer. Er tötet neun Menschen, anschließend sich selbst. Ermittler nennen es einen „klassischen Amoklauf“. Der Deutsch-Iraner litt wohl unter psychischen Problemen, hatte auch frühere Amokläufe und Anschläge recherchiert.
Reutlingen, 24. Juli: Nach einem Streit tötet auf offener Straße ein 21 Jahre alter Mann seine 45-jährige Freundin mit einem Messer. Auf seiner Flucht verletzte er fünf Menschen. Die Polizei geht Hinweisen nach, wonach der Täter psychische Probleme hatte – das Motiv für die Tat ist aber nach wie vor unklar, die Polizei vermutet eine Beziehungstat.
Ansbach, 24. Juli: Auf einem Platz vor einem Konzert sprengt sich ein 27-Jähriger in die Luft, 15 Menschen werden verletzt. Der syrische Flüchtling stand nach einer mehrfach verlängerten Duldung kurz vor einer Abschiebung nach Bulgarien. Er war mehrfach in psychiatrischer Behandlung gewesen. Die Behörden gehen von einem islamistischen Hintergrund aus, der IS beanspruchte den Anschlag für sich.
Rouen, 26. Juli: Zwei Angreifer nehmen in einer katholische Kirche in Saint-Étienne-du-Rouvray bei Rouen während der Morgenmesse fünf Geiseln und ermorden anschließend den Priester. Die Terrormiliz IS reklamierte auch diese Tat für sich. Einer der Täter war der Polizei bekannt und soll zweimal versucht haben, nach Syrien zu reisen.
Und die Täter? „Islamistische Verzweiflung“?
Die Attentäter von Nizza, von Würzburg und von Ansbach, und auch der Amokläufer von München: Jugendliche und junge Männer. Die Behörden hatten sie nicht als mögliche Gewalttäter auf dem Radar. Zumindest drei von ihnen hatten offenbar persönliche oder psychische Probleme. Studien zufolge traf das auf 35 Prozent der Einzeltäter von Anschlägen der vergangenen 15 Jahre zu.
Würzburg: ein 17-jähriger Flüchtling. Unauffällig und verunsichert wird er beschrieben. Er hatte eine Pflegefamilie und eine Lehrstelle in Aussicht. Unklar blieb, ob er traumatisiert war oder ob psychische Probleme Mitgrund für seine Radikalisierung gewesen sein könnten.
München: ein 18-jähriger Schüler. Er fühlte sich über Jahre gemobbt und war in psychiatrischer Behandlung.
Ansbach: ein 27 Jahre alter Syrer. Er hatte psychische Probleme und wurde ebenfalls behandelt. Zweimal soll er einen Suizidversuch unternommen haben.
Nizza: Ein 31 Jahre alter Einwanderer aus Tunesien. Seine Ehe geht in die Brüche und er hatte Probleme mit der Justiz. Dazu kamen wohl Finanzprobleme.
„Die Unterscheidung zwischen Amok und Terror spielt keine Rolle mehr, sie ist historisch überholt“
„Die Unterscheidung zwischen Amok und Terror spielt keine Rolle mehr, sie ist historisch überholt“, sagte der italienische Philosoph Franco Berardi in einem Interview der „Süddeutschen Zeitung“. „Wir haben es beim islamistischen Terror nicht mehr mit einem bewussten politischen Akt zu tun wie noch zu Zeiten des RAF-Terrorismus. Hinter den Taten in Nizza und Würzburg ist keine politische Strategie erkennbar.“ Er spricht von einer „islamistischen Verzweiflung“. Bei den psychopathologischen Hintergründen der Verbrechen sehe er große Gemeinsamkeiten zwischen Amokschützen und Terroristen.
Fanatische Einzeltäter, die sich Hass über Internetbotschaften einflüstern lassen und bis zu einem Anschlag nicht auffallen, machen den Sicherheitsbehörden besondere Sorgen. Anders als bei gezielt für einen Anschlag ins Land gereisten Dschihadisten gibt es kaum eine Chance, sie vorher zu ermitteln.
Im März 2011 tötete Arid Uka am Frankfurter Flughafen zwei US-Soldaten und verletzte zwei weitere schwer. Es war der erste islamistische Anschlag auf deutschem Boden. Uka war in kein Netzwerk eingebunden – er sprang auf Hassbotschaften aus dem Internet an.
Einsame Wölfe, denen der IS eine Projektionsfläche anbietet
Peter Neumann vom Internationalen Zentrum für Radikalisierung am King’s College in London spricht von einsamen Wölfe, denen der IS eine Projektionsfläche bietet, „und ihnen erlaubt, ihre persönlichen Probleme in ein politisches Projekt zu verwandeln“. Er fügt an: „Der IS gibt ihnen sozusagen die Lizenz, die Marke Islamischer Staat dafür zu nutzen.“
Der IS hatte schon im September 2014 Angriffe wie die von Nizza und Würzburg propagiert: nicht mit Schusswaffen, sondern mit allgemein zugänglichen Mitteln – Messern, Steinen oder Autos. Terror, für jeden machbar.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) ordnete bereits das Axt-Attentat von Würzburg „im Grenzgebiet zwischen Amoklauf und Terror“ ein. Nach Ansbach schloss er in ersten Stellungnahmen einen Bezug zum IS-Terrorismus ebenso wenig aus wie eine Labilität der Persönlichkeit – „oder eine Kombination von beidem“.
Der Leiter der Abteilung Staatsschutz im Bayerischen Landeskriminalamt, Lothar Köhler, sagte schon vor der Gewaltserie: „Manchmal ist es nur eine Frage des Zufalls: Geht es zu den Rechten, in Richtung Islamismus oder in eine andere Ecke hinein.“
Der Amokläufer von München verehrte den Rechtsterroristen Anders Behring Breivik, der genau fünf Jahre zuvor ein Blutbad in Norwegen angerichtet und insgesamt 77 Menschen getötet hatte. Ob der Münchner Schüler, zu dessen Opfern viele junge Migranten zählten, sich auch rechtsextremen Ideen zugewandt hatte: Es ist nicht klar.
Lieber einmal zu viel als zu wenig die Sicherheitskräfte alarmieren
Strengere Sicherheitsvorkehrungen, mehr Polizeipräsenz und beschleunigte Abschiebungen lauten die politischen Forderungen nach den jüngsten Gewalttaten. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hatte nach der Axt-Attacke in Würzburg auch dazu aufgerufen, lieber einmal zu viel als zu wenig die Sicherheitsbehörden zu alarmieren, wenn die Menschen verdächtige Veränderungen in ihrem Umfeld bemerkten. Das könne zum Beispiel die Psyche von anderen Leuten betreffen.
Im bayerischen Landeskriminalamt gibt es bereits eine Anlaufstelle. An diese können sich Freunde, Bekannte und Familienmitglieder wenden, wenn sie bei einem nahestehenden Menschen mögliche Radikalisierungstendenzen bemerken. (dpa/ks)
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