Wie stabil ist die Brandmauer gegen die AfD auf Kreisebene?

Die Brandmauer zur AfD wird in den Landkreisen und kreisfreien Städten Deutschlands weitgehend aufrecht erhalten. Zu diesem Ergebnis gelangt eine aktuelle Fünf-Jahres-Analyse des Berliner Wissenschaftszentrums für Sozialforschung (WZB). Unterschiede zwischen Ost und West gibt es hauptsächlich auf dem Land.
In Frankfurt erinnert eine Demonstrantin an die Brandmauer.
Ab Ende Januar 2025 hatte es bundesweit Massenproteste gegen eine Zusammenarbeit von Union und FDP im Bundestag mit der AfD-Fraktion gegeben. Auf Kreisebene lässt sich die „Brandmauer“ aber nicht immer aufrechterhalten.Foto: Salome Roessler/dpa
Von 24. März 2025

Nachdem das Berliner Wissenschaftszentrum für Sozialforschung (WZB) im vergangenen Jahr zunächst die ostdeutschen Landkreise und kreisfreien Städte auf ihre überparteiliche Zusammenarbeit mit der AfD untersuchen ließ, liegt nun der erweiterte Blick auf die Kreise im gesamten Bundesgebiet vor.

Die aktuelle WZB-Studie „Hält die Brandmauer? Eine gesamtdeutsche Analyse: Wer unterstützt die AfD in den deutschen Kreistagen (2019–2024)“ beschäftigt sich vorwiegend mit der Frage, wie oft und wo die rund 200.000 gewählten Volksvertreter auf Kreisebene innerhalb von fünf Jahren Anträgen von Vertretern der „Alternative für Deutschland“ (AfD) zugestimmt hatten – unabhängig davon, ob der Antrag schließlich auch durchgekommen war.

Über 11.000 Sitzungen ausgewertet

Die Studienautoren Prof. Wolfgang Schröder, Prof. Daniel Ziblatt und Florian Borchert hatten sich mit den schriftlichen Zeugnissen zu 11.053 Sitzungen auseinandergesetzt, die zwischen Anfang Juli 2019 und Ende Juni 2024 in 347 Landkreistagen oder kreisfreien Stadträten stattgefunden hatten.

Unter den insgesamt inhaltlichen 4.968 Anträgen, die Vertreter der AfD in diesen Kreiskonferenzen gestellt hatten, fanden sie 990 „direkte Kooperationen“, bei denen Repräsentanten anderer Parteien einem AfD-Antrag zugestimmt hatten, darunter 934 Fälle „inhaltlicher Kooperation“. Die „Brandmauer“ sei nach Lesart der Autoren damit bei fast jedem fünften AfD-Antrag zusammengebrochen, nämlich in genau 18,8 Prozent der Fälle.

Schröder und seine Mitautoren schlossen daraus, dass das Kooperationstabu zwischen 2019 und 2024 zwar Risse entwickelt habe, das Anti-AfD-Bollwerk sei aber „deutlich robuster geblieben […] als weithin angenommen“.

Dennoch warnten sie in ihrem aktuellen „Discussion Paper“ (Seite 4 der PDF) vor einer „Normalisierung und Legitimierung der radikalen Kräfte“: Eine „Machtbeteiligung“ könne „schnell zur Basis einer [von der AfD] im Rahmen der Demokratie, über Wahlen, realisierten Machtübernahme“ werden.

Unterschiede zwischen Ost und West hauptsächlich auf dem Land erkennbar

Obwohl die ostdeutschen Bundesländer bei Wahlen und Wahlumfragen deutlich höhere Zustimmungswerte für die AfD verzeichneten als im Westen, unterschieden sich die prozentualen Anteile direkter Kooperationen laut WZB-Analyse kaum von jenen in den westlichen Ländern.

„Auffällig ist jedoch, dass in ländlichen Regionen Ostdeutschlands tendenziell häufiger mit der AfD kooperiert wurde als in ländlichen Gebieten Westdeutschlands“, heißt es in der Pressemitteilung des WZB.

Bereits im vergangenen Jahr hatten Ziblatt, Schröder und Borchert ein „Discussion Paper“ (PDF) veröffentlicht – ebenfalls im Auftrag des WZB. Ihr Blick richtete sich damals allerdings ausschließlich auf Ostdeutschland.

Die Autoren hatten damals 2.452 Kreisebene-Sitzungen untersucht, in denen AfD-Kommunalpolitiker 2.348 Anträge gestellt hatten. In 484 Fällen – also 20,6 Prozent – wurde eine direkte inhaltliche Kooperation mit der AfD eingegangen. Also lediglich 1,8 Prozentpunkte mehr als im Befund für Gesamtdeutschland.

Unterschiede nach Bundesländern

Relativer Spitzenreiter bei der direkten Zusammenarbeit war im aktuellen Bundesvergleich Sachsen-Anhalt gewesen. In seinen 14 Kreisen sei es zu insgesamt 129 Kooperationen inhaltlicher (115) oder personeller (14) Natur gekommen. Rechnerisch hätten 27 von 100 inhaltlichen Anträgen der AfD Stimmen auch von anderen Parteimitgliedern erhalten.

Noch mehr direkte Kooperationen hatte es, absolut gesehen, in den 26 hessischen Kreisen gegeben, nämlich 203 an der Zahl (193 inhaltlicher, 10 personeller Art). Prozentual lag Hessen mit einer inhaltlichen Zustimmung von Nicht-AfDlern in Höhe von 24,3 Prozent aber nur an dritter Stelle im Länderranking.

Platz zwei markiert Rheinland-Pfalz. In seinen 36 Kreisen kam es zwar nur zu 39 direkten Kooperationen, die alle inhaltlicher Natur waren. Die entsprechenden Anträge der AfD erhielten prozentual betrachtet aber etwas mehr Konkurrenten-Zuspruch als in Hessen, nämlich zu 24,7 Prozent.

Thüringen und BaWü gleichauf

Im AfD-dominierten Thüringen lag die direkte Kooperationsquote zur AfD übrigens genauso hoch wie im grünen Baden-Württemberg: Jeweils 16,9 von 100 inhaltlichen AfD-Anträgen erhielten auch von Kommunalpolitikern anderer Parteien ihren Segen.

Da die absolute Zahl der inhaltlichen Kooperationen in Thüringen bei 68, in Baden-Württemberg aber nur bei 20 lag, folgt daraus, dass die Thüringer Kreis- und Stadträte der AfD mehr als dreimal so viele inhaltliche Anträge gestellt hatten als ihre südwestdeutschen Parteikollegen. Dieses Muster ließ sich nach Ansicht der Autoren im gesamten Bundesgebiet feststellen:

Offensichtlich ist, dass Kooperation in einem Kreis wahrscheinlicher ist, wenn die AfD viele Anträge stellt, als wenn sie wenige oder keine Anträge stellt.“

Schlusslicht im Ranking war das Saarland: In den sechs Kreisen des kleinsten Flächenlandes kam es zu keiner einzigen Kooperation, gleich welcher Art. Die drei Stadtstaaten Bremen, Hamburg und Berlin waren nicht untersucht worden, weil „es hier kein Parlament auf Kreisebene, sondern nur auf Landesebene“ gebe, wie das Autoren-Trio argumentierte.

Die Kooperationsquoten inhaltlicher Art in den Kreisen der Flächenländer nach Online-Quellen

  1. Sachsen-Anhalt (14 Kreise, 114 inhaltliche Kooperationen): 27,0 Prozent
  2. Rheinland-Pfalz (36 Kreise, 39 inhaltliche Kooperationen): 24,7 Prozent
  3. Hessen (26 Kreise, 193 inhaltliche Kooperationen): 24,3 Prozent
  4. Sachsen (11 Kreise, 114 inhaltliche Kooperationen): 22,4 Prozent
  5. Mecklenburg-Vorpommern (7 Kreise, inhaltliche 101 Kooperationen): 19,4 Prozent
  6. Alle 13 untersuchten Länder (390 Kreise, inhaltliche 934 Kooperationen): 18,8 Prozent
  7. Brandenburg (18 Kreise, inhaltliche 91 Kooperationen): 18,3 Prozent
  8. Nordrhein-Westfalen (53 Kreise, inhaltliche 93 Kooperationen): 16,9 Prozent
  9. Thüringen (19 Kreise, inhaltliche 68 Kooperationen): 16,9 Prozent
  10. Baden-Württemberg (44 Kreise, inhaltliche 20 Kooperationen): 12,6 Prozent
  11. Niedersachsen (45 Kreise, inhaltliche 60 Kooperationen): 10,9 Prozent
  12. Schleswig-Holstein (15 Kreise, inhaltliche 17 Kooperationen): 10,6 Prozent
  13. Bayern (96 Kreise, 23 inhaltliche Kooperationen): 9,4 Prozent
  14. Saarland (6 Kreise, 0 Kooperationen): 0 Prozent

Eine detailliertere Tabelle finden Sie auf der WZB-Website. Die Differenz zwischen den 347 tatsächlich ausgewerteten Kreisen und der in der Tabelle aufgeführten 390 Kreisen ergibt sich laut WZB aus der Tatsache, dass die AfD in einigen Kreisen politisch gar nicht vertreten war oder manche Kreise keine analysefähigen Daten zur Verfügung gestellt hatten. Die meisten solcher Lücken kamen in Bayern vor.

Die Deutschlandkarte zeigt die absolute Anzahl an Kooperationen mit der AfD pro Kreis in den Jahren 2019 bis 2024. Foto: Quelle: WZB

Die Deutschlandkarte zeigt die absolute Anzahl an Kooperationen mit der AfD pro Kreis in den Jahren 2019 bis 2024. Foto: Discussion Paper, Seite 16, WZB (PDF)

Nach Angaben des WZB war es in 177 von 347 ausgewerteten Kreisen zu keiner einzigen Kooperation gekommen. In 82 dieser Kreise hatte die AfD aber auch gar keinen Antrag eingereicht.

Signifikante Unterschiede zwischen Stadt und Land nur im Osten

Die Autoren fanden zudem heraus, dass es lediglich in den östlichen Bundesländern ein Land-Stadt-Gefälle gab. „In Landkreisen in Ostdeutschland gab es 26,9 Prozent Kooperation, in kreisfreien Städten nur 16 Prozent“, schreibt das WZB.

Die Tabelle zeigt die Prozentzahlen an Kooperationen mit der AfD in den Kreisen der Flächenbundesländer West- und Ostdeutschlands in den Jahren 2019 bis 2024. Foto: Discussion Paper Seite 18, WZB (PDF)

Die Tabelle zeigt die Prozentzahlen an Kooperationen mit der AfD in den Kreisen der Flächenbundesländer West- und Ostdeutschlands in den Jahren 2019 bis 2024. Foto: Discussion Paper, Seite 18, WZB (PDF)

In den westlichen Flächenbundesländern habe man dagegen keinen derartig großen Unterschied messen können: In westdeutschen Landkreisen fand bei 15,2 Prozent aller Anträge der AfD eine Kooperation statt, in den westdeutschen kreisfreien Städten bei 18,0 Prozent – also sogar etwas mehr als in den Ost-Städten.

Im Ost-West-Vergleich stellten die Statistiker zudem einen Unterschied thematischer Art fest. Während es im Osten öfter „administrative oder infrastrukturelle Themen wie etwa Verkehrsprojekte“ gewesen seien, bei denen AfD-Anträge auch von Konkurrenten unterstützt wurden, habe das im Westen hauptsächlich bei politischen Themen von bundesweiter Brisanz stattgefunden. Die WZB-Autoren nannten als Beispiele „Themen wie Asyl und COVID-19“.

Unterschiede je nach Parteibuch

Nach den Befunden des WZB konnte keine einzige Partei die Brandmauer „durchgehend erfolgreich aufrecht“ erhalten. Allerdings sei es aufgrund der Datenlage auch nur in 37,6 Prozent der insgesamt 990 Kooperationsfälle möglich gewesen, ein zusätzliches Ja zu einem AfD-Antrag konkret einer bestimmten Partei zuzuordnen.

In 86,5 Prozent dieser 372 auswertbaren Fälle hätten „vor allem fraktionslose Abgeordnete und Abgeordnete regionaler Parteien, unter anderem der Freien Wähler, am häufigsten mit der AfD“ kooperiert. „Mit weitem Abstand folgen Abgeordnete der FDP und der CDU, die in 38,6 Prozent und 38,4 Prozent der Fälle einem Antrag oder einem Kandidaten der AfD ihre Stimme gegeben haben“, stellen die WZB-Forscher fest.

SPD-Vertreter hätten auf lokaler Ebene in 32,1 Prozent der Fälle mit der AfD kooperiert, die Grünen mit 29,5 Prozent kaum weniger. Selbst aus den Reihen der Linken hatte es in 21,1 Prozent der Fälle Zustimmung zu einem AfD-Antrag gegeben.

Beispiele für die insgesamt höhere Flexibilität der kleineren Parteien hätten sich „in den Kreisen Lüchow-Dannenberg, Lüneburg, Leer und im Vogtlandkreis [ereignet], wo die AfD mit den Parteien Die Basis (Lüchow-Dannenberg, Lüneburg), AWG (Leer) und DSU (Vogtlandkreis) eine gemeinsame Fraktion beziehungsweise Gruppe bildete“.

Das Prinzip der „doppelten Brandmauer“

Die Studienautoren waren von dem Grundszenario ausgegangen, dass die „Brandmauer“ – also das strikte Tabu einer Kooperation mit der AfD – eigentlich aus zwei Mauerhürden besteht, die die übrigen Parteien seit Jahren mehr oder weniger erfolgreich gegen die AfD aufrechterhalten.

Nach Sichtweise des Autoren-Trios wäre die erste Hürde schon dann gerissen, wenn eine Partei die Zustimmung von AfD-Politikern als „Mehrheitsbeschaffer“ akzeptierte, um ihre eigenen Anträge durchzubringen. Diese Art der „indirekten Kooperation“ wurde allerdings nicht analysiert.

Die zweite, entscheidende Mauerhürde der „direkten Kooperation“ war ihrem Untersuchungsszenario nach erst dann gefallen, wenn mindestens ein Nicht-AfD-Parteimitglied auf Kreisebene für einen Antrag der AfD gestimmt hatte. Wenn wenigstens zehn Prozent „der anwesenden nicht-AfD Abgeordneten der AfD ihre Stimme“ gegeben hatten, sprach das Forscherteam von einer „starken Kooperation“.

Für ihre aktuelle Deutschland-Studie ließen die drei Autoren solche Fälle unberücksichtigt, in denen es nur um Geschäftsordnungsanträge, Blockwahlen oder der Nachbenennung von Posten ging.



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