Zurück zu Hartz-IV? Debatte über Sanktionen zum Bürgergeld reißt nicht ab

Arbeitsverweigerung, Pflege von Angehörigen, fehlenden Qualifikation. Die Gründe, warum Menschen Bürgergeld beziehen, sind vielfältig. Doch mit dem Bezug des Geldes sind auch Pflichten verbunden. Wer dagegen verstößt, soll künftig schärfer sanktioniert werden. Es regt sich Kritik.
Titelbild
Nicht jeder, der Bürgergeld bezieht, verweigerte die Arbeit.Foto: fizkes/iStock
Von 28. Juli 2024

Seit Januar 2023 gibt es das Bürgergeld, das seither immer wieder kontrovers diskutiert wird. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sprach sich in der aktuellen Debatte um Sanktionen für Bürgergeldempfänger dafür aus, dieses für mehr als 100.000 Menschen komplett zu streichen. Insoweit begrüßt er eine von der Bundesregierung geplante Verschärfung.

„Die Statistik legt nahe, dass eine sechsstellige Zahl von Personen grundsätzlich nicht bereit ist, eine Arbeit anzunehmen“, sagte Linnemann den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Wenn jemand grundsätzlich nicht bereit ist, Arbeit anzunehmen, muss der Staat davon ausgehen, dass derjenige nicht bedürftig ist. Leistungskürzungen um zehn, 20 oder 30 Prozent reichen da nicht. Dann muss die Grundsicherung komplett gestrichen werden.“

Dabei bezog Linnemann auch ukrainische Flüchtlinge mit ein. Wenn es eine Leistung gebe, sei sie mit einer Gegenleistung verbunden. „Dazu zählt, eine Arbeit aufzunehmen.“ Hier fehlten „ganz klar“ entsprechende Anreize. Ausnahmen sieht er bei Alleinerziehenden oder Menschen, die Angehörige pflegen.

SPD-Abgeordnete warnt vor „Dreh-Tür-Effekt“

Die Bundestagsabgeordnete Annika Klose (SPD) verwies darauf, dass Arbeitslose zwar aufgrund schärferer Sanktionen schneller einen Job annehmen, aber nachhaltig sei das nicht. Schon aus dem Hartz-IV-System sei bekannt, dass sich ein „Dreh-Tür-Effekt“ eingestellt hat, wenn die Leute Jobs angenommen haben, die nicht zu ihnen passen, erklärte sie gegenüber „taz“. Klar sei aber auch, dass das Bürgergeld ein Imageproblem habe.

Klose befürwortet den Ansatz, Arbeitslose besser zu beraten, zu unterstützen und zu qualifizieren, damit sie eine Arbeit bekommen, die zu ihnen passt. Um das zu ermöglichen, müsse den Jobcentern aber auch das nötige Geld zur Verfügung gestellt werden. Eine Herausforderung sieht sie darin, dass die Mitarbeiter in den Jobcentern personell sehr stark mit der Unterstützung der ukrainischen Flüchtlinge gebunden seien.

„Wenn die Sanktionen so kommen, wie der Regierungsentwurf es vorsieht, dann wären wir in diesem Punkt zurück im alten Hartz-IV-System. Und mit den verschärften Sanktionen sogar einen Schritt weiter“, warnt sie.

DIW fordert Maßnahmen zur Qualifizierung

Professor Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), sieht es ähnlich. Fehlende Qualifizierung und gesundheitliche Probleme bei den arbeitslosen Bürgergeldempfängern stellen die größten Herausforderungen dar, schilderte er. Mehr als zwei Drittel von ihnen habe keine abgeschlossene Berufsausbildung oder relevante Qualifizierung.

„Das größte Potenzial, um langfristig die Anzahl der Bezieher des Bürgergelds zu reduzieren, sind Maßnahmen der Qualifizierung, als auch eine Erhöhung des Mindestlohns, da dies die Zahl der Aufstocker reduzieren würde“, so Fratzscher.

DGB sieht Problemverschiebung

Anja Piel, Vorstandsvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), sieht in der Debatte um Sanktionen des Bürgergelds eine Problemverschiebung. Aus ihrer Sicht liegt es an der „gebremsten wirtschaftlichen Entwicklung“, dass mehr Menschen arbeitslos werden – und nicht am Bürgergeld, schilderte Piel bereits in einer Pressemitteilung vom 28. Juni.

„Arbeitsverweigerung war noch nie ein Massenphänomen und wird absehbar auch keins werden“, mahnte die Gewerkschafterin in der vergangenen Woche erneut. Deshalb sei es unsinnig und zynisch, die Spielregeln für ein gutes Sozialsystem am Fehlverhalten einiger weniger neu auszurichten.

„Menschen im Bürgergeld generell zu unterstellen, dass sie nicht arbeiten wollen, verdreht Ursache und Wirkung“, so Piel. Sie fordert eine finanzielle Unterstützung der Jobcenter, damit Arbeitslosen ein Job vermittelt werden kann.

„Die Jobcenter sind wie gelähmt von Bürokratie“

Ebenfalls eine Entlastung der Jobcenter fordern Frank-Jürgen Weise und Heinrich Alt, frühere Vorstandsmitglieder der Bundesagentur für Arbeit. „Es gibt in Deutschland 260.000 junge Menschen zwischen 25 und 45, die seit längerer Zeit nicht arbeiten, obwohl sie alle Kriterien für Erwerbstätigkeit erfüllen“, sagte Weise dem „Spiegel“. „Das ist in dieser Dimension nicht hinnehmbar.“

„Die Jobcenter sind wie gelähmt von Bürokratie“, so Weise weiter. „Das System ist völlig intransparent. Es ist nicht mehr steuerbar.“ Alt fügte hinzu, dass ein Vergleich zwischen Arbeitslohn und Bürgergeld für viele deprimierend.

„Ein zu geringer Abstand zwischen unteren Lohngruppen und Bürgergeld dämpft die Anreize zur Aufnahme oder Ausweitung der Beschäftigung“, erklärte Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer. Wichtig sei auch: „Wer im Bürgergeldbezug eine Arbeit aufnimmt und eigenes Geld verdient, muss davon mehr behalten können.“

Verschärfte Maßnahmen als „Wachstumsinitiative“

Die geplanten Verschärfungen gehen aus einem vom Bundesfinanzamt Anfang Juli veröffentlichten Dokument mit dem Titel „Wachstumsinitiative – neue wirtschaftliche Dynamik für Deutschland“ hervor, das verschiedene Maßnahmen zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschland und dessen Wettbewerbsfähigkeit beinhaltet, darunter auch Sanktionen zum Bürgergeld.

Demnach soll Pendlern ein täglicher Arbeitsweg von bis zu drei Stunden zugemutet werden. Jobcenter werden angehalten, in einem Umkreis von 50 km zwischen Wohn- und Arbeitsort nach einem Arbeitsplatz zu suchen, heißt es in dem Papier. Ausnahmen sollen jedoch für Personen mit Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen geben.

Wer eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder Eingliederungsmaßnahme ohne triftigen Grund ablehnt, wird demnach mit erhöhten Kürzungen des Bürgergelds rechnen müssen. Insoweit will die Regierung eine einheitliche Minderungshöhe und -dauer von 30 Prozent für drei Monate einführen. Bei Meldeversäumnis kann eine Minderungshöhe von 30 Prozent für einen Monat festgesetzt werden. Bei positiver Mitwirkung oder Signal der Mitwirkungsbereitschaft können die Sanktionen jedoch aufgehoben werden.

Diejenigen, die kurzfristig dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, „sollen sich monatlich in Präsenz bei der zuständigen Behörde melden müssen“, heißt es weiter.

Wer wegen einer Sperre im Arbeitslosengeld I ins Bürgergeld rutscht, müsse künftig ebenfalls mit einer sofortigen 30-prozentigen Leistungskürzung rechnen. Erhöhte Aufmerksamkeit richtet sich auch gegen Schwarzarbeit. Die Jobcenter werden verpflichtet, Verdachtsfälle von Leistungsmissbrauch und Schwarzarbeit zu melden.

(Mit Material der Agenturen)

 

 

 



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion