CDU, SPD und BSW einigen sich auf Friedensformel – Wagenknecht spricht von „Fehler“
In Thüringen stehen die Zeichen auf Koalitionsverhandlungen mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). In Erfurt verkündeten die Landesvorsitzenden von CDU, BSW und SPD nach harten Verhandlungen einen Kompromiss zu umstrittenen außenpolitischen Forderungen der Wagenknecht-Partei für die Präambel eines möglichen Regierungsvertrags. Koalitionsgespräche sollen am Dienstag starten.
„Es ist uns gelungen, einen Konsens zu finden“, sagte Thüringens CDU-Chef Mario Voigt. Die Verhandlungen waren am Freitag zunächst gestoppt und am Sonntag wieder aufgenommen worden. BSW-Landeschefin Katja Wolf sagte mit Blick auf Bundesparteichefin Sahra Wagenknecht, die Einigung sei intensiv diskutiert worden. „Zustimmung ist rein formal nicht vorgesehen.“ Allerdings berate der BSW-Landesvorstand zur Stunde noch zu dem Papier.
Wagenknecht bezeichnet Kompromiss als Fehler
Wagenknecht meldete sich noch am Abend – und mit deutlicher Kritik. „Die Präambel, auf die sich die Verhandler von CDU, SPD und BSW in Thüringen geeinigt haben, bleibt in der wichtigen Frage von Krieg und Frieden leider deutlich hinter dem in Brandenburg gefundenen guten Kompromiss zurück“, sagte die BSW-Chefin am Montag dem „Spiegel“. Es sei „ein Fehler“, dass sich die Verhandler in Thüringen nicht an diesem Kompromiss orientiert hätten. Sie ergänzte allerdings: „Trotzdem werden wir jetzt in Gespräche eintreten.“
Mit Blick auf Thüringen, Brandenburg und Sachsen wünsche Wagenknecht sich erfolgreiche und stabile Regierungen, „die das Signal der Wahlen verstanden haben und die Erwartungen der Wähler nicht enttäuschen.“ Bei vielen landespolitischen Fragen müssten in den Verhandlungen noch Lösungen gefunden werden, bei denen das BSW gegenüber seinen potenziellen Koalitionspartnern Rückgrat zeigen müsse. „Wenn CDU und SPD den Eindruck bekommen, dass das Thüringer BSW sich elementare Positionen wegverhandeln lässt, macht das gute Koalitionsverhandlungen nicht leichter.“
CDU, SPD und BSW einigen sich auf Friedensformel
Auf Seiten der SPD sagte Landeschef Georg Maier, man wolle jetzt zuversichtlich mit diesem Ergebnis in den Landesvorstand gehen, der informiert werden wolle. Das CDU-Präsidium hat das Papier nach Angaben Voigts bereits beschlossen.
In der Einigung zur Friedenspolitik heißt es nun: „Im Rahmen der europäischen und bundesstaatlichen Ordnung unterstützen wir alle diplomatischen Initiativen, den von Russland gegen die Ukraine entfesselten Angriffskrieg zu beenden.“ Zur geplanten Stationierung von Mittelstreckenraketen in Deutschland heißt es, dass viele Menschen in Thüringen dies kritisch sähen oder ablehnten. „Die künftige Regierung des Freistaates Thüringen fördert eine breit angelegte Debatte und verleiht auch dieser Haltung im Sinne eines nachhaltigen Einsatzes für Frieden eine öffentliche Stimme.“
Die CDU Thüringen schreibt in einer zweiseitigen Mitteilung auf „X“, dass die Union zwar eine andere Auffassung „hinsichtlich der Notwendigkeit von Waffenlieferungen an die Ukraine (…)“ als das BSW habe, beide jedoch das Ziel eines Waffenstillstandes und eines „gerechten, dauerhaften Friedens“ teilen. Die Union betonte zudem, dass die drei Parteien kooperierten, „um Thüringen nach vorne zu bringen“. Unterschiedliche Sichtweisen seien „nicht etwa Hindernisse, sondern Treiber für neue politische Kreativität“.
Ab Dienstag sollen sieben Arbeitsgruppen zu verschiedenen Themenfeldern verhandeln. Die Verhandlungen sind für eine Dauer von zwei Wochen angesetzt.
Einigkeit bei gemeinsamen Projekten
Der Thüringer BSW-Vorstand und vor allem Wagenknecht hatten vor mehr als einer Woche die Einigung auf eine Friedensformel für die Präambel eines möglichen Koalitionsvertrages zur Bedingung für den Start von Koalitionsverhandlungen in Erfurt gemacht. Über das Wochenende hatten sich die Spitzen von CDU, BSW und SPD Bedenkzeit erbeten.
Vor dem Streit hatten sich die drei Parteien bereits auf ein Sondierungspapier geeinigt, dem auch die Parteivorstände schon zugestimmt haben. Nach Angaben der Parteispitzen verliefen die Gespräche, bei denen es um alle Politikfelder von Finanzen, Wirtschaft, Bildung bis Migration ging, vertrauensvoll und ernsthaft. Verabredet wurde eine Reihe gemeinsamer Projekte, vom Einstieg in kostenloses Schulessen bis zur Verabredung, die Schuldenbremse einzuhalten.
Ausgespart wurde darin jedoch das Thema Krieg und Frieden und die BSW-Forderung nach mehr Diplomatie zur Beendigung des Ukraine-Krieges. Es sollte ursprünglich am Ende der Koalitionsverhandlungen aufgerufen werden. Das wollte Wagenknecht jedoch nicht akzeptieren.
Kaum Alternative nach Wahlergebnis
CDU, BSW und SPD haben im Thüringer Landtag 44 von 88 Sitzen. Um das Patt aufzulösen, ist mindestens eine Stimme der Opposition nötig.
Zu einer sogenannten Brombeerkoalition gibt es nach dem Ergebnis der Landtagswahl vor acht Wochen in Thüringen eigentlich kaum eine Alternative, weil alle Parteien eine Zusammenarbeit mit der AfD ausschließen, die CDU auch mit der Linken. Einzige Möglichkeit wäre eine Minderheitsregierung der CDU, möglicherweise zusammen mit der SPD, die allerdings sowohl das BSW als auch Die Linke für Mehrheiten bräuchte.
Die AfD war bei der Landtagswahl in Thüringen mit 32,8 Prozent erstmals in Deutschland stärkste Partei geworden. Sie landete deutlich vor der CDU mit 23,6 Prozent, die den Auftrag der Regierungsbildung bei sich sieht. Das BSW kam auf den dritten Platz. Die Linke des noch geschäftsführenden Ministerpräsidenten Bodo Ramelow landete auf Rang vier. Die SPD schaffte mit einem einstelligen Ergebnis den Einzug in den Landtag, dem Grüne und FDP nicht mehr angehören.
Sondierungen in Sachsen, Koalitionsverhandlungen in Brandenburg
In Sachsen verständigten sich die CDU von Ministerpräsident Michael Kretschmer, das BSW und die SPD derweil am Montag auf eine Fortsetzung der Sondierungen. Die SPD hatte die Gespräche am Freitag unterbrochen, nachdem zahlreiche BSW-Abgeordnete zuvor im Landtag für einen Antrag der AfD zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Corona-Pandemie gestimmt hatten. Am Montag teilten die drei Parteien mit, dass „Missverständnisse im Umgang miteinander“ ausgeräumt worden seien.
In Brandenburg empfahlen die Verhandler von SPD und BSW am Montag nach mehrwöchigen Sondierungsgesprächen die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen.
(dpa/afp/os)
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