Ziegler vs. Kubicki: Streit um Erinnerungskultur zum 17. Juni

Der AfD-Abgeordnete Kay-Uwe Ziegler und Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) haben sich anlässlich einer Debatte über den DDR-Volksaufstand vom 17. Juni 1953 einen verbalen Schlagabtausch geliefert. Stein des Anstoßes war der Begriff „Freiheit“.
Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) am 15. Juni 2023
Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) war nicht erfreut über die Worte des AfD-Abgeordneten Kay-Uwe Ziegler zum 17. Juni 1953. Ziegler hatte den Abgeordneten der übrigen Fraktionen vorgeworfen, die Freiheit zu bekämpfen.Foto: Bildschirmfoto/Bundestag.de
Von 16. Juni 2023

Am Samstag, 17. Juni, ist der Volksaufstand in der DDR genau 70 Jahre her. Am gestrigen 15. Juni stand das historische Ereignis am frühen Nachmittag im Bundestag auf der Tagesordnung. Dabei gerieten der AfD-Abgeordnete Kay-Uwe Ziegler und Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) aneinander, weil Ziegler im Rahmen einer Zwischenintervention die „ganze Debatte“ als „heuchlerisch“ bezeichnet hatte:

Weil das Entscheidende, was wir hier heute nicht besprechen und was Sie auch nicht besprechen, ist, dass die Menschen von 1953… Die würden Sie heute bekämpfen. Diese Revolution von damals würde Sie heute bekämpfen, weil das eigentliche Ziel damals war:  Freiheit. Und Sie alle bekämpfen in allen Bereichen immer wieder die Freiheit.“

Als Ziegler anhob, auf „die letzten drei Jahre“ zu sprechen zu kommen, unterbrach ihn Kubicki:

„Einen kleinen Moment bitte! Ich verwahre mich dagegen als sitzungsleitender Präsident, dass Sie erklären, dass die Mitglieder dieses Hauses die Freiheit bekämpfen.“ Unter dem Beifall des mit rund 80 Parlamentariern nur noch spärlich gefüllten Plenarsaals fuhr Kubicki fort: „Und ich bitte darum, das wirklich zu beachten. Das sind frei gewählte Abgeordnete eines deutschen Parlamentes wie Sie auch. […] Wir können über alles streiten. Aber zu erklären, dass die Abgeordneten dieses Hauses die Freiheit […] bekämpfen würden, ist einfach unerhört.“

Kay-Uwe Ziegler, Bundestagsabgeordneter der AfD, bei seiner Kurzintervention vom 15. Juni 2023

Kay-Uwe Ziegler, Bundestagsabgeordneter der AfD: „Wir haben da oben gesessen auf der sogenannten ‚Seuchentribüne‘ und Sie haben das alle mitgemacht!“ Foto: Bildschirmfoto/Bundestag.de

Ziegler antwortete: „Herr Präsident, ich habe Sie verstanden. Unabhängig davon ist das meine persönliche Meinung und meine Erfahrung der letzten drei Jahre.“ Ziegler deutete mit dem Daumen über seine Schulter: „Wir haben da oben gesessen auf der sogenannten ‚Seuchentribüne‘ und Sie haben das alle mitgemacht! Und es ist für mich beschämend, es ist für mich beschämend, wenn Sie das als Freiheit bezeichnen, was in den letzten drei Jahren gelaufen ist.“

Ziegler weiter: „Ich sehe das anders, viele Menschen im Osten sehen das anders. Sie haben Teile des Ostens beschimpft. Sie haben Leute, die für ihre Rechte auf die Straße gegangen sind, in den letzten drei Jahren beschimpft ohne Ende und erzählen uns hier plötzlich, dass Sie die Freiheit hochhalten? Ich kann das nicht nachvollziehen. Vielen Dank.“ Applaus von der AfD-Fraktion, unverständliche Zwischenrufe aus den übrigen Reihen.

Da ihm Zieglers Worte „wirklich gegen den Strich“ gehen würden, behielt Kubicki das letzte Wort: „Die Tatsache, dass Sie hier so frei reden können, ist eine Dokumentation der Freiheit …“ Der Rest seiner Replik ging im Applaus der Nicht-AfD-Parlamentarier unter (Video auf „Bundestag.de“).

Kubicki selbst sah Freiheitsrechte verfassungswidrig verletzt

Während der Corona-Jahre hatte sich Wolfgang Kubicki immer wieder selbst gegen die Freiheitseinschränkungen durch repressive „Schutzmaßnahmen“ der Bundesregierung ausgesprochen und auf die Einhaltung der Grundrechte gepocht, ohne das Narrativ vom Killervirus als solchem infrage zu stellen. Damit stand der FDP-Mann unter den Angehörigen der drei Ampelparteien jahrelang nahezu alleine da.

Schon kurz nach der ersten ganz großen Querdenker-Demonstration vom 1. August 2020 äußerte Kubicki sein Verständnis für die Protestierer gegenüber der „Bild“: Unter den Demonstranten seien „eine Menge“ Menschen gewesen, „die einfach verzweifelt sind, weil sie nicht mehr wissen, warum diese Maßnahmen umgesetzt werden“.

Wenige Tage später legte Kubicki in der „Saarbrücker Zeitung“  gegen die Kanzlerin nach: Angela Merkel (CDU) mache „immer nur Angst“, „ohne eine langfristige Perspektive aufzuzeigen“. Es gebe „rund fünf Dutzend Gerichtsentscheidungen“, die schon fünf Monate nach Ausrufung der Pandemie dokumentierten, „dass viele exekutive Corona-Maßnahmen rechts- oder verfassungswidrig“ gewesen seien.

„Nicht Corona, sondern die Bundesregierung hält das Land im Lockdown“

Als im Oktober 2020 absehbar wurde, dass die Regierung Merkel mithilfe ihrer „Ministerpräsidentenkonferenz“ im Winter wohl noch schärfere Maßnahmen anordnen würde, glaubte Kubicki nach einem FAZ-Bericht noch daran, dass ein „Komplett-Lockdown […] sicher auch vor den Gerichten keinen Bestand“ haben würde. Anfang Dezember griff er laut „Welt.de“ den öffentlich-rechtlichen Rundfunk an, weil dieser vielfach einseitig berichte, keine Corona-Kritiker in Talkshows einlade und Ängste schüre.

Nicht Corona, sondern die Bundesregierung halte das Land im Lockdown, sagte Kubicki nach einem Artikel des „RedaktionsNetzwerks Deutschland“ (RND) im März 2021. Im Juni 2022 ließ Kubicki in einer TV-Sendung der „Bild“ (Video auf YouTube) abermals kaum ein gutes Haar an der Regierung, nachdem eine Umfrage ergeben hatte, dass sich eine deutliche Mehrheit der Deutschen noch immer in ihren alltäglichen Freiheitsrechten eingeschränkt sah.

Im September 2022, als das Thema „Schutzmaßnahmen“ in anderen Ländern Europas längst passé war, sprach der Bundestagsvizepräsident von einer „Geisterfahrt“ der Bundesregierung und kritisierte nicht zum ersten Mal Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD): „Was hat der Mann vom Leben – außer Corona?“

Kubicki forderte Aufarbeitung – und blieb Abstimmung fern

Im Dezember 2022 war Kubicki einer der ersten, der in der „Berliner Zeitung“ eine „Aufarbeitung der Corona-Jahre“ forderte.

Als es allerdings am 19. April 2023 im Bundestag ernst damit wurde, war Kubicki nicht dabei. Der Antrag der AfD auf Einrichtung eines Untersuchungsausschusses, der unter anderem die Corona-Maßnahmen und die Impfstoffzulassungsverfahren hätte kritisch ausleuchten sollen (BT-Drucksache 20/3706, PDF), wurde mehrheitlich abgelehnt. Auch Kubickis FDP-Fraktion hatte geschlossen gegen solch einen U-Ausschuss gestimmt.

Mit den Stimmen der SPD, der Grünen und der FDP wurde am 15. Juni allerdings ein gemeinsamer Antrag der drei Ampelfraktionen (BT-Drucksache 20/7202, PDF) mehrheitlich angenommen, der den Volksaufstand vom 17. Juni 1953 als das „bis 1989 […] bedeutendste Ereignis in der Geschichte von Opposition und Widerstand in der Deutschen Demokratischen Republik“ würdigte – gegen das Votum der CDU/CSU-Fraktion. Diese hatte nach einem Bericht des Bundestags einen ähnlichen Antrag (BT-Drucksache 20/7188, PDF) eingebracht, der von den Fraktionen der Ampelparteien und der Linken verworfen wurde. Die AfD enthielt sich in beiden Fällen.

Nun soll also ein Denkmal für Opfer der kommunistischen Diktatur möglichst schnell im Berliner Regierungsviertel errichtet werden. Außerdem soll es mehr öffentliche Anerkennung für den Mut des Widerstands und mehr praktische Hilfen für die Opfer des SED-Unrechts geben.

Der 17. Juni 1953 damals …

Der Volksaufstand von rund einer Million DDR-Bürger ging am 17. Juni 1953 so plötzlich zu Ende, wie er begonnen hatte: Nach Informationen der Bundeszentrale für politische Bildung (BPB) rollten schon am Nachmittag sowjetische Panzer durch die ostdeutschen Städte. Das Militär des kommunistischen Besatzers brachte die lautstark geäußerten Wünsche der Menschen nach dem Rücktritt der SED-Regierung, nach freien Wahlen, nach einer Einheit Deutschlands, nach niedrigeren Arbeitsnormen und nach der Freilassung politischer Häftlinge für lange Zeit zum Schweigen.

Erst gut 36 Jahre später, im November 1989, brachten der wirtschaftliche Niedergang des Ostblocks, die Geopolitik der Amerikaner und die „Friedliche Revolution“ der DDR-Bürger die „Wende“ im Kalten Krieg. Der als „Tag des Mauerfalls“ in die Geschichte eingegangene 9. November 1989 läutete die deutsche Wiedervereinigung vom Herbst 1990 ein. Zu diesem Zeitpunkt lag die DDR wirtschaftlich und politisch am Boden: Planwirtschaft, Bevormundung, Reisebeschränkungen und Bespitzelung hatten nicht zum dauerhaften Sieg des „real existierenden Sozialismus“ geführt.

… und heute

Spätestens seit Frühjahr 2020 aber ist klar, dass selbst die im „Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland“ jahrzehntelang garantierten und ursprünglich für die Ewigkeit beschlossenen Abwehrrechte des Souveräns gegen die Regierung per einfachem Parlamentsbeschluss aushebelbar sind: Die Angst vor einem Virus machte es der Regierung per Novelle des Infektionsschutzgesetzes möglich, die Freiheit des Einzelnen zugunsten des „Schutzes“ des Kollektivs zu beerdigen. Wiederholung jederzeit möglich. Eine parlamentarische Aufarbeitung findet nicht statt.



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