Zaghafte Weichenstellung für die Deutsche Bahn
Was wird denn hier gespielt? Zwischen dem Congress Centrum Hamburg (CCH), dem Tagungsort des SPD-Parteitages, und dem Dammtorbahnhof, auf dem Dag-Hammarskjöld-Platz scheint ein riesiges Monopoly-Spielfeld zu liegen - etwa fünf mal fünf Meter. Doch gibt es darin keine Schlossallee; die Straßen heißen DB-Netz, DB-Regio, DB-Service und DB-Fernverkehr. Es ist Bahnopoly – ein ganz und gar nicht spannendes Spiel, da man nur verlieren kann: eine Reise mit der Bahn ins Jahr 2013 durch alle Untiefen der geplanten Bahnprivatisierung. Dabei geht es durch Weichenfriedhöfe, Schwindel-Trassen und Schlummergleise.
„Im Bundestag jetzt die Notbremse ziehen!“
„Mit der Bahnprivatisierung drohen ausgedünnte Fahrpläne, stillgelegte Strecken und höhere Fahrpreise“, sagen die Aktivisten des Bündnisses „Bahn für alle“ vor dem Spielfeld, „doch das kann der Bundestag noch stoppen.“ Auf dem Spielfeld liegt die Ereigniskarte „Notbremse ziehen“.
Das „Bündnis Bahn für Alle“ setzt sich aus 15 Organisationen zusammen: Globalisierungskritikern, Umweltschutzverbänden, politischen Jugendverbänden und Gewerkschaften. Die Aktivisten hoffen, dass die SPD sich nicht zur Marionette von Bahnchef Hartmut Mehdorn macht. Das stellt die Stelzenläuferin Bianca dar, die mit einer überdimensionalen Mehdorn-Maske Kollegen Frank als SPD-Marionette über das Spielfeld dirigiert.
Nebenan, auf dem Bundesparteitag der SPD im CCH wird an diesem Sonnabend über die Bahnprivatisierung debattiert. Viele Partei-Genossen kamen auf dem Weg vom Dammtorbahnhof zum Parteitag an Spielfeld und Infostand vorbei. Manche haben Informationsblätter angenommen.
Kurz vor dem Parteitag haben 1400 SPD-Mitglieder in einer Umfrage mit einer Unterschrift bestätigt, dass sie gegen jede Form der Privatisierung der Bahn seien. Die Unterschriften kamen von einfachen Mitgliedern sowie von Genossen mit klingenden Namen wie Peter Conradi, der von 1972 bis 1998 MdB war, oder Johanno Strasser, der Präsident PEN-Club Deutschland und Mitglied der Grundwertekommission ist. „Die Unterschriften kamen innerhalb von drei Wochen durch Mund zu Mund Werbung zustande, weil wir keinen Zugang zu Adressen der Partei hatten“, freut sich der Initiator des Aufrufs Detlev von Larcher (Attac) über die Unterschriftenlawine.
Einer der bekanntesten SPD-Genossen, Gerhard Schröder, hatte sich jedoch öffentlich für eine Privatisierung der Bahn ausgesprochen. Kommt man auf dem Bahnopoly-Spiel auf das Feld „Elektrizitätswerk“ zahlt man 250 Euro an den DB-Kapitalinvestor Gazprom, denn der russische Energiekonzern gilt als möglicher Interessent.
Beschluss: Privatisierung nur mit Volksaktien
Doch den Einfluss privater Investoren wollte man auf dem SPD-Parteitag lieber doch ausschließen. Stolze 32 Wortmeldungen gab es zum Thema Bahnprivatisierung. Das Konzept der Volksaktien mit dem geänderten Antrag von Beck wurde angenommen: „Sollte dieses Modell der stimmrechtslosen Vorzugsaktie nicht durchgesetzt werden können, dann beauftragt der Parteitag den neu gewählten Parteivorstand … jedwede vorgeschlagene Lösung zu beurteilen.“ Vor der Änderung hieß es: „Sollte dieses Modell der stimmrechtslosen Vorzugsaktien nicht durchgesetzt werden können, lehnen wir jeglichen Verkauf von Aktien ab.“ Dass die CDU dem Volksaktienmodell zustimmt, gilt als unwahrscheinlich. Am Thema „Bahn“ wird es noch zu knabbern geben.
Stefan Diefenbach-Trommer vom Bündnis „Bahn für Alle“ sagt zum SPD-Beschluss: „Eine klare Ablehnung (jedweder Privatisierung) wäre konsequenter gewesen, um das Allgemeinwohl im Schienenverkehr zu sichern“, doch seien jetzt wenigstens Mindeststandards gesetzt. Aus Volksaktien könnten Stimmrechts-Aktien werden. Das Bündnis „Bahn für Alle“ lehnt jede Form von Privatisierung ab.
Daniel Friedrich (IG-Metall) hält eine Privatisierung der Bahn für ungeeignet, einen bürgernahen und verlässlichen Bahnverkehr zu vernünftigen Preisen zu gewährleisten. Die Interessen der Beschäftigten, der Umwelt und insbesondere der Menschen außerhalb von den Ballungsräumen kämen unter die Räder. „Eine ‚Bahn für alle‘ ist eine gesellschaftliche Aufgabe“, sagt er.
Björn Böhning, Jusos-Vorsitzender, meint: „Es muss deutlich sein, dass wir mit der Deutschen Bahn einen öffentlichen Auftrag erfüllen, nämlich die Verkehrspolitik sicher zu stellen.“
Gleichung für Verkauf von Volksvermögen: 183=13
Monika Lege (Robin Wood) zeigt zu diesem Punkt auf der Pressekonferenz des Bündnisses „Bahn für Alle“ die besten Bilder eines Fotowettbewerbs gegen die Bahnprivatisierung. Die über 100 Teilnehmer haben dafür Prestigeobjekte wie den Berliner Bahnhof oder den gläsernen Bahntower in Berlin sowie heruntergekommene Land-Bahnhöfe oder Werbetafeln mit Preisschildern ausgezeichnet: „Von 183 Milliarden Euro auf nur 13 Milliarden Euro heruntergesetzt“.
Die Deutsche Bahn mit 34.000 Kilometern Schienen und 5.500 Bahnhöfen wurde in vielen Jahren von deutschen Steuergeldern aufgebaut. Das Vermögen der Deutschen Bahn inklusive eigener Kraftwerke, Elektrizität, Zügen, den Gebäuden und dem Grundbesitz hat nach Angaben des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung einen Wert von 183 Milliarden Euro. Um den möglichen Verkaufserlös ranken sich unterschiedliche Meldungen, die sich nur darin gleichen, dass die Angaben um ein vielfaches geringer sind als der angegebene Wert: 5,0 bis 8,7 Milliarden Euro beim Verkauf von 49 Prozent gibt das vom Bundestag beauftragte PRIMON-Gutachten an, drei Milliarden Euro beim Verkauf von 25 Prozent der Aktien soll laut Manager Magazin das Bundesfinanzministerium angegeben haben und laut einer Studie der Commerzbank seien 6,2 Milliarden für 49,9 Prozent der Aktien drin. Im Durchschnitt kommen also 13 Milliarden Euro heraus – ein Schleuderpreis.
Kapital – woher
Die Befürworter der Privatisierung befürchten, dass mit der Volksaktie nicht genug Kapital für Investitionen hereinkommt. Auf die Frage, wo frisches Geld für Investitionen herkommen soll, wenn die Bahn öffentliches Eigentum bleibt, antwortet Detlev von Larcher (Attac): „Erstens macht die Bahn Gewinne, man sollte Gewinne sinnvoll investieren. Eine zweite Möglichkeit wäre, unter Umständen ein Bundesschatzbriefmodell oder eine Staatsanleihe aufzulegen – wenn man denn frisches Geld haben muss.“ Als ehemaliger Steuerpolitiker fällt ihm als dritte Möglichkeit selbstverständlich auch ein verändertes Steuermodell ein.
Kapital – wofür
Gemäß der Kanzlerin Merkel benötigt die Bahn Geld, um es in den Ausbau der Schienen zu stecken. In Deutschland wurden einzelne Strecken zwischen Großstädten beschleunigt. Die gesparte Zeit hat mancher Reisende dann mit dem Warten auf den Anschlusszug Richtung außerhalb der Metropole verbracht. Hier drängt sich ein Vergleich auf: In der Schweiz gehört die Bahn dem Bund und den Kantonen. Dort wurden gezielt Strecken beschleunigt, so dass der gesamte Bahnverkehr schneller ist – angeblich mit weniger Geld. Die Schweizer fahren zweieinhalb mal mehr Kilometer pro Jahr mit ihrer Bahn als Deutsche – und das, obwohl Deutschland deutlich größer ist.
Zurück nach Deutschland: Bahnchef Mehdorn und Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee sagen beide, die Bahn brauche Geld für schönere Bahnhöfe, Flüsterwagons und neue ICEs. „Warum braucht die Bahn Geld für neue ICEs?“, fragt sich Diefenbach-Trommer. „Jeder normale Unternehmer hat Betriebsmittel, die er abschreibt, weil er weiß, irgendwann ist die Maschine kaputt und er braucht eine Neue. Für die Bahn heißt das Betriebsmittel ICE – offenbar hat sie nicht abgeschrieben und keine Rücklagen gebildet.“ Ein Management, das nicht abschreibt, würde für gewöhnlich gekündigt werden.
Tiefensee und Mehdorn argumentierten noch vor wenigen Wochen, die Bahn brauche Kapital, um Global-Player zu sein. Die DB AG kaufte Bahnen in Osteuropa auf. Für knapp eine Milliarde Euro übernahm sie vor wenigen Monaten den US-Konzern Bax Global und mischt seither in der Transport- und Logistikbranche in den USA und China mit. Der grundgesetzliche Auftrag der Bahn nach Artikel 87e ist, dem Gemeinwohl zu dienen.
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