Demonstranten hindern Habeck am Verlassen einer Fähre – Was sagt der Minister dazu?
Demonstranten haben Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) an der Nordseeküste am Verlassen einer Fähre gehindert. Sie blockierten am Donnerstag den Anleger in Schlüttsiel, sagte ein Polizeisprecher. Habeck habe deshalb wieder auf die Hallig Hooge zurückkehren müssen.
Nach Angaben der Polizei handelte es sich um mehr als hundert Demonstranten. Rund 30 Beamte seien im Einsatz gewesen. Sie hätten auch Pfefferspray eingesetzt, sagte ein Polizeisprecher. Von Verletzten war nichts bekannt.
Bundesregierung und Politiker von Grünen, FDP und CDU kritisierten die Protestaktion. Die Bundesregierung bezeichnete die Blockade der Ankunft von Habeck auf dem Anleger als beschämend. „Bei allem Verständnis für eine lebendige Protestkultur: Eine solche Verrohung der politischen Sitten sollte keinem egal sein“, schrieb Regierungssprecher Steffen Hebestreit auf der Plattform X, vormals Twitter.
Die Blockade von Habecks Ankunft im Fährhafen Schüttsiel „ist beschämend und verstößt gegen die Regeln des demokratischen Miteinanders“, hieß es.
Was war geschehen? Ein Video bei X/Twitter zeigt folgendes:
Was ist wirklich passiert in Schlüttsiel mit der „Erstürmung“ der Fähre auf der sich Habeck befand? Volles Video vom ganzen Ablauf.
Part 8 (Minute 6:46-7:42) sieht man exakt was und wie es abgelaufen ist.Übersicht:
Part 1+2: 0:00-1:59 – Übersicht der LagePart 3: 2:00-2:59 -… pic.twitter.com/W0mM47IPuE
— Ma-Ro (@no_bad_vibes1) January 5, 2024
Habeck zeigte sich besorgt
Robert Habeck selbst zeigte besorgt über das gesellschaftliche Klima in Deutschland. „Was mir Gedanken, ja Sorgen macht, ist, dass sich die Stimmung im Land so sehr aufheizt“, erklärte der Vizekanzler am Freitag. Protestieren in Deutschland sei „ein hohes Gut“.
Nötigung und Gewalt zerstörten dieses Gut. „In Worten wie Taten sollten wir dem entgegen treten“, forderte Habeck. „Als Minister habe ich qua Amt Schutz der Polizei. Viele, viele andere müssen Angriffe allein abwehren, können ihre Verunsicherung nicht teilen“, erklärte Habeck laut seinem Ministerium weiter. Sie seien „die Helden und Heldinnen der Demokratie“.
Habeck habe trotz Abratens seiner Personenschützer versucht, das Gespräch mit den Landwirten zu suchen. Ein sachliches Gespräch sei jedoch nicht möglich gewesen, sagte der Polizeisprecher. „Ich bedauere, dass keine Gesprächssituation mit den Landwirten zustande kommen konnte“, erklärte Habeck am Freitag. Er bedankte sich bei Mitreisenden, der Crew und den Einsatzkräften der Polizei.
Erst in der Nacht sei die Fähre wieder Richtung Schlüttsiel aufgebrochen, wo sie dann anlegen konnte. Habeck sei gegen 2:30 Uhr unversehrt an seinem Wohnsitz in Flensburg angekommen.
Bauernverband distanziert sich von Aufrufen zur Gewalt
Auch der Deutsche Bauernverband (DBV) hat die Blockade-Aktion gegen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) scharf kritisert. „Das geht gar nicht, das ist eine Grenzüberschreitung, eine Verletzung der Privatsphäre“, sagte DBV-Generalsekretär Bernhard Krüsken am Freitag dem WDR. „Gewalt und Nötigung haben bei unseren Aktionen nichts verloren.“
„Blockaden dieser Art sind ein No-Go“, erklärte auch DBV-Präsident Joachim Rukwied. „Wir sind ein Verband, der die demokratischen Gepflogenheiten wahrt.“ Grenzüberschreitungen wie in Schleswig-Holstein „akzeptieren wir auch nicht“.
Rukwied geht trotz der teilweisen Rücknahme der Kürzungspläne für Landwirte von einer starken Teilnahme an den geplanten Protesten in der kommenden Woche aus. „Ich rechne damit, dass Zehntausende Trecker zu unseren Sternfahrten in ganz Deutschland kommen werden“, sagte er der „Bild“ vom Freitag. „Dass damit auch Verkehrsbeeinträchtigungen einhergehen, versteht sich von selbst.“
Er grenzte sich von Versuchen ab, die geplanten Bauernproteste zu vereinnahmen. „Als Deutscher Bauernverband distanzieren wir uns in aller Deutlichkeit beispielsweise von Aufrufen zur Gewalt, von gewalttätigen Umsturzfantasien, von Beleidigungen, Drohungen oder von Symbolen und Bildern, die derartiges ausdrücken“, sagte Rukwied dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“.
„In den digitalen Netzwerken haben wir leider einiges davon wahrgenommen, auch von einzelnen Gruppierungen, die wir nicht mit uns auf der Bühne haben wollen“, sagte Rukwied weiter.
Der Deutsche Bauernverband stehe zur demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland. „Protest und Demonstrationen sind ein Grundrecht in Deutschland. Wir werden dieses Grundrecht auch für uns in Anspruch nehmen“, sagte der Verbandspräsident.
„Wir können unsere Mitglieder nur auffordern, dies mit legalen Mitteln zu machen und sich an geltendes Recht zu halten. Wir erhalten aktuell einen sehr beeindruckenden Rückhalt von Seiten der Bevölkerung und Solidarität von vielen anderen Branchen, die uns Unterstützung angeboten haben“, so Ruckwied. „Dies wollen wir auf keinen Fall gefährden.“
Reaktionen aus der Politik
Die Vorsitzende der Grünen im Bundestag, Britta Haßelmann, zeigte sich entsetzt: „Es ist erschreckend, was dort passiert ist und empört mich zutiefst. Es ist eine völlige Grenzüberschreitung und ein Angriff auf die Privatsphäre von Robert Habeck“, teilte sie mit. Dies habe nichts mit friedlichem Protest in einer lebendigen Demokratie zu tun. „Ein solches Handeln ist durch nichts zu rechtfertigen. Vom Bauernverband erwarte ich, dass er diese Angriffe in aller Schärfe verurteilt und sich von solchen Aktionen distanziert.“
Justizminister Marco Buschmann (FDP) schrieb auf der Plattform X (ehemals Twitter): „Dass man auch mal wütend ist: geschenkt. Aber klar ist: Gewalt gegen Menschen oder Sachen hat in der politischen Auseinandersetzung nichts verloren! Das diskreditiert das Anliegen vieler Landwirte, die friedlich demonstrieren.“
Auch Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) schrieb auf X: „Dort, wo Worte durch Gepöbel und Argumente durch Gewalt ersetzt werden, ist eine demokratische Grenze überschritten.“ Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) erklärte auf X, weite Teile der Gesellschaft teilten aus guten Gründen den Konsens, dass man zivilisiert miteinander umgehen und streiten. „Ich messe da immer mit gleichem Maß, ob bei Klimaklebern oder bei den Bauern am Fährhafen: Gewalt und Nötigung sind verachtenswert & schaden auch dem Anliegen.“
Umweltministerin Steffi Lemke schrieb auf X: „Das ist das Gegenteil von dem, was ich heute in der durch Hochwasser gebeutelten Region Mansfeld-Südharz erlebte – Solidarität, Zusammenhalt, Respekt, Zusammenarbeit unterschiedlichster Gruppen für den Schutz der Bevölkerung. Ich erwarte eine Klare Distanz durch @Bauern_Verband.“
Der frühere CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak erklärte auf X, es werde hier eine Grenze überschritten. „Wer die Ampel inhaltlich laut kritisiert, darf jetzt nicht schweigen. Das geht so nicht!“
Aktionswoche ab Montag
Am Donnerstag reagierte die Bundesregierung auf die massiven Bauernproteste wegen des geplanten Abbaus von Subventionen: Die Koalition will auf die Abschaffung der Kfz-Steuerbefreiung für die Landwirtschaft verzichten.
Die Abschaffung der Steuerbegünstigung beim Agrardiesel soll gestreckt und in mehreren Schritten vollzogen werden. Der Deutsche Bauernverband hält die Maßnahmen aber für unzureichend – und hält an einer ab Montag geplanten Aktionswoche fest.
Eine Sprecherin Habecks sagte dpa am Abend zu dem Vorfall am Fähranleger, der Minister sei gerne bereit gewesen, mit den Landwirten zu sprechen. „Leider ließ die Sicherheitslage ein Gespräch mit allen Landwirten nicht zu, das von Minister Habeck gemachte Gesprächsangebot mit einzelnen Landwirten wurde leider nicht angenommen.“
Laut Polizei beruhigte sich die Lage schnell, nachdem die Fähre abgelegt hatte. Anzeigen lagen am Abend nicht vor. „Landfriedensbruch steht schon im Raum“, sagte ein Polizeisprecher auf die Frage, ob trotzdem ermittelt werde. (dpa/afp/red)
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