„Wohl des Landes“ nicht mehr im Fokus: Zwei Christdemokraten steigen aus
Während derzeit mancher Ortsverein neue Sympathisanten für den „Kampf gegen Rechts“ gewinnen kann, kehren andere Parteibuchinhaber ihrer politischen Heimat den Rücken, speziell jene, die schon länger in Amt und Würden bei der CDU sind.
Innerhalb von wenigen Tagen erklärten unter anderem der sächsische Landtagsabgeordnete Stephan Hösl und Albert Weiler, ein früherer Bundestagsabgeordneter und heutiger Kommunalpolitiker in Thüringen, ihren Austritt aus der CDU. Beide begründeten ihren Schritt mit dem Kurs der Parteispitze.
Hösl: „Wohl des Landes“ nicht mehr im Fokus der CDU
Wie die „Leipziger Volkszeitung“ unter Verweis auf die „Freie Presse“ berichtete, verließ der Abgeordnete Stephan Hösl, Jahrgang 1966, zum 2. Februar 2024 die CDU und seine alte Landtagsfraktion. Bereits am 1. Februar hatte er selbst seinen Schritt auf seinem Facebook-Account begründet:
Als ich 2008 in die CDU eintrat, war sie eine Partei der Macher. Eine Partei, in der das Wohl des Landes im Fokus stand. Eine Partei, in der das Wort ‚christlich‘ noch Gewicht hatte. […] Ich hätte mir gewünscht, dass das ‚C‘ im Namen unserer Partei wieder an Bedeutung gewinnt. Stattdessen wurden entsprechende Bemühungen sehr stark kritisiert.“
Hösl erklärte, er teile die „Unzufriedenheit“ seiner Mitbürger, die sich spätestens seit Jahresbeginn nicht „ernstgenommen, nicht gehört“ fühlen würden: Diese empfänden sich „als ‚Spielball‘ der Politik, die verlernt hat, zuzuhören“. Dabei seien Politiker doch „gewählte Volksvertreter“, die „direkt ihren Wählern verpflichtet“ seien. „Dieses Bewusstsein ist uns abhandengekommen“, so Hösl. Deshalb sei er zu dem Schluss gelangt, „dass die Verantwortung ihnen und meinem Gewissen gegenüber schwerer wiegt als Parteizugehörigkeit“. Es könne für ihn „keinen weiteren Weg mit der CDU mehr geben“.
Bei Hösls Entscheidung soll auch die Tatsache eine Rolle gespielt haben, dass ihn die Landespartei vor wenigen Tagen auf einen aussichtslosen Listenplatz für die Landtagswahl im September gesetzt hatte. Zuvor sei er auch in seinem vogtländischen Wahlkreis nicht mehr berücksichtigt worden. „Mindestens vier Mitglieder aus dem Stadtverband müssen gegen mich gestimmt haben. Das ist eine große Enttäuschung“, habe Hösl schon damals gegenüber der „Freien Presse“ (Bezahlschranke) eingeräumt.
Künftig für die Freien Wähler unterwegs
Bis zum Ende der Legislatur wolle der Vogtländer als fraktionsloser Abgeordneter im Landtag Dresden bleiben. Daneben engagiert er sich seit Kurzem für die Freien Wähler in Sachsen. Laut „Leipziger Volkszeitung“ hatte Thomas Weidinger, der Landesvorsitzende der Freien Wähler, Hösls Übertritt zur Kenntnis genommen: „Wir freuen uns über jeden Mitstreiter, der zu uns passt.“
Der gelernte Bergmann und Telekommunikationstechniker Hösl hatte seine politische Karriere 2009 laut Wikipedia als Stadtrat seiner Geburtsstadt Reichenbach gestartet. 2014 und 2019 war er als Direktkandidat seines Wahlkreises in den Landtag gewählt worden. Bei der dortigen CDU-Fraktion wurde sein „Steckbrief“ bereits gelöscht.
Parteikollege an Hösl: „Menschlich ein Tiefpunkt“
Hösls „Banknachbar“ im Landtag, Steve Johannes Ittershagen, warf Hösl auf dessen Facebook-Seite vor, „unredlich“ gehandelt zu haben. „Hättest du nur annähernd das gelebt, was du hier wortreich kundgetan hast, so wären deine Leute vor Ort nie auf die Idee gekommen dich aus dem Rennen zu nehmen“, schrieb Ittershagen, ohne näher auf Details einzugehen. „Wut und Enttäuschung sind nie ein guter Ratgeber für zu treffende Entscheidungen“, riet der Christdemokrat. Und weiter: „Menschlich ist das für mich ein Tiefpunkt. Real betrachtet ist es einzig und allein Opportunismus.“
Versöhnlicher gab sich CDU-Fraktionschef Christian Hartmann. Nach Angaben der „Bild“ habe Hartmann Hösls Entscheidung „bedauert“, respektiere aber seinen Abgang: „Wir haben in den vergangenen neuneinhalb Jahren immer vertrauensvoll zusammengearbeitet. Mit ihm verliert die CDU einen gestandenen Abgeordneten, der als langjähriger Vorsitzender des Petitionsarbeitskreises eine gute Arbeit geleistet hat.“
Bereits 2022 habe Hartmann auf einen Landtagsmitstreiter verzichten müssen. Damals war der „frühere Abgeordnete und spätere Innenstaatssekretär Günther Schneider“ nach Angaben der „Freien Presse“ zu den Freien Wählern gewechselt.
Thüringer Ex-MdB vermisst ebenfalls konservative Werte in der CDU
Albert Weiler, Jahrgang 1965 und ehrenamtlicher Bürgermeister von Milda im Südlichen Saaletal (Thüringen), hatte bereits am 30. Januar 2024 einen Schlussstrich unter seine langjährige CDU-Vergangenheit gezogen, wie die „Ostthüringer Zeitung“ (OTZ) meldete. Er sei ebenfalls schon „seit geraumer Zeit […] unzufrieden mit seiner Partei“ gewesen. Auch er nannte den Kurswechsel der CDU als Hauptgrund:
Alles, was Mitte in Richtung konservativ ist, wird kategorisch abgelehnt. Ich musste das leider viele Jahre im Bundestag hautnah erleben und die Kollegen, die eine andere Meinung hatten als das CDU-Präsidium, wurden, wie man so schön sagt, auf Eis gelegt.“
Nachdem jüngst das „Agieren einiger Leute“ ihn enttäuscht habe, sei das Fass endgültig übergelaufen.
„Wir rutschen immer weiter nach links“ – „ein großer Fehler“
Weiler nutzte den Abschied für eine offene Abrechnung mit Parteichef Friedrich Merz: „Die CDU, wie ich sie kannte, als ich der Partei vor mehr als 20 Jahren beitrat, gibt es leider nicht mehr. Wir rutschen immer weiter nach links und damit in eine Richtung, in der ehrliche Arbeit und Leistung weniger gefördert werden als unredliches Nichtstun.“ Er selbst habe als „einfaches Arbeiterkind […] nach dem Grundsatz gelebt […], wenn du etwas haben möchtest, musst du auch etwas tun dafür“.
Die Taktik der CDU, nämlich „Rot- und Grün-Wähler abspenstig zu machen“, sei aus seiner Sicht ein „großer Fehler“ gewesen. Denn die Partei habe damit „die konservative christliche Flanke einfach […] liegen lassen“.
Das habe auch zur Abspaltung der WerteUnion geführt, deren Mitglieder „sozusagen herauskatapultiert“ worden seien, meinte Weiler.
Weiler: „Wir arbeiten nicht mehr für das Volk“
Fast identisch wie Dr. Hans-Georg Maaßen, der ehemalige Chef des Bundesverfassungsschutzes und aktuelles Gesicht der noch zu gründenden WerteUnion-Partei, kam auch Weiler zu dem Schluss: „Der Tenor ist leider mittlerweile in der CDU so, dass man lieber mit den Grünen eine sozialistische Hochzeit eingeht, als mit den Konservativen, auch nur einmal zu reden“. Und weiter: „Wir arbeiten nicht mehr für das Volk, sondern nur noch für Ideologien und für die Ziele Einzelner.“
Weiler präzisierte seinen Unmut: Die CDU habe nicht „dagegen gearbeitet“, dass die Wirtschaft immer weiter kaputtgehe, der Mittelstand das Land verlasse, Firmen „massenweise an Chinesen verkauft“ und arbeitende Menschen „durch Steuern immer mehr belastet“ würden.
Ob er auch ohne CDU-Parteibuch weiterhin seine vielfältigen Aufgaben als Lokal- und Kreispolitiker wahrnehmen könne, werde sich zeigen, so Weiler im Gespräch mit der OTZ. Das Bürgermeisterehrenamt von Milda wolle er jedenfalls gerne weiterführen. Auch ein weiteres parteipolitisches Engagement abseits der Union könne er nicht ausschließen:
Wenn sich eine Partei findet, was ich derzeit noch nicht sehe, welche die Werte der CDU von damals vor 20 Jahren widerspiegelt, könnte ich mir schon vorstellen, wieder aktiv zu werden.“
Er wünsche sich wie viele andere „wieder eine Partei, so wie sie unter der Führung von Helmut Kohl war. Berechenbar, bodenständig und glaubwürdig.“ So ähnlich hatte sich auch Hans-Georg Maaßen immer wieder ausgedrückt.
Der freie Journalist Boris Reitschuster veröffentlichte Weilers Abschiedsschreiben an CDU-Parteichef Friedrich Merz in voller Länge auf seiner Website. Weiler, von Haus aus Verwaltungswirt, Betriebswirt und Politologe, hatte demnach bereits früher einmal eine Partei verlassen. 2002 seien es die Sozialdemokraten gewesen, bei denen er keine Heimat mehr für sich gesehen habe. Nach Informationen von Reitschuster war Weiler damals „wegen deren Entscheidung, in Brandenburg mit der ‚Linken‘ zu koalieren“, ausgetreten.
Mehr Eintrittswünsche seit „Potsdam“ – besonders bei AfD und Grünen
Wie die „Tagesschau“ kürzlich berichtete, verzeichnen alle relevanten Parteien in Deutschland seit Jahresbeginn einen Zulauf an Mitgliedsanträgen. Vor allem die AfD (plus 3.300) und die Grünen (plus 2.600) profitierten in den ersten vier Wochen des Jahres davon. Die Linkspartei habe immerhin 1.070 Neuanträge zu bearbeiten. Auch die SPD und die Union hätten einen verstärkten Andrang festgestellt, aber keine genauen Zahlen vorlegen können.
Als Hintergrund vermute der Parteienforscher Benjamin Höhne von der Universität Magdeburg eine „gesellschaftliche Zuspitzung“ infolge des am 10. Januar 2024 bekannt gewordenen „Potsdamer Treffens“ von Vertretern der AfD, der CDU und Privatpersonen, bei dem es auch um das Thema Remigration gegangen war. Weil AfD und Grüne „gesellschaftspolitisch die klarsten Gegenpole“ darstellten, sei der Zulauf zu diesen beiden Parteien vermutlich besonders hoch.
Vor drei Jahren hatte der Berliner Parteienforscher Wolfgang Merkel die Volksparteien „schon lange im Niedergang“ gesehen.
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