Woher kommt Gaucks schwieriges Verhältnis zu Russland?
Am 21. Februar hat der frühere Bundespräsident Joachim Gauck die Außenpolitik Deutschlands der vergangenen Jahre mit Blick auf Russland kritisiert. Dabei betonte das ehemalige Staatsoberhaupt, dass auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Fehler gemacht habe. „Putin musste erst diesen brutalen Überfall starten, bis wir nun endlich begriffen haben: Wir können entschlossener reagieren. Wo uns Feindschaft entgegengebracht wird, da muss man auf eine andere Weise reagieren“, sagte Gauck bei einer Aufzeichnung für die Sendung „RTL Nachtjournal“.
„Wunschdenken“ im Verhältnis zu Russland
Der parteilose ehemalige Bundespräsident attestierte Deutschland, dass es ein „Wunschdenken“ gegeben habe, das noch weit über die Sozialdemokratie hinausgegangen sei. „Dass, wenn wir den Gegner nur freundlich genug anschauen, dass der auch in entsprechender Weise reagiert. Man hat diese Andersartigkeit des Gegenübers nicht erkannt und man wollte auch nicht Feindschaft wahrnehmen, wo schon Feindschaft existierte.“
Gauck verwies auf ein klares wirtschaftliches Interesse, das es in den Beziehungen zu Russland gegeben habe: „Angela Merkel hat das dann als ein Element von Wirtschaftspolitik betrachtet, auch von Privatwirtschaft und war dann nicht entschlossen, dies zu beenden.“ Zwar betonte der studierte Theologe, dass er Merkel einen „großen Respekt“ zolle, sagte aber auch: „Natürlich unterlaufen Politikern auch Fehler und ich bin ganz gespannt, wenn sie ihre Memoiren vorlegen wird, wie sie sich dazu einlassen wird. Bisher haben wir dazu noch nicht viel gehört.“
Schon als Bundespräsident ein schwieriges Verhältnis zu Putin
Joachim Gaucks kritische Haltung zur russischen Politik und zum russischen Präsidenten Wladimir Putin ist nicht neu. Während seiner Amtszeit (2012-2017) war es immer wieder zu Differenzen zwischen Deutschland und Russland um seine Person gekommen. Auch aus der deutschen Politik wurde Gauck für seinen klaren Standpunkt kritisiert.
Schon 2012 – kurz bevor er zum Bundespräsidenten gewählt wurde – hatte Gauck seine Haltung deutlich gemacht. Laut einem Medienbericht im „Spiegel“ vom August 2012 hatte sich Kandidat Gauck vor seiner Wahl den Bundestagsfraktionen vorgestellt. Zu Gast bei der Fraktion der Grünen wurde Gauck von einem ehemaligen DDR-Bürgerrechtler gefragt, wie er mit einem ausländischen Repräsentanten à la Putin umgehen würde. „Das ist die schlimmste Frage, die Sie mir stellen konnten“, soll Gauck laut „Spiegel“ geantwortet haben.
Nach seiner Vereidigung tat sich das neue Staatsoberhaupt noch immer sichtlich schwer im Umgang mit seinem russischen Pendant. Im Juni 2012 kam es zur ersten Begegnung zwischen dem Bundespräsidenten und Putin, nachdem dieser zunächst Kanzlerin Merkel besucht hatte. „Offen“ sei das 45-minütige Gespräch gewesen, war danach von Gauck zu hören. Der „Spiegel“ berichtete, dass dem Vernehmen nach aber nur wenige Freundlichkeiten ausgetauscht worden sind. Gauck solle ziemlich unmissverständlich die mangelnde Rechtsstaatlichkeit in Russland angeprangert haben. Der russische Staatsgast soll darauf wenig erfreut reagiert haben.
Wenige Wochen später war dann ursprünglich ein Antrittsbesuch des Bundespräsidenten in Moskau geplant. Russland hatte ein „Deutschlandjahr“ ausgerufen, das Gauck eröffnen sollte. Nach wochenlangem Hickhack soll es aber nicht gelungen sein, sich über einen gemeinsamen Besuchstermin zu verständigen. Der „Spiegel“ schrieb, dass der russische Präsident klargemacht habe, dass er einer gemeinsamen Eröffnung des Deutschlandjahres nichts abgewinnen könne. Nach Putins Ansicht sei Kanzlerin Merkel sein wirklicher Ansprechpartner in Deutschland gewesen, so der „Spiegel“.
Im Bundespräsidialamt wurde die Geschichte seinerzeit allerdings etwas anders erzählt. Dort habe man sich für den Russlandbesuch von Gauck zur Eröffnung des Deutschlandjahres auf einen Termin verständigt, an dem Putin selbst im Ausland unterwegs sein würde. Die russische Seite habe einem Gauck-Besuch ohne Putin allerdings nicht zustimmen wollen. Ganz gleich, welche Version am Ende stimmen sollte: Schon sehr früh war klar, dass Joachim Gauck und Wladimir Putin ein schwieriges Verhältnis zueinander hatten.
Kein Besuch der Olympischen Spiele in Sotschi
Wenig später stand schon wieder Krach ins Haus. Der Bundespräsident entschied, dass er die Olympischen Winterspiele 2014 im russischen Sotschi nicht besuchen werde. Der damalige Chef des Auswärtigen Ausschusses im russischen Parlament, Alexej Puschkow, missbilligte diese Entscheidung damals per Twitter:
Der deutsche Präsident Gauck kritisierte kein einziges Mal die Tötung von Kindern und Frauen in Pakistan und Afghanistan. Aber er verurteilt Russland so stark, dass er nicht einmal nach Sotschi reisen will.“
Die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ (FAS) berichtete damals auch über Kritik im Kanzleramt am Vorgehen Gaucks: Das Bundespräsidialamt solle das Kanzleramt nicht informiert haben. Andernfalls hätte man dem Bundespräsidenten von diesem Schritt abgeraten. Gauck – so die damalige Einschätzung – fördere eine Polarisierung in den deutsch-russischen Beziehungen.
Eklat nach Rede in Danzig
Zum sicherlich größten Eklat in der Amtszeit des Bundespräsidenten Gauck kam es dann am 1. September 2014 bei der Gedenkfeier zum 75. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkrieges, der 1939 mit dem Überfall auf Polen begonnen hatte. In seiner Rede in Danzig sagte Gauck damals unter anderem:
Die Geschichte lehrt uns, dass territoriale Zugeständnisse den Appetit von Aggressoren oft nur vergrößern. Die Geschichte lehrt uns auch, dass aus unkontrollierter Aggression eine Dynamik entstehen kann, die sich irgendwann der Steuerung entzieht.“
Hintergrund der Äußerungen war die Annexion der Krim durch russische Truppen am 18. März 2014. Vor allem aus den Reihen der Linken kam damals Kritik an der Rede von Gauck. Der damalige Parteichef Bernd Riexinger hatte Gauck vorgeworfen, den Gesprächen über eine Entspannung der Ukraine-Krise zu schaden. Riexinger forderte vom Bundespräsidenten „mehr Zurückhaltung“ auf dem Feld der Außenpolitik. „Es zeugt von wenig historischer Sensibilität, wenn ein deutsches Staatsoberhaupt am Jahrestag des Weltkriegsausbruchs Öl ins Feuer eines europäischen Konflikts gießt“, sagte Riexinger, „das konterkariert alle Bemühungen um eine Deeskalation des Konflikts in der Ukraine.“ Riexinger beschuldigte Gauck mit einem „präsidialen Fehlgriff ersten Ranges“. Der Austausch einseitiger Schuldzuweisungen sei Sprengstoff: „Gerade die Menschen im Osten wissen, dass wir für den Frieden den Ausgleich auch mit Russland brauchen“, sagte der Linken-Vorsitzende.
Auch Historiker äußerten sich damals kritisch zu Gaucks Gedenktagsrede. Vor allem Gaucks Anspielung auf die Appeasement-Politik des früheren britischen Premiers Neville Chamberlain, der noch vor dem Zweiten Weltkrieg die kleineren Territorialgelüste des Deutschen Reiches zugunsten des Friedens in Europa akzeptiert hatte, sorgte für Widerworte. „Putin ist nicht Hitler“, erklärte die Historikerin Ute Frevert damals in der „Süddeutschen Zeitung“. Gauck habe gar weiteres Öl ins Feuer gegossen, indem er auf der Westerplatte in Danzig kein Wort über den nahtlosen Übergang des Wehrmachtsangriffs auf Polen in den späteren Überfall auf die damalige Sowjetunion verlor, meint Jochen Hellbeck, Historiker an der Rutgers University in New Jersey.
Inhaftierung des Vaters prägt Gauck bis heute
Woher erklärt sich aber die russlandkritische Haltung von Joachim Gauck?
In seinen Memoiren „Winter im Sommer – Frühling im Herbst: Erinnerungen“ (Penguin Verlag, 2017) beschreibt Gauck die dramatischen Umstände, unter denen sein Vater Wilhelm im Sommer 1951 im mecklenburgischen Wustrow bei einem Verwandtenbesuch spurlos verschwunden war. Gauck war gerade elf Jahre alt. Dass sein Vater vor einem sowjetischen Militärtribunal in Schwerin unter anderem wegen „antisowjetischer Hetze“ zu einer jahrzehntelangen Freiheitsstrafe verurteilt worden war, erfuhr der Sohn erst viel später. Zwei Jahre lang lebte er mit Mutter und Geschwistern in Ungewissheit. Erst 1953, als Gauck 13 Jahre alt war, brachte die Familie in Erfahrung, dass der Vater lebte und in einem sibirischen Arbeitslager inhaftiert war.
Das Verschwinden des Vaters, so erzählt es Gauck, prägte nicht nur das Familienleben, sondern vor allem auch seine persönliche Haltung zum DDR-Regime und zur damaligen Sowjetunion. „Das Schicksal unseres Vaters wurde zur Erziehungskeule. Die Pflicht zur unbedingten Loyalität gegenüber der Familie schloss auch die kleinste Form der Fraternisierung mit dem System aus“, schreibt Gauck. „Intuitiv wehrte ich das Werben des Regimes für die Akzeptanz seiner moralischen und politischen Ziele ab, denn über uns hatte es Leid und Unrecht gebracht.“
1955 kam der Vater vorzeitig frei, abgemagert und äußerst geschwächt. Als Jugendlicher erlebte Gauck, wie sein Vater erst langsam wieder zu Kräften kam und erst nach einem Jahr wieder seine Arbeit als Schiffslotse aufnehmen konnte. Diese Erinnerungen prägen Joachim Gauck offensichtlich bis heute.
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