Wissenschaftsrat empfiehlt dringende Transformation der Agrarsysteme: Milliarden Hungernde und Übergewichtige

Das Bundeslandwirtschaftsministerium hatte den Wissenschaftsrat mit einer Begutachtung der Strukturen beauftragt. Bestehende Systeme sind demnach nicht in der Lage, die Menschen ausreichend zu versorgen.
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Die Agrarsysteme bedürfen nach Ansicht des Wissenschaftsrats einer Transformation.Foto: GTMedia/iStock
Von 8. Juli 2024

Der Wissenschaftsrat hat am Montag, 8. Juli, einen Bericht mit Empfehlungen für die Agrar-, Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften für die kommende Dekade veröffentlicht. Die Strukturbegutachtung hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft im Jahr 2021 in Auftrag gegeben, heißt es in einer Pressemitteilung.

830 Millionen hungernde Menschen

Herausgekommen ist eine fast 250 Seiten umfassende Ausarbeitung, in dessen Mittelpunkt fünf sogenannte Handlungsräume stehen: Forschung, Forschungs- und Dateninfrastrukturen, Bildung, Transfer und Innovation sowie Wissenschaftskommunikation und Politikberatung (S. 26 bis 80).

Zunächst positioniert sich der Rat und betont die Notwendigkeit einer Transformation (ab S. 10). So seien die Agrar- und Ernährungssysteme in ihrer derzeitigen Organisation trotz steigender Produktionsleistungen vielfach nicht in der Lage, die Weltbevölkerung ausreichend mit Lebensmitteln zu versorgen. Der Rat nennt Zahlen: bis zu 830 Millionen hungernde Menschen, drei Milliarden, die sich keine gesunde Ernährung leisten können, mehr als zwei Milliarden Übergewichtige. Generell sei die Tendenz steigend. Auch in Deutschland bestehen dem Rat zufolge große Unterschiede in puncto gesunder Ernährung.

Die derzeit angewandten Methoden zur Erzeugung von Lebensmitteln seien ein zentraler Faktor „für die Überschreitung der planetaren Grenzen“. Es werde zu viel Grundwasser verbraucht, auch verödeten Böden. Ein Anteil am Aussterben von Pflanzen und Tieren komme hinzu. Auch trügen die Agrar- und Ernährungssysteme zum Klimawandel bei, weil sie ein Drittel der weltweit erzeugten Energie verbrauchten und ebenfalls ein Drittel der globalen Treibhausgasemissionen betrügen. Die Lage werde sich vor dem Hintergrund einer weiter steigenden Weltbevölkerung „aller Voraussicht nach weiter verschärfen“.

Bei Transformation viele Bereiche einschließen

Es bedürfe daher einer dringenden Transformation, die sich jedoch nicht allein auf die Herstellung von Lebensmitteln beschränke. Sie schließe auch die Produktion von Textilien, Verpackungen, Baustoffe und einiges mehr ein.

In seinem 2023 veröffentlichten Positionspapier hatte der Wissenschaftsrat bereits ein Zielbild entwickelt und zugleich Herausforderungen und Handlungsbedarfe für die Neuausrichtung des wissenschaftlichen Feldes, dessen Zentrum die Agrar-, Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften (ALE) bilden, herausgearbeitet. Grundlage dafür war die Agenda 2030 mit ihren 17 Nachhaltigkeitszielen. In dem „Zukunftsvertrag“ gehe es um eine Welt ohne Hunger, in der Gesundheit und Wohlergehen von Menschen, Tieren und Umwelt gewährleistet seien. Das nun vorgestellte Positionspapier beinhaltet Empfehlungen und zeige konkrete Entwicklungsmöglichkeiten auf.

Die ALE seien im deutschen Wissenschaftsfeld „breit verankert“. Für die Unterstützung einer Transformation sei es jedoch nicht ausreichend zukunftsfähig aufgestellt. So würden etwa gesellschaftliche Problemstellungen und Akteursgruppen nicht ausreichend berücksichtigt.

Der Rat empfiehlt daher (ab S. 7) unter anderem eine „systemisch orientierte und interdisziplinäre Forschung in den ALE“. Die Verknüpfung zu angrenzenden Wissenschaften (Gesundheits-, Klima, Sozialwissenschaften oder politische Philosophie) sollte ausgebaut werden. Steuerungsmechanismen – etwa im Sinne von Anreiz- oder Förderstrukturen – müssten „deutlich“ weiterentwickelt werden.

Mehr Zugriff auf Daten, Studienangebote weiterentwickeln

Des Weiteren müsse der „Kulturwandel im Forschungsdatenmanagement“ vorangetrieben werden. So solle ein Zugriff auf Daten „auch aus außerakademischen Einrichtungen“ möglich sein. Studienangebote sollten weiterentwickelt werden. Sie müssten inhaltlich deutlich auf die Transformationsanforderungen ausgerichtet sein, sodass sie mehr interessierte Menschen anspricht und auch Teilzeit und berufsbegleitende Angebote enthalten.
Der Rat empfiehlt auch eine Intensivierung nationaler und internationaler Zusammenarbeit und Forschungsstrategien abzustimmen.

Aus Sicht des BMEL sind die strukturellen Veränderungen in den Agrar-, Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften hin zu einer transformationsorientierten Forschung notwendig. Ein Ausblick zur konkreten Umsetzung von einzelnen Empfehlungen könne das Amt aber derzeit noch nicht geben, heißt es in der Pressemitteilung weiter. Zunächst würden die Empfehlungen intern begutachtet.

Die Empfehlungen formulierte eine vom Wissenschaftsrat eingesetzte Arbeitsgruppe aus Sachverständigen, die fast ausschließlich im Ausland tätig und keine Mitglieder des Wissenschaftsrats sind, sowie Vertretungen aus den Bundesländern und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Die Kosten für die Untersuchung beziffert das BMEL mit insgesamt 1,2 Millionen Euro.



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