Wird jeder bald automatisch Organspender? Eine Debatte im Schatten des Wahlkampfs

Die geplante Änderung des Transplantationsgesetzes war Thema einer Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages. Zu Wort kamen Befürworter und Gegner der Änderung, die alle Menschen in Deutschland als potenzielle Spender einschließt – es sei denn, man widerspricht.
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Findet der Entwurf zur Änderung des Transplantationsgesetzes im Bundestag eine Mehrheit, wird jeder Mensch in Deutschland automatisch zum Organspender – es sei denn, er widerspricht.Foto: via dts Nachrichtenagentur
Von 1. Februar 2025

Im Vorfeld der geplanten Änderung des Transplantationsgesetzes fand am vergangenen Mittwochnachmittag eine zweistündige Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages statt. Im Kern gehe es bei der Gesetzesänderung darum, die Situation der Organspende in Deutschland zu verbessern, erläuterte die Vorsitzende des Gesundheitsausschusses, Dr. Kirsten Kappert-Gonther (Grüne). Über den Weg gibt es allerdings unterschiedliche Auffassungen. Im Mittelpunkt steht dabei die Einspruchsregelung, die bei Teilen der Abgeordneten auf Widerspruch stößt. In der Anhörung kamen sowohl Befürworter als auch Kritiker zu Wort.

14.000 Menschen warteten 2024 auf ein neues Organ

Als Vorlage dient eine Drucksache des Bundesrates sowie eine Drucksache einer Gruppe von Bundestagsabgeordneten. Der Gesetzentwurf sieht eine grundsätzliche Zustimmung zur Organspende vor, der man jedoch widersprechen kann. Konkret soll es künftig in § 1, Abs. 1 heißen:

„Ziel des Gesetzes ist es, die Organspende in Deutschland zu fördern. Es soll dazu beitragen, den Menschen, die auf eine Organ- oder Gewebespende angewiesen sind, zu helfen. Daher gilt grundsätzlich jede Person, die mit alleiniger Wohnung oder mit Hauptwohnung in Deutschland gemeldet ist, als Organ- und Gewebespender, es sei denn, es liegt ein zu Lebzeiten erklärter Widerspruch oder ein der Organ- oder Gewebeentnahme entgegenstehender Wille vor. Das Recht des Einzelnen, sich für oder gegen eine Organ- oder Gewebespende zu entscheiden, bleibt unangetastet. Hierzu soll jede Bürgerin und jeder Bürger regelmäßig im Leben in die Lage versetzt werden, sich mit der Frage seiner eigenen Spendenbereitschaft ernsthaft zu befassen und aufgefordert werden, die jeweilige Erklärung auch zu dokumentieren.“

Neu ist also, dass jeder Mensch grundsätzlich als Organspender infrage kommt, es sei denn, er widerspricht einer Entnahme explizit. Die bislang noch gültige Regelung sieht das nicht vor.

Einleitend führte Dr. Axel Rahmel, medizinischer Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), aus, dass die Zahl der Transplantationen seit Jahren stagniere. Ende 2024 warteten rund 14.000 Deutsche auf ein neues Organ. Hinzu kämen etwa 100.000 Dialysepatienten. Etwa einem Drittel von ihnen könne durch eine Nierentransplantation geholfen werden.

2023 habe es 3.421 Kontakte zu möglichen Organspendern gegeben, 965 (28 Prozent) waren letztlich dazu bereit. Fast drei Viertel (2.456) brachen den „Organspendeprozess“ jedoch ab, laut Rahmel war in fast der Hälfte der Fälle (1.202) eine fehlende Zustimmung der Grund.

Bundesärztekammer unterstützt den Antrag

Rahmel ist davon überzeugt, dass die Widerspruchsregelung förderlich für eine Auseinandersetzung mit dem Thema sei. Eine gesetzliche Regelung werde aber voraussichtlich nicht „zu einem sprunghaften Anstieg der Organspendezahlen führen“. Sie stelle aber aus Sicht der DSO „einen wichtigen Baustein zur Schaffung einer Kultur der Organspende dar“. Die Einführung einer Widerspruchsregelung rücke das Thema in das Bewusstsein der Bevölkerung und „gibt ein klares Signal, dass Gesellschaft und Politik hinter der Organspende stehen“.

Die Bundesärztekammer (BÄK) unterstützt die Widerspruchsregelung „ausdrücklich“. Sie könne „zu einem echten Mentalitätswandel in der Bevölkerung beitragen und so die Diskrepanz zwischen der hohen grundsätzlichen Spendenbereitschaft und den tatsächlich niedrigen Spenderzahlen verringern“. Die individuelle Entscheidungsfreiheit der Bürger sieht die BÄK zudem als gewahrt an.

Gesetzentwurf geht nicht auf Eingriff in Grundrechte ein

Der Verein Kritische Aufklärung über Organtransplantation kritisiert das Bestreben des Bundestages, die Widerspruchslösung ohne öffentliche Diskussion zu beschließen. „Sollte das Parlament diese Neuregelung beschließen, würde jeder Bundesbürger automatisch zum potenziellen Organ- und Gewebespender – es sei denn, er hätte vorher widersprochen“, heißt es in einer Stellungnahme des Vereins. Angesichts der medizinethischen und rechtlichen Tragweite der geplanten Gesetzesreform sei das politische Vorhaben, „im Hauruck-Verfahren eine Kehrtwende der Transplantationsgesetzgebung durchzusetzen, inakzeptabel“.

KAO appelliert daher an die Bundestagsabgeordneten, „die hochkomplexe Rechtssituation von potenziellen Organspendern unter Bedingungen der Widerspruchslösung juristisch prüfen zu lassen“. Die Rechtslage der als Spender infrage kommenden Intensivpatienten bewegt sich bereits heute in einer Grauzone zwischen dem Betreuungsrecht (BGB) und der Transplantationsgesetzgebung.

Schon jetzt beginne die fremdnützige Behandlung von potenziellen Spendern auf der Intensivstation „bereits mit der Diagnose einer schweren Hirnschädigung“, also vor Eintritt des irreversiblen Hirnversagens (Hirntod).

Der Gesetzentwurf gehe mit keinem Wort auf den beabsichtigten Eingriff in die Grundrechte von hirngeschädigten Intensivpatienten ein. Diese Patientengruppe dürfte künftig schon zu Lebzeiten ohne Einwilligung der speziell für Organspender entwickelten Behandlung (spendezentrierte Intensivtherapie) unterzogen werden.

Eine solche Neuregelung verstoße gegen das Grundgesetz und das Patientenverfügungsgesetz (§ 1827 BGB), weil sich die betroffenen Patienten als Sterbende im Rechtsstatus von lebenden Menschen befänden. Somit haben sie das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, wie es in Artikel 2 des Grundgesetzes festgelegt ist.

Befürworter missachten Genfer Gelöbnis

Der Verein moniert des Weiteren, dass der Gesetzentwurf die zu Lebzeiten beginnende intensivmedizinische Maximaltherapie von potenziellen Organspendern nicht problematisiere. Grundlegende Informationen blieben der breiten Öffentlichkeit ebenfalls verschlossen.

Bisher sei nicht darüber gesprochen worden, dass eine Organspende nur unter Verzicht auf eine ärztliche und familiäre Sterbebegleitung möglich ist. Und dies, obwohl die ärztliche Aufklärung dazu verpflichtet ist, alternative Behandlungsweisen aufzuzeigen (§ 630e Abs. 1 S. 3 BGB). Die Alternative zu einer Organspende ist die „Therapiebegrenzung mit Symptomlinderung und Sterbebegleitung im Sinne eines palliativen Behandlungskonzeptes“, wie 2021 in den Fortbildungsempfehlungen für die Intensivtherapie bei potenziellen Spendern erklärt.

In der bisherigen Diskussion fehle bisher auch die Darstellung, dass ein gravierender Unterschied zwischen dem Hirntod unter Bedingungen der weitergeführten Intensivtherapie und dem Herztod (Atem- und Herzstillstand, Totenstarre, Totenflecke, Verwesung) besteht. Entsprechend verabreichen Anästhesisten Medikamente zur Unterdrückung von Bewegungen sowie Schmerzmittel, oder sie führen eine Narkose durch, bis Organspender auf dem OP-Tisch den Herztod erleiden.

Nach Ansicht von KAO untergräbt die Widerspruchslösung „die ärztliche Verantwortung der Intensivmedizin für ihre am Lebensende behandelten Patienten“. Die Verfechter der Widerspruchslösung missachteten das Genfer Gelöbnis. Dies habe nach den Medizinverbrechen im Nationalsozialismus Ärzte dazu verpflichtet, bei jeder medizinischen Maßnahme das Wohl des Patienten zum obersten Anliegen zu machen.

Mangelhaft und unethisch

Dr. Andreas Weber, stellvertretender Direktor für Europa der Organisation Ärzte gegen den Organraub (Doctors Against Forced Organ Harvesting), nennt die Einführung einer Widerspruchslösung „mangelhaft und unethisch“. Einer Änderung des Transplantationsgesetzes „sollte mit Verweis auf das Grundgesetz immer eine ergebnisoffene öffentliche Debatte vorausgehen“. Idealerweise münde die dann in eine Volksabstimmung.

„Das ist aber nicht der Fall. Im Gegenteil! Das Transplantationsgesetz soll ohne großartige Wahrnehmung der Gesellschaft im Schatten des Wahlkampfes noch vor der kommenden Legislaturperiode zur Abstimmung kommen“, kritisierte er und lehnt daher den Entwurf der Gesetzänderung ab.



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