Wird es ernst mit Ampel-Aus? Lindner beklagt „Indiskretion“ beim FDP-Grundsatzpapier

Mit seinem jüngsten Papier zur „Wirtschaftswende“ geht FDP-Chef und Bundesfinanzminister Lindner erneut auf Konfrontation zu den Koalitionspartnern SPD und Grünen. Einige sprechen von „Scheidungspapier“ und ziehen Analogien zu 1982. Droht tatsächlich das Ende der Ampelkoalition?
Finanzminister und FDP-Chef Lindner legt ein neues Grundsatzpapier zur Wirtschaftspolitik vor und heizt die Koalitionsdiskussion weiter an. (Archivfoto)
Finanzminister und FDP-Chef Lindner legt ein neues Grundsatzpapier zur Wirtschaftspolitik vor und heizt die Koalitionsdiskussion weiter an. (Archivfoto)Foto: Kay Nietfeld/dpa
Von 2. November 2024

Ein Grundsatzpapier von FDP-Chef Lindner über eine Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik befeuert Spekulationen über ein baldiges Ende der Ampel-Regierung. Es wurde mitten im Streit der Koalition über den richtigen Kurs in der Wirtschafts- und Finanzpolitik bekannt. Lindner selbst beklagte, dass das Papier über „eine Indiskretion“ öffentlich geworden sei. Es hätte zunächst nur im engsten Kreis der Bundesregierung beraten werden sollen, schrieb er in einem Brandbrief an Parteifreunde.

Aus den Reihen der Koalitionspartner kommt bereits deutliche Kritik an dem Konvolut mit dem Titel „Wirtschaftswende Deutschland – Konzept für mehr Wachstum und Generationengerechtigkeit“. Der „Stern“ hatte zuerst über das Papier berichtet.

Einige Analysen ziehen bereits einen Vergleich zum sogenannten Scheidungsbrief des Jahres 1982. Damals hatte der Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff damit den fliegenden Koalitionswechsel von Helmut Schmidt (SPD) zu Helmut Kohl (CDU) eingeleitet.

Lindner hatte 2024 bislang mehrfach Papiere präsentiert

Aufhänger war damals die „Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“. Auch jetzt geht es um eine „Wirtschaftswende“. Es ist nicht das erste Mal, dass die FDP und ihr Bundesvorsitzender Christian Lindner mit Positionspapieren in Erscheinung treten, die auf Konfrontation zu den Ampel-Partnern gehen.

Im Februar hatte Lindner erstmals eine „Wirtschaftswende“ angemahnt. Damals lag der Schwerpunkt auf einer Reform der Unternehmensbesteuerung. Es war allerdings angedacht, deren Eckpunkte zusammen mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck auszuhandeln. Zu einer Umsetzung des Vorhabens ist es bis dato jedoch nicht gekommen.

Ein weiteres Thesenpapier, das als möglicher Ansatz für eine Sprengung der Ampelkoalition gehandelt wurde, war im April ein 12-Punkte-Programm. Der Bundesparteitag beschloss dies wenig später. Es enthielt unter anderem Forderungen nach Steuerentlastungen, weniger Bürgergeld und einem Ende von Sonderregeln bei der Rente. Auch aus der sogenannten Aktienrente solle eine werden, die Berufstätigen selbst individuelle Ansparoptionen einräumt.

Einlenken der SPD beim Bürgergeld ging der FDP nicht weit genug

Daraufhin einigte sich die Koalition auf eine „Wachstumsinitiative“. Im September präsentierte sie dazu die Kernpunkte. So soll es Entlastungen bei der Bürokratie, steuerliche Erleichterungen, mehr Anreize für Investitionen und Verbesserungen bei der Anwerbung von Fachkräften geben.

Im August legte Lindner ein weiteres Konzeptpapier vor, in dem es unter anderem um die Abschaffung der Mütterrente und sogenannten Rente mit 63 ging. Vor allem aber sollte am Bürgergeld massiv eingespart werden. SPD-Bundesarbeitsminister Hubertus Heil kam den Liberalen mit einer Nullrunde und einer Reihe von Verschärfungen entgegen.

Die FDP war damit allerdings nicht zufrieden. Im Oktober forderte Lindner erneut Kürzungen beim Bürgergeld – unter anderem bei ukrainischen Kriegsflüchtlingen. Aber auch bei der Kindergrundsicherung und beim Rentenpaket II stellte sich Lindner quer. Gleichzeitig rief er einen „Herbst der Entscheidungen“ aus und forcierte das Thema des Subventionsabbaus. Die Wähler honorierten die Vorstöße wieder nicht: Bei allen drei Landtagswahlen im Osten gab es für die Liberalen desaströse Ergebnisse.

Lindner: Politik hat Probleme „zum Teil vorsätzlich herbeigeführt“

Das aktuelle Papier von Lindner ist das inhaltlich Weitreichendste und im Tonfall bisher schärfste. Lindner forderte nicht nur erneut eine „Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik“. Er stellt eine „grundlegende Revision politischer Leitentscheidungen“ in Aussicht und spricht von einem „deutschen Sonderweg beim Klimaschutz“.

Außerdem heißt es, dass die gegenwärtigen Probleme nicht nur „von der Politik“ nicht bearbeitet würden. Diese hätte sie teilweise sogar „vorsätzlich herbeigeführt“. Entsprechend will es Lindner zugunsten der „Wirtschaftswende“ nicht mehr nur bei Kompromissen auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner belasten.

Einige Positionen im Papier werden bereits zum wiederholten Male ins Treffen geführt. So reichen Lindner und der FDP auch die jüngsten Verschärfungen beim Bürgergeld nicht aus. Darüber sollen neue Gesetzesvorhaben und Regulierungen gänzlich entfallen – bei bereits beschlossenen soll Bürokratie wegfallen. Genannt werden beispielsweise das Tariftreuegesetz und das Lieferkettengesetz.

Bislang nicht gekannte Schärfe in der Klimapolitik

Die FDP fordert ein Ende des Solidaritätszuschlags auch für die etwa zehn Prozent der Bürger, die als Spitzenverdiener gelten. Außerdem sollen klimapolitische Subventionen beendet werden, das sogenannte Heizungsgesetz soll erst fünf Jahre später in Kraft treten. Deutschland solle zudem auf europäischer Ebene Druck machen. Ziel soll es sein, jüngste Regulierungen zur Energieeffizienz, Gebäudeenergie und Flottengrenzwerte abzuschaffen.

Forderungen dieser Art sind vor allem ein Affront gegen den grünen Koalitionspartner – nachdem sich die FDP zuvor eher an der SPD abgearbeitet hatte. Generell fordert Lindner eine deutliche Ausgabensenkung.

Einige wesentliche Unterschiede in der Ausgangsposition gibt es gegenüber dem vielfach zur Analogie herangezogenen Jahr 1982 dennoch. Anders als damals gäbe es für ein konstruktives Misstrauensvotum und ein Bündnis mit der Union keine Mehrheit. Auch im Fall von Neuwahlen ist an eine solche nicht zu denken. Eine am Freitag veröffentlichte Umfrage von Verian/Emnid sieht die FDP gleichauf mit der Linken bei drei Prozent.

Häme aus der SPD über Lindner-Papier – Union: „FDP ist Teil des Problems“

Aus der SPD gibt es Kritik an dem Vorstoß Lindners. Der sozialpolitische Sprecher Martin Rossmann erklärte, das Land brauche „keine Opposition in der Regierung“. Statt Papiere zu verfassen, solle die FDP lieber gemeinsame Maßnahmen in der Industriepolitik mittragen. Finanzexperte Nils Schmid spricht von „neoliberaler Phrasendrescherei“, die noch dazu Antworten schuldig bleibe.

Wenig ernst nimmt der Co-Sprecher der parlamentarischen Linken in der SPD, Tim Klüssendorf, Lindners Vorstoß. Er verweist gegenüber „t-online“ auf die Vielzahl an Papieren, die zuletzt aus der FDP gekommen sei:

„Angesichts der zahlreichen Papiere und Vorschläge von Christian Lindner wird es allmählich schwierig, den Überblick zu behalten.“ Das FDP-Programm als Lösung zu präsentieren, bringe das Land nicht weiter. Allerdings wisse Minister Lindner auch, dass es für einen wesentlichen Teil seiner Forderungen in der Ampel keine Mehrheiten gebe.

In der Union überwiegt ebenfalls die Verwunderung über das Lindner-Papier. CSU-Haushaltssprecher Sebastian Brehm spricht von einem „Ausdruck nackter Verzweiflung über eine ausweglose Finanzlage und eine desaströse Lage seiner Partei“. Lindner und seine Partei seien jedoch selbst Teil des Problems.

Möglicher Showdown am 14.11. im Haushaltsausschuss

Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch nennt das Lindner-Papier eine „Nebelkerze“. Der Bundesfinanzminister solle sich „ernsthaft seiner Verantwortung stellen und konstruktive Vorschläge machen“. Statt seine eigene Haushaltslücke zu stopfen, wolle er diese mit seinen Vorstößen sogar noch vergrößern.

Als möglicher Showdown für die Ampel gilt die sogenannte Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses. In dieser soll über den Haushalt 2025 entschieden werden. Sie ist für den 14.11. vorgesehen.

 



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