Wirbel um Regenbogenfahne: Stadtrat verhängt Verbot – Oberbürgermeister erklärt Rücktritt

Neubrandenburgs Oberbürgermeister hat überraschend seinen vorzeitigen Rücktritt angekündigt. Dem voraus ging ein Verbot der Regenbogenfahne. Ob dies für den Kommunalpolitiker, der offen zu seiner Homosexualität steht, das Fass zum Überlaufen gebracht hat, wurde bislang nicht bestätigt.
Silvio Witt hat sich zu den Gründen für seinen angekündigten Rücktritt als OB von Neubrandenburg geäußert. (Archivbild)
Silvio Witt, Oberbürgermeister von Neubrandenburg, hat seinen Rücktritt angekündigt. (Archivbild)Foto: Bernd Wüstneck/dpa
Von 14. Oktober 2024

Mit dem 1. Mai 2025 zieht Silvio Witt einen Schlussstrich als Oberbürgermeister von Neubrandenburg. Wie er am 10. Oktober um 3:11 Uhr auf Facebook öffentlich bekannt gab, will er sein Amt zu diesem Stichtag niederlegen.

„Oberbürgermeister zu sein, ist das intensivste und vielfältigste Amt, das es aus meiner Sicht gibt“, schreibt er. „Es war mir eine große Ehre, dieses Amt bisher ausüben zu dürfen. In der Stadt, die mir über alles ans Herz gewachsen ist und die ich unumwunden liebe.“

Auf Facebook bat er um Verständnis für seine Entscheidung. „Meine Privatsphäre und die meiner Familie und Freunde haben mir immer viel bedeutet und ich schütze sie.“ Öffentlich werde er keine weiteren Äußerungen zum Rücktritt tätigen.

Stadtrat entfernt Regenbogenfahne

Der Entscheidung ging am Abend zuvor eine Stadtvertretersitzung voraus. Dort wurde beschlossen, die Regenbogenfahne am Bahnhof zu verbieten. Den Antrag hatte Tim Großmüller (Stabile Bürger für Neubrandenburg) eingereicht. Die Regenbogenfahne sei in der Vergangenheit mehrfach heruntergerissen und durch Fahnen mit nationalsozialistischer Symbolik ersetzt worden, argumentierte er. Mit dem Verbot sollten weitere Straftaten wie der unerlaubte Austausch von Flaggen verhindert werden. Der Antrag wurde mit einer Mehrheit von 15 Stimmen bei elf Gegenstimmen und acht Enthaltungen angenommen.

Kritik kam aus Reihen der SPD, CDU, Grünen und Linken. Auch Einwohner empörten sich. Die Regenbogenfahne gilt international als Symbol für Toleranz, Offenheit und Vielfalt. Gleichzeitig steht sie für die Rechte der LGBTQ+-Gemeinschaft. Die Entfernung der gehissten Flagge hatte in der Vergangenheit immer wieder für kontroverse Diskussionen in Neubrandenburg gesorgt.

Offener Brief für mehr Toleranz

Am 31. Juli 2023 hatte sich Witt mit sehr persönlichen Worten in einem offenen Brief an die Einwohner gewandt, nachdem die Regenbogenfahne zum wiederholten Male gestohlen und stattdessen eine Hakenkreuzfahne gehisst worden war.

In seinem Brief schilderte er, wie er als 15-jähriger Schüler am Sportgymnasium Neubrandenburg seine erste Regenbogenfahne als Pin erhalten hatte. Damals, im Jahr 1993, war die Deutsche Aidshilfe in einer Biologiestunde zu Gast, um die Schüler zum Thema HIV/AIDS aufzuklären. Diesen Pin mit der Regenbogenfahne trage er noch heute gelegentlich, besonders am 1. Dezember, dem Welt-AIDS-Tag.

„Für mich ist die Regenbogenfahne ein Symbol, wie sich unser Land in den vergangenen Jahren weiterentwickelt hat. In vielen Bereichen. Denn die Regenbogenfahne ist ein inklusives Symbol. Sie steht für Toleranz, Offenheit und Vielfalt“, so Witt.

Insoweit sieht er das Entfernen der Regenbogenfahne am Neubrandenburger Bahnhof als „wiederholten symbolischen Akt der Intoleranz“. „Das Hissen von nationalsozialistischen Symbolen am Neubrandenburger Bahnhof ist ein Tabubruch! Dies ist nicht Neubrandenburg“, schrieb er weiter.

Er forderte die Einwohner der Vier-Tore-Stadt auf, in den nächsten Tagen und Wochen ein „umso deutlicheres Zeichen“ an die Welt zu senden, dass Neubrandenburg „eine tolerante, inklusive, weltoffene, liebenswerte und vor allem menschliche Heimat ist“.

Damit dürfte das endgültige Verbot der Regenbogenfahne am Bahnhof durch den Beschluss in der Ratssitzung den Oberbürgermeister tief getroffen haben, auch wenn dies nicht als offizieller Grund für den Rücktritt bestätigt wurde.

„Eine Menge Druck“

Im Januar 2022 hatte sich der parteilose Oberbürgermeister, der früher als Kabarettist, Journalist und Kommunikationsberater tätig war, mit 87,52 Prozent der Stimmen durchgesetzt und sich so eine zweite Amtszeit bis 2029 gesichert. Für seinen vehementen Einsatz für Vielfalt und Toleranz, unter anderem als Schirmherr von Christopher-Street-Day-Veranstaltungen, erntete Witt nicht nur Anerkennung, sondern auch immer wieder Kritik, die bis unter die Gürtellinie reichte.

Einen Tag nach seiner Rücktrittserklärung äußerte Witt bei einer Veranstaltung der Körber-Stiftung am 11. Oktober in Berlin: „Da ist schon eine Menge passiert, da ist schon eine Menge Druck, der ausgeübt wird.“

Wir leben in einer sehr schnelllebigen Zeit und Social Media tut da ein Übriges“, sagte er.

Irgendwann habe er bemerkt, dass dies Auswirkungen auf sein Umfeld habe – auf seinen Ehemann, seine Familie und Freunde. Als  „Schlüsselerlebnis“ bezeichnete er eine WhatsApp-Nachricht, die ihm seine Mutter eines Morgens geschickt habe. Darin stand: „Heute ist es nicht so schlimm, was in der Zeitung steht.“

Reaktionen auf Rücktritt

Kommunalpolitiker zeigten sich überrascht von dem angekündigten Rücktritt. Wie der „Nordkurier“ berichtete, war dies für Jan Kuhnert, den Vorsitzenden der Fraktion Bündnis Sahra Wagenknecht/Bürger für Neubrandenburg, nicht absehbar gewesen. Die Fraktion hatte Witt zuvor für eine der nächsten Sitzungen eingeladen, um zu besprechen, wie er sich die Zusammenarbeit vorstellt.

Björn Bromberger, Vorsitzender der CDUplus-Fraktion Neubrandenburg, bedauert Witts Entscheidung, „weil er in der Bevölkerung sehr beliebt war und auch mit einem sehr guten Wahlergebnis gewählt wurde“.

Peter Fink, Vorsitzender der AfD-Fraktion Neubrandenburg, kritisierte: „Als Dienstherr sollte man wenigstens den offiziellen Weg gehen und das nicht per Facebook ankündigen. So etwas macht man einfach nicht.“ Er bezeichnete den Rücktritt als „überfällig“.

Im Facebook-Account des Bürgermeisters hingegen ist das Bedauern über seinen Verlust groß. Der angekündigte Rücktritt von Witt wurde bislang 182-mal kommentiert. Die Mehrheit begegnete der Entscheidung mit Respekt und guten Wünschen. „Wer auch immer das Ruder der Stadt dann in die Hand nimmt, tritt in großen Fußstapfen“, so eine Einwohnerin.

Queerer Verein ruft zu Protest auf

Aber auch Stimmen gegen das Verbot der Regenbogenfahne werden laut. Nach einer Mahnwache am 11. Oktober hat der Verein queerNB zu einer Demonstration am 17. Oktober aufgerufen. Die Aktion steht unter dem Motto „Neubrandenburg, Regenbogen steht zu dir!“.

Der Verein fordert die Einwohner auf, Regenbogenfahnen an privaten Fenstern, Balkonen und Fahnenmasten aufzuhängen, um „ein Stadtbild zu schaffen, das für Vielfalt und Akzeptanz steht“, so der stellvertretende Vereinsvorsitzende Nils Berghof.



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