Wirbel um Drosten-Papier: Hielt er seine Meinung zurück, weil sie der Regierung widersprach?

Der Chefvirologe der Charité, Prof. Dr. Christian Drosten, hielt laut entschwärzten RKI-Protokollen einen Text zur Corona-Teststrategie zurück, weil er nicht der Regierungspolitik entsprach. Dafür wurde ihm „Wissenschaftsbetrug“ vorgeworfen. Tatsächlich veröffentlichte Drosten nicht über die Behörden, sondern über die Presse seine Meinung zu „testen, testen, testen“.
Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie, Charité Berlin, zieht sich aus einem Gremium zu Corona-Maßnahmen zurück und übt harsche Kritik.
Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie, Charité Berlin, zieht sich aus einem Gremium zu Corona-Maßnahmen zurück und übt harsche Kritik.Foto: Michael Kappeler/dpa
Von 31. Juli 2024

Nach der Veröffentlichung der kompletten Protokolle des COVID-19-Krisenstabes des Robert Koch-Instituts (RKI) in ungeschwärzter Form durch die Berliner Journalistin Aya Velázquez, erhob sie Vorwürfe gegen Prof. Dr. Christian Drosten. Er ist Leiter des Instituts für Virologie an der renommierten Berliner Charité.

Sie kritisiert, dass Drosten im Sommer 2020 laut RKI-Protokoll einen Textentwurf zu einer Corona-Teststrategie für den Herbst nicht veröffentlichen wollte, weil sie dem Regierungshandeln widersprach. Allerdings veröffentlichte Drosten sie einige Tage später in einem Gastartikel in der „Zeit“.

Konkret ging es um anlasslose Massentestungen auf SARS-CoV-2 bei Menschen ohne Symptome.

Sie waren ein viel diskutiertes Thema beim RKI, wie die kontroversen Diskussionen in den RKI-Protokollen zeigen. Nachdem das RKI sich anfangs dagegen ausgesprochen hatte, änderte sich die Haltung dazu offenbar aufgrund des Einflusses durch das Bundesgesundheitsministerium unter Jens Spahn (CDU) und seiner Teststrategie „Testen, Testen, Testen“.

Zum zurückgehaltenen Textentwurf Drostens heißt es im Protokoll vom 29. Juli 2020:

Der Artikel [von Drosten] ist vertraulich. Hr. Drosten hat zwischenzeitlich entschieden, das Papier nicht zu publizieren, da ungezielte Testung im Text als nicht sinnvoll betrachtet wird und dies dem Regierungshandeln widerspricht.“

Ausschnitt aus den durchgestochenen, vollständig ungeschwärzten Protokollen des COVID-19-Krisenstabes des Robert Koch-Instituts. Foto: Bildschirmfoto von RKI-Protokollen

Drosten empfahl laut Protokoll eine Kurzquarantäne von fünf Tagen ohne oder mit anschließendem Test. Zudem schlug er vor, den Ct-Wert der PCR-Tests zu berücksichtigen, da dieser etwas zur Infektiosität aussagt.

Das RKI kommentiert dies mit „sehr sinnvoll, unverhältnismäßig lange Isolierungen und andere unnötige Maßnahmen können vermieden werden“. Zudem empfahl Drosten offenbar eine „großzügige und rasche“ Quarantänisierung der Mitglieder von Clustern ohne vorheriges Testen.

Kontaktverfolgung nach japanischem Vorbild statt Massentests

Kern seiner Herbststrategie war, sich nach japanischem Vorbild mehr auf das Identifizieren von Superspreadern und ihren Clustern zu konzentrieren anstatt zu schauen, wer sich von einem Infizierten möglicherweise alles noch angesteckt haben könnte.

Man spricht dabei von einer rückwärtsgerichteten Kontaktnachverfolgung im Gegensatz zu einer vorwärtsgerichteten Kontaktnachverfolgung.

Bei der rückwärtsgerichteten Kontaktnachverfolgung werden jene Kontakte gesucht, die ein Patient hatte, bevor dieser infiziert war, um die Quelle seiner Ansteckung zu finden. 

Die von den deutschen Behörden zumeist praktizierte vorwärtsgerichtete Kontaktnachverfolgung schaut hingegen auf die Kontakte nach einer Infektion. So wurde beispielsweise mit der Corona-Warn-App der Bundesregierung vorausschauend vor Personen gewarnt, die positiv getestet wurden.

Ausschnitt aus den durchgestochenen, vollständig ungeschwärzten Protokollen des COVID-19-Krisenstabes des Robert Koch-Instituts. Foto: Bildschirmfoto von RKI-Protokollen

Journalistin sieht „Wissenschaftsbetrug“

Für die Berliner Journalistin Aya Velázquez beging Drosten mit der Nichtveröffentlichung seiner Teststrategie „Wissenschaftsbetrug“.

Denn als Wissenschaftler habe er „etwas, das er eigentlich für fachlich richtig hielt“, nicht veröffentlicht, weil es dem Regierungshandeln widersprochen habe.

Dem widerspricht jedoch ein Artikel des Faktenfinders der „Tagesschau“. Drosten habe seine Erkenntnisse nicht aus politischem Kalkül verschwiegen, heißt es dort.

Mit dem Verweis auf einen Gastbeitrag von Drosten für die „Zeit“ vom 5. August 2020, unter dem Titel „Zweite Corona-Welle: So können wir einen neuen Lockdown verhindern“, erklärt der „Faktenfinder“, dass Drosten seine Gedanken aus seinem nicht veröffentlichten Textentwurf doch öffentlich geteilt habe.

In dem Gastbeitrag heißt es: „Es hilft ein Blick nach Japan. […] Statt viel und ungezielt zu testen, hat Japan früh darauf gesetzt, Übertragungscluster zu unterbinden. […] Die Gesundheitsbehörden suchen in der Kontakthistorie eines erkannten Falls gezielt nach bekannten Clusterrisiken.“

Und: „Die gezielte Eindämmung von Clustern ist anscheinend wichtiger als das Auffinden von Einzelfällen durch breite Testung.“ Japan sei es gelungen, die erste Welle trotz einer erheblichen Zahl importierter Infektionen ohne einen Lockdown zu beherrschen.

Zudem zeigt der Faktenfinder, dass Drosten dieselben Aussagen in einem NDR-Podcast nach der Sommerpause 2020 äußerte.

Drosten erwartete viele positive Tests

Im durchgesickerten Zusatzmaterial zu den ungeschwärzten RKI-Protokollen findet man diesen „vertraulichen“ und zurückgehaltenen Textentwurf unter dem Titel „Empfehlung für den Herbst – Ein Plädoyer für Pragmatismus und Fokussierung im Kampf gegen die zweite Welle“. Darin heißt es:

„In Japan und auch in anderen Ländern wurden bereits Listen von typischen sozialen Situationen erstellt, in denen es häufig zu Übertragungsclustern gekommen ist.“ Diese könnten laut Drosten von den Gesundheitsbehörden genutzt werden, um bei erkannten Infektionsfällen nach Clustergefahren zu fahnden. „Das ist wichtiger als stetiges Testen, denn man kann das Virus ja nicht wegtesten, sondern muss auf positive Tests auch reagieren.“

Kern seines Beitrags sei, „nur (oder zumindest vor allem) dann auf einen positiven Test zu reagieren, wenn er von einem möglichen Clustermitglied stammt.“ Die vielen Tests, die die Politik derzeit vorbereite, würden „vielleicht öfter positiv werden als erhofft“.

Für den Fall einer plötzlichen Zunahme von Fällen empfiehlt Drosten, die Fallverfolgung ausschließlich auf Cluster zu fokussieren und besondere Quarantänestrategien zum Stopp des Clusterwachstums vorzugeben, wenn eine kritische Schwelle von Neumeldungen überschritten werde.

Auch enthält sein Entwurf Kritik am RKI. So würden die RKI-Empfehlungen eine konsequente Verfolgung aller Kontaktfälle vorsehen. „Die Konsequenz der Überforderung der Gesundheitsämter [durch die ungerichtete Kontaktverfolgung und das anlasslose Testen] – ein ungerichteter Lockdown – ist wirtschaftlich wohl schwer zu verkraften.“

Warum der Umschwung?

Aus dem NDR-Podcast mit Drosten geht hervor, dass er den „Zeit“-Artikel veröffentlichte, weil er das Gefühl gehabt habe, dass etwas in der Öffentlichkeit besprochen werden sollte, das „diskussionsanstoßend“ sei.

Er wollte mit seinem Text keine starke Empfehlung geben, wie „das muss jetzt sofort umgesetzt werden oder ihr habt alle was falsch gemacht“.

Stattdessen habe er Aspekte neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse, zu einer zusammenhängenden Überlegung zusammengefasst. Er habe damit ein Überdenken anregen wollen, welche Teile man in die Tat umsetzen könnte.



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