„Wir sind komplett sortiert“ – Wird Robert Habeck Vizekanzler?
Die Gespräche über eine neue Bundesregierung sollen nach Ansicht von Grünen-Chef Robert Habeck so diskret wie möglich ablaufen. Auch auf „Balkonfotos“ wie vor vier Jahren solle verzichtet werden. „Das ist eine Lehre aus den gescheiterten Jamaika-Verhandlungen von 2017 und umgekehrt aus den erfolgreichen Gesprächen in Schleswig-Holstein“, sagte Habeck der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (NOZ).
Habeck plädierte dafür, sich bei den Verhandlungen zwischen seiner Partei und der FDP am Verlauf der „Jamaika“-Koalitionsrunden in Schleswig-Holstein zu orientieren: „Damals ging es auch um die Frage: Was können wir eigentlich gemeinsam gut machen? Und es ging eben nicht darum, was die Parteien trennt“, sagte er der Zeitung.
Bei den „Jamaika“-Verhandlungen 2017 im Bund seien die beteiligten Personen laut Habeck geradezu aufgefordert worden, die Liste der trennenden Punkte aufzuschreiben. Das könne nicht funktionieren, betonte der Grünen-Chef. „Die Frage muss doch immer sein: Was macht uns gemeinsam stark? Wenn wir darauf eine gute Antwort finden, wird daraus auch eine Regierung werden“, sagte er.
Erstes gemeinsames Treffen zwischen Grüne und FDP
Zu dem von SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz formulierten Ziel, die Verhandlungen noch in diesem Jahr abzuschließen, sagte Habeck: „Ich teile den Ehrgeiz, bis Weihnachten eine Regierung zu haben.“ Aus diesem Grund wolle er sich auch nicht dazu äußern, wann über was Gespräche geführt werden.
Laut einem Bericht des „Spiegel“ vereinbarten Grüne und FDP ein erstes gemeinsames Treffen für Mittwoch. Nach Informationen des Nachrichtenmagazins wollen FDP-Chef Christian Lindner und Generalsekretär Volker Wissing sowie Habeck und die Grünen-Ko-Vorsitzende Annalena Baerbock in Berlin zusammenkommen, um über ein Regierungsbündnis zu sprechen.
Derweil gibt es in Teilen der Grünen-Bundestagsfraktion Unmut über eine mögliche Vereinbarung zwischen Robert Habeck und Annalena Baerbock, derzufolge Habeck im Falle einer Regierungsbeteiligung Vizekanzler werden soll.
Grüne-Jugend-Sprecher Georg Kurz nannte es „absolut daneben, jetzt darüber zu diskutieren, wer am Ende des Prozesses irgendwann welche Regierungsämter übernehmen könnte“. Um die Vizekanzlerschaft „geht es gerade gar nicht. Wir verstehen überhaupt nicht, was das soll“, sagte er der „Neuen Osnabrücker Zeitung“.
Kurz betonte, die Grünen hätten mit Baerbock „das beste Ergebnis eingefahren, das wir je hatten“. Es gebe vor der Ämterfrage zunächst einmal „den glasklaren Auftrag, unsere Kernforderungen in der nächsten Regierung umzusetzen“.
Das Redaktionsnetzwerk Deutschland berichtete von einem Treffen des linken Flügels der Grünen-Bundestagsfraktion. Nach Angaben eines Teilnehmers seien dort viele „sehr erzürnt“ über den Schritt Habecks gewesen. Es solle nicht zugelassen werden, dass Baerbock „jetzt die Buhfrau-Rolle“ bekomme.
Zuvor hatte bereits der frühere Grünen-Fraktionschef und Umweltminister Jürgen Trittin, der dem linken Flügel angehört, dem „Spiegel“ gesagt: „Wir verhandeln eine Regierung, die Deutschland auf den 1,5-Grad-Pfad bringt. Danach wird entschieden, wer welchen Posten bekommt. Das entscheidet die Partei und nicht nur zwei Personen in persönlichen Gesprächen.“
„Gehen Sie davon aus, dass wir komplett sortiert sind“
Habeck hatte am Montag in der Bundespressekonferenz auf die Frage, wer Vizekanzler werde, geantwortet: „Gehen Sie davon aus, dass wir komplett sortiert sind.“ Kurz darauf berichtete die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, es gebe eine Übereinkunft, dass Habeck es werden solle.
Dies wurde von ihm selbst in einem ARD-Interview nicht dementiert. Habeck hatte Baerbock im Frühjahr bei der Entscheidung über die Kanzlerkandidatur den Vortritt gelassen.
Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagte zu den Berichten über eine Vizekanzlerschaft Habecks, der Parteichef führe gemeinsam mit Baerbock zunächst die Gespräche zur Bildung einer Koalition. „Am Ende wird dann über das Personal als Ganzes entschieden werden“, sagte Göring-Eckardt am Dienstag vor der Sitzung der neuen Grünen-Bundestagsfraktion.
Cem Özdemir als Verhandler
Derweil brachte sich der Grünen-Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir als Verhandler ins Spiel. „Ich habe Sondierungen und Verhandlungen 2017 schon mal geführt, ich kenne mich also ganz gut aus“, sagte er am Dienstag dem Portal t-online.
Deshalb werde er Baerbock und Habeck „nach Kräften unterstützen“. Özdemir hatte bei der Bundestagswahl ein Direktmandat in Baden-Württemberg geholt. Mit 40,0 Prozent war er dabei der erfolgreichste Direktkandidat der Grünen.
Für eine kommende Regierung äußerte Özdemir die Erwartung, dass „wir die Aufgaben nach Qualifikation besetzen“. Die künftigen Minister müssten „auch in der Lage sein, die Gesellschaft zusammenzuhalten“, sagte der bisherige Vorsitzende des Bundestags-Verkehrsausschusses.
Die größten Gemeinsamkeiten sieht Özdemir mit der FDP in der Gesellschaftspolitik und bei der Digitalisierung, die größten Schwierigkeiten erwartet er beim Klimaschutz.
Laut einem „Spiegel“-Bericht wollen sich Grüne und FDP am Mittwoch treffen, um Chancen für eine Regierungszusammenarbeit auszuloten. Erst danach soll es weitere Gespräche mit SPD oder Union geben. (afp/dts/dl)
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