Wie wurde Anis Amri zum religiösen Fanatiker? 1. Untersuchungsausschuss vom Bundestag untersucht am 26. 4. den Hintergrund
Den Fragen der Abgeordneten werden sich am Donnerstag, 26. April 2018 sieben Wissenschaftler, Praktiker und Politikberater mit Erfahrungen in Gewaltprävention und Strategien der Deradikalisierung stellen. Die Anhörung unter Vorsitz von Armin Schuster (CDU/CSU) beginnt um 12 Uhr im Europasaal 4.900 des Berliner Paul-Löbe-Hauses.
Das teilte die Pressestelle des Bundestages mit.
Die Anhörung wird live im Internet auf www.bundestag.de und auf mobilen Endgeräten übertragen, wenn der Ausschuss der Übertragung zustimmt.
Wandel eines Kleinkriminellen zum religiösen Fanatiker
Es geht um die sozialen, die geistigen und psychischen Situationen, in denen Anis Amri vor der Tat am Berliner Breitscheidplatz gelebt hatte.
War Amri schon radikalisiert, als er 2011 in Italien einreiste, oder geschah dies erst während seines Aufenthaltes in Europa? Welche Strukturen, Kontakte und Erfahrungen können dazu beigetragen haben? Wie erklärt sich die Wandlung des tunesischen Kleinkriminellen Anis Amri zum religiösen Fanatiker und radikalislamischen Terroristen?
Wie lassen sich Fehleinschätzungen vermeiden, wie sie Behörden unterliefen, denen bis zuletzt unklar war, ob sie mit Amri einen ideologisch getriebenen Terroristen oder nicht doch einen schlichten Kriminellen vor sich hatten?
Islamismus in Deutschland
Was ist überhaupt Islamismus? Um diese Frage geht es in erster Linie. Den Ausschuss interessiert, welche gemeinsamen Merkmale islamistische Strömungen kennzeichnen, und wie sich diese etwa von den in Deutschland bestehenden islamischen Verbänden abgrenzen lassen – ideologisch, politisch, in Hinsicht auf typische Aktionsformen und auf die Autoritäten, denen die Anhänger folgen.
Wie hat sich der Islamismus in Deutschland zwischen 2012 und 2017 entwickelt, in welche internationalen Netzwerke ist er eingebunden und welche Unterstützung erhält er von außen?
Schließlich geht es um die individuellen Bedingungen islamistischer Radikalisierung sowie Ansätze und Konzepte, um ihr entgegenzuwirken.
Integrationsprobleme von Muslimen
Zwei Sachverständige, der Islam- und Politikwissenschaftler Michael Kiefer und der Sprach- und Kulturwissenschaftler Sindyan Qasem, sind an den Instituten für Islamische Theologie der Universitäten Osnabrück und Münster tätig, Kiefer hat über Radikalisierungsprävention, islamischen Antisemitismus und islamischen Religionsunterricht publiziert.
Integrationsprobleme von Muslimen in Deutschland sind nach seiner Ansicht nicht durch die Religion, sondern die Herkunft bedingt, da viele der Betroffenen aus bäuerlichen und bildungsfernen Milieus stammten.
Bildung und Aufklätung sind für Kiefer auch der Königsweg, um Radikalisierung zu verhindern – durch die Theologenausbildung an staatlichen Universitäten und Religionsunterricht an öffentlichen Schulen.
Fragen zur Prävention
Der Münsteraner Qasem vertritt einen kritischen Präventionsbegriff. Er versteht unter pädagogischer Prävention eine „normierende, normalisierende und nicht selten stigmatisierende Regierungstechnik“, der die Muslime „unterworfen“ seien.
Qasem plädiert für „phänomenübergreifende Präventionsmaßnahmen“, die sich nicht allein gegen islamistische, sondern gegen jede Form antidemokratischer Radikalisierung zu richten haben.
Dabei sollten auch weniger „Werte“ als „Kompetenzen“ vermittelt werden, die zu kritischem Denken befähigen.
Experten bewerten Ursachen
Seit etwa zwei Jahrzehnten mit dem Thema befasst ist die Publizistin Claudie Dantschke, die gemeinsam mit zwei Koautoren bereits 2000 ein Buch vorgelegt hat, in dem der Islamismus als „Herausforderung für Europa“ beschrieben wird. Seit 2011 leitet Dantschke die Initative „Hayat“, wo Eltern, die ihre Kinder auf dem Weg der Radikalisierung sehen, Rat suchen können.
Der gebürtige Libanese Dr. Marwan Abou Taam ist seit 2006 wissenschaftlicher Mitarbeiter des rheinland-pfälzischen Landeskriminalamts und Mitherausgeber der deutschen Übersetzung der Reden Osama bin Ladens. Er war 2015 an der Gründung des „Muslimischen Forums“ beteiligt,
eines Zusammenschlusses liberaler Muslime, die unter anderem kritisieren, dass „Akte des Terrors durch Positionen innerhalb der islamischen Theologie legitimiert werden“.
Ein Praktiker des Sicherheitsapparats ist Dr. Alexander Eisvogel, seit 2013 Präsident der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung, früher jedoch jahrelang beim Verfassungsschutz für die Bekämpfung des radikalislamischen Terrorismus zuständig.
Aus dem bayerischen Sozialministerium kommt Dr. Christiane Nischler-Leibl, die dort die Organisationseinheit „Radikalisierungsprävention“ leitet.
Der Politikberater und frühere Berliner FDP-Politiker Alexander Ritzmann gehört einem europäischen Expertennetzwerk zur Beobachtung von Radikalisierungsprozessen an und forscht derzeit am Brandenburgischen Institut für Gesellschaft und Sicherheit.
Die AfD hat wenige Tage vor der Anhörung den aus dem Libanon gebürtigen und seit 1977 in Deutschland lebenden Regisseur und Drehbuchautor Imad Karim als Sachverständigen nominiert.
Imad Karim ist mit Warnungen vor dem politischen Islam und Kritik an der deutsche Flüchtlingspolitik hervorgetreten.
Zeit: Donnerstag, 26. April 2018, etwa ab 12 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Europasaal 4.900
Interessierte Besucher können sich unter Angabe ihres Vor- und Zunamens sowie des Geburtsdatums bis zum 25. April im Sekretariat des 1. Untersuchungsausschusses anmelden (E-Mail: [email protected]). Zum Einlass muss ein Personaldokument mitgebracht werden.
Alphabetische Liste der Sachverständigen
- Dr. Marwan Abou-Taam, Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz
- Claudia Dantschke, HAYAT-Deutschland
- Dr. Alexander Eisvogel, Präsident der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung
- Imad Karim, Regisseur und Drehbuchautor
- Dr. Michael Kiefer, Universität Osnabrück, Fachbereich Erziehungs- und Kulturwissenschaften, Institut für Islamische Theologie, Leiter der Postdoc-Gruppe „Soziale Arbeit in der Migrationsgesellschaft“
- Dr. Christiane Nischler-Leibl, Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Leiterin Stabsstelle und der Organisationseinheit „Radikalisierungsprävention“
- Sindyan Qasem, M.A., Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Islamische Theologie, Münster
- Alexander Ritzmann, Brandenburgisches Institut für Gesellschaft und Sicherheit (BIGS), Radicalization Awareness Network (RAN) der Europäischen Kommission, Brüssel
(rls)
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