Faktencheck: Wie geht’s weiter in der Böhmermann-Affäre?
Die Bundeskanzlerin hat den türkischen Staatspräsidenten wegen der Angelegenheit angerufen. Die türkische Regierung verlangt, dass Böhmermann strafrechtlich verfolgt wird. Und das alles löst eine Debatte um die Grenzen von Kunstfreiheit und Satire aus.
Was war überhaupt der Auslöser?
Der Satiriker und Grimmepreisträger Jan Böhmermann (35) hat in seiner satirischen Sendung „Neo Magazin Royale“ am 31. März ein Gedicht vorgetragen, das mit „Schmähkritik“ überschrieben war. Es nahm Bezug auf das NDR-Fernsehmagazin „extra 3“, das zuvor einen umstrittenen satirischen Beitrag über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ausgestrahlt hatte. Erdogan hatte erbost darauf reagiert. In Ankara wurde der deutsche Botschafter einbestellt. Böhmermann sagte in seiner Sendung, solche Beiträge seien in Deutschland durch die Kunst- und Pressefreiheit gedeckt – anders als herabwürdigende Schmähkritik, die nicht erlaubt sei. Dafür sei sein Gedicht über Erdogan ein Beispiel. Darin reihte er etliche beleidigende Formulierungen aneinander, die zum großen Teil unter die Gürtellinie zielten.
Hat der Beitrag rechtliche Konsequenzen?
Ja, die Staatsanwaltschaft Mainz hat Ermittlungen aufgenommen. Eine Reihe Strafanzeigen von Privatpersonen gingen bei ihr ein – gegen Böhmermann und gegen namentlich nicht genannte „Verantwortliche des ZDF“. Alle Anzeigen sollen in einem Verfahren bearbeitet werden, das wegen des Verdachts der Beleidigung von Organen oder Vertretern ausländischer Staaten geführt wird (Paragraf 103 Strafgesetzbuch). In den Anzeigen ist zum Beispiel Volksverhetzung (Paragraf 130 StGB) genannt, teils geht es um andere Paragrafen oder es ist nichts genannt.
Worauf stützt sich der Protest der türkischen Regierung?
Auf Paragraf 103. Nach dem Strafgesetzbuch genießen ausländische Staatsoberhäupter, Regierungsmitglieder und diplomatische Vertreter den Schutz ihrer Ehre. Wer einen ausländischen Staatschef beleidigt, muss nach Paragraf 103 mit bis zu drei Jahren Haft oder einer Geldstrafe rechnen. Voraussetzung für eine Strafverfolgung ist nach Paragraf 104a, „dass die Bundesrepublik Deutschland zu dem anderen Staat diplomatische Beziehungen unterhält (…), ein Strafverlangen der ausländischen Regierung vorliegt und die Bundesregierung die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt“.
Hat die Türkei ein solches Strafverlangen gestellt?
Ja, die türkische Regierung verlangt, dass Böhmermann strafrechtlich verfolgt wird. Ein Sprecher von Erdogan bestätigte am Montag, dass eine entsprechende diplomatische Note an die deutschen Behörden geschickt worden sei.
Hat die Bundesregierung eine entsprechende Ermächtigung erteilt?
Nein, noch nicht. Die Bundesregierung prüft den förmlichen Wunsch der Türkei nach Strafverfolgung. Dies wird nach Angaben von Regierungssprecher Steffen Seibert vom Montag einige Tage, aber nicht mehrere Wochen dauern.
Will Erdogan selbst gegen Böhmermann rechtlich vorgehen?
Ja, nach Auskunft der Staatsanwaltschaft Mainz vom Montagabend hat der türkische Präsident Erdogan selbst einen Strafantrag gegen den Satiriker wegen Beleidigung gestellt. Hier geht es um Paragraf 185 im Strafgesetzbuch.
Worum geht es in diesem Beleidigungsparagrafen?
Juristen verstehen unter Beleidigung die „Kundgabe von Missachtung oder Nichtachtung in beliebiger Form“. Laut Paragraf 185 kann der Tatbestand der Beleidigung je nach Schwere der Tat mit bis zu zwei Jahren Haft oder einer Geldstrafe geahndet werden. Die Staatsanwaltschaft nimmt die Strafverfolgung aber erst auf, wenn der in seiner Ehre Verletzte – wie jetzt Erdogan – einen Strafantrag stellt.
Ist rechtlich gesehen klar, dass es sich in Böhmermanns Fall um eine Straftat handelt?
Nein, der Fall Böhmermann gilt als kompliziert. Der Hamburger Medienrechtler Stefan Engels hält es sogar für denkbar, dass er erst vor dem Bundesverfassungsgericht entschieden wird. Im Kern geht es um die Frage, ob das Gedicht tatsächlich Schmähkritik ist oder nicht. Das ist alles andere als eindeutig. Böhmermann hatte in der Sendung schließlich angekündigt, mit dem Gedicht ein Beispiel für verbotene Schmähkritik geben zu wollen. Aber ging es ihm auch darum, Erdogan zu beleidigen? Das ist bisher offen.
Wie sieht die Bevölkerung Ermittlungen gegen Böhmermann?
Eine Mehrheit in Deutschland ist gegen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft: So finden 54 Prozent der Teilnehmer einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov, die die Debatte über das Gedicht verfolgt hatten, die Ermittlungen gegen den Satiriker „ganz und gar nicht angemessen“. Lediglich 6 Prozent befürworten diese.
Was sagt die Bundeskanzlerin?
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte Böhmermanns Gedicht am vergangenen Sonntag als „bewusst verletzend“ bezeichnet und darüber mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu telefoniert. Am Dienstag betonte sie angesichts der Auseinandersetzung der Türkei mit dem Satiriker die Meinungs- und Kunstfreiheit in Deutschland: „Diese Grundwerte gelten unbeschadet aller politischen Probleme, die wir miteinander besprechen“, sagte Merkel mit Blick auf den mit der Türkei geschlossenen Flüchtlingspakt.
Was sagt das ZDF zu Böhmermann?
Das ZDF hatte nach der Ausstrahlung des Gedichts in Böhmermanns Sendung auf ZDFNeo den Beitrag in der Wiederholung im Hauptprogramm nicht mehr gezeigt. Auch in der ZDF-Mediathek war er nicht mehr zu sehen. Das ZDF nannte als Grund, der Beitrag entspreche nicht den Ansprüchen des Senders an die Qualität von Satire-Sendungen. Die Zusammenarbeit mit Böhmermann steht nach ZDF-Angaben aber nicht infrage, auch nachdem die türkische Regierung die Strafverfolgung des Satirikers verlangt hat. Die nächste Ausgabe von Böhmermanns „Neo Magazin Royale“ für diesen Donnerstag wird allerdings wegen der aktuellen Diskussionen nicht produziert.
Und Böhmermann selbst?
Äußert sich derzeit nicht. So hatte er eine Einladung zur Verleihung des Grimme-Preises, den er am Freitag bekommen sollte, ebenso abgesagt, wie die zur ARD-Talkshow von Anne Will am Sonntagabend ausgeschlagen. Auch auf Twitter und Facebook hält er sich der Satiriker derzeit auffällig zurück.
Video: Dieter Hallervordens "Erdogan, zeig mich an" wird zum Netzhit
(dpa)
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion