Werner Patzelt: AfD-Wahl war ein „Quasi-Volksentscheid“ für den politischen Kurswechsel
Die Landtagswahlen in Bayern und Hessen haben ein klares Zeichen gesetzt, dass der Wähler sich verstärkt in Richtung konservative Parteien orientiert. Wir sprachen mit dem Politikwissenschaftler Prof. Dr. Werner J. Patzelt, emeritierter Professor für Politik der Technischen Universität Dresden und Forschungsdirektor am Mathias Corvinus Collegium Brüssel, einer der ungarischen Regierung unter Victor Orbán nahestehenden konservativen Bildungseinrichtung und Denkfabrik.
Herr Patzelt, vielleicht schauen wir uns zunächst mal Bayern an. Der Verlust an Stimmen der CSU war ja auf den ersten Blick nicht so groß. Allerdings sieht es danach aus, als ob das auch mit der als negativ empfundenen Politik in Berlin zusammenhängt. Hat die CSU tatsächlich davon profitiert?
In Bayern verhält es sich – wie auch der Blick auf die Stimmkreisebene zeigt – so, dass die CSU-Stimmen sowohl an die Freien Wähler als auch an die AfD verloren hat. Insgesamt wurden in Bayern die nicht linken Parteien deutlich gestärkt. Doch die CSU hat ihre frühere Bindekraft hinsichtlich aller Kräfte rechts der politischen Mitte eingebüßt. Sie muss sich diese Rolle nun mit den Freien Wählern und der AfD teilen.
Es ist eindeutig, dass die Freien Wähler und die AfD dazugewonnen haben. Worin liegt das für Sie begründet?
Das muss man für beide Parteien getrennt betrachten. Die Freien Wähler versammeln sich im Grunde um frühere CSU-Politiker, die auf lokaler Ebene – und später auf Landesebene – von der CSU nicht ernst genommen oder akzeptiert worden sind. Als Freie Wähler stellen sie sich nun gegen ihre frühere Partei, die CSU. Sie sind aber konservativ eingestellt wie die CSU und außerdem meist bürgernäher als ein großer Teil der inzwischen sehr opportunistischen CSU-Nachwuchspolitiker. Deshalb genießen die Freien Wähler bei der Bevölkerung viel Vertrauen. Gerade in früheren CSU-Stammgebieten wie dem Bayerischen Wald sind die Freien Wähler der CSU weit vorausgeeilt.
Was die AfD betrifft, erweist es sich jetzt endgültig als Legende, dass sie letztlich nur für solche Ostdeutschen attraktiv wäre, die in Deutschlands Demokratie nie richtig angekommen sind, oder für solche Leute, die einfach eine „traditionell rechte Gesinnung“ zum Ausdruck bringen wollen. Vielmehr erweist sich die AfD als jene Partei, die von solchen Leuten gewählt wird, die Deutschland durch seine etablierte Politikerschaft auf einen schlechten Kurs gebracht empfinden. Im Osten hatten die Leute diesen Eindruck viel früher als im Westen, weil dort ja auch erst 1989/90 ein Systemzusammenbruch stattgefunden hat.
Im Westen hingegen dauerte es länger, bis viele Leute begriffen, dass etliche Politiker wie die – schon von der Großen Koalition eingeleitete – Migrationspolitik, die Energiepolitik, auch die Fesselung unserer Wirtschaft durch immer dichtere bürokratische Vorgaben unserem Land nicht guttun. Die Wahl der AfD ist deshalb in der Regel ein Quasi-Plebiszit – also eine Quasi-Volksentscheidung – zur Frage, ob eine Landes- oder Bundesregierung ihren politischen Kurs fortsetzen oder ändern soll. Wenn man die Sache so betrachtet, dann versteht man sehr klar, warum vom allgemeinen Verdruss über die Bundesregierung die AfD viel stärker als die Union profitiert hat.
Sehen Sie bei der Landtagswahl in Hessen auch , dass Wähler den Ampelparteien die Rote Karte gezeigt haben und sich daher für die Oppositionsparteien auf Bundesebene – CDU und AfD – entschieden haben?
Klar, auch in Hessen haben die Bundestagsoppositionsparteien gewonnen und die Regierungsparteien verloren. Dass dort sowohl die CDU als auch die AfD gewonnen haben, ist Ausdruck der Tatsache, dass die Bevölkerungsmehrheit anders tickt als jene Parteien, aus denen derzeit die meisten parlamentarischen Mehrheiten bestehen.
Jedenfalls wählt die Bevölkerung quer über Deutschland mehrheitlich nicht linke Parteien, während – außerhalb von Bayern – regelmäßig linke Parteien die parlamentarische Mehrheit bilden, je nach Erfordernis mit oder ohne Einschluss der CDU. Der hessische Ministerpräsident hat das Verdienst, dass seine schwarz-grüne Koalition nach geräuschloser Regierungsarbeit tatsächlich bestätigt worden ist – und zwar wegen der CDU, nicht wegen der Grünen.
Das heißt, auf Hessen bezogen hat man offenbar gedacht, dass man mit der CDU besser dran ist, weil man mit der Ampelpolitik unzufrieden ist?
Es gab keinen Anlass, in Hessen die CDU abzuwählen. Weil niemand glaubhaft machte, die derzeit nicht koalierbare AfD könne das Land überhaupt oder gar besser regieren, war die hessische CDU in einer ziemlich guten Position. Sie hatte auch eine denkbar schlechte Gegenkandidatin in Gestalt von Frau Faeser. Daraus, dass sie mit dem Ausgang der Hessenwahl zufrieden sein kann, sollte die CDU aber nicht den Schluss ziehen, schwarz-grüne Bündnisse wären wirklich der dauerhaft erfolgreiche Zukunftsweg der CDU.
In Bayern will die Koalition aus CSU und Freien Wählern die Regierungsarbeit fortsetzen. In Hessen zeigt sich Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) offen zu den möglichen Konstellationen für eine neue Regierungskoalition. Was meinen Sie, wie wird sich Herr Rhein letztlich entscheiden?
Nachdem die Koalition mit den Grünen in Hessen in den vergangenen Jahren gut funktioniert hatte, die Grünen obendrein geschwächt sind und in den nächsten Jahren politisch wohl noch schwächer werden, ist es für die CDU recht bequem, die Koalition mit den Grünen fortzusetzen.
Vor allem aber gibt es für die hessische CDU keinen Grund dafür, die Partei der uneinsichtigen Wahlverliererin und migrationspolitischen Arbeitsverweigerin Nancy Faeser (SPD) – oder gar diese selbst – in die Regierung aufzunehmen. Anders wäre es nur, wenn sich bundespolitisch eine neue Konstellation ergeben sollte, zum Beispiel, weil die jetzige Bundesregierung auseinanderbricht.
Dadurch würde eine der Not entsprungene Große Koalition auf Bundesebene die Koalitionskalküle auf Landesebene verändern. Aber derlei steht derzeit nicht in Aussicht. Also wird es wohl auf eine Fortsetzung der schwarz-grünen Koalition hinauslaufen.
Sowohl in Bayern als auch in Hessen haben sich die konservativen Parteien durchgesetzt und Stimmengewinne erzielt. Sehen Sie darin ein klares Signal nach Berlin?
Dieses Signal könnte eigentlich schon längst in Berlin angekommen sein! Bei allen Wahlen der letzten Jahre – und längst, bevor die jetzige Koalition so unpopulär wurde – haben die Ergebnisse der AfD gezeigt, dass ein nennenswerter Teil der Deutschen unser Staatsschiff auf einem falschen Kurs sieht.
Zunächst waren es vor allem die Ostdeutschen, die dies mit ihrer Wahlstimme anzeigten. Inzwischen tun das auch viele Westdeutsche. Und tatsächlich setzt die Ampelregierung bislang jene Politik fort, die Angela Merkel unter Druck von Grünen, Sozialdemokraten und entsprechend sympathisierenden Medien begonnen hat, vor allem in der Energiepolitik und bei der Migrationspolitik.
Allerdings handelt die Ampelregierung sowohl entschiedener als auch weniger umsichtig als die Kanzlerin Merkel. Folglich ist die Ampelpolitik auch noch fehlerhafter als die der vorherigen CDU-Regierung. Davon aber profitiert so lange vor allem die AfD, wie die CDU nicht die Fehler der Merkel-Ära aufarbeitet.
Das Signal besagt also: Es ist keineswegs nicht so, dass rot-grüne Rerformprojekte dem Land guttun und das Land voranbringen; vielmehr muss man rot-grüne Politikprojekte endlich auf einen realistischen Planungs- und Umsetzungspfad bringen.
Die Energiepolitik muss dahingehend verändert werden, dass wieder die Kernenergie genutzt werden kann. Und bei der Migrationspolitik braucht es die drastische Beschränkung selbstermächtigter Einwanderung, die Aufhebung praktischer Abschiebehemmnisse sowie starke Anreize dafür, dass Migranten sich alsbald in unseren Arbeitsmarkt integrieren lassen, nicht aber im sozialen Sicherungssystem verbleiben. Passende Arbeitsplätze ohne die Erforderlichkeit einer sehr anspruchsvollen Ausbildung oder nennenswerter Sprachkenntnisse gibt es inzwischen ohnehin zuhauf.
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