Wer schwarz wählt, riskiert grün – Merz hält sich drei Optionen für die Kanzlerschaft offen

Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) hat seine potenziellen Koalitionsoptionen im Fall einer Regierungsübernahme durch die Union endgültig festgezurrt. Demnach würde er zur Not auch mit den Grünen regieren. Auf jeden Fall aber mit der SPD oder der FDP. Eine Analyse.
Friedrich Merz hat ein Ziel: "Wir müssen nach der nächsten Bundestagswahl stark genug sein."
Der CDU-Chef Friedrich Merz schließt eine Koalition im Bund mit den Grünen nicht mehr aus, um Kanzler Scholz abzulösen. Am liebsten wäre ihm allerdings ein Juniorpartner FDP. Doch die muss um ihr politisches Überleben bangen.Foto: Michael Kappeler/dpa
Von 6. Februar 2024

Nach langen Diskussionen hat sich CDU-Parteichef Friedrich Merz am Wochenende dazu bekannt, im Fall eines Bundestagswahlsieges mit sämtlichen Ampelparteien über eine gemeinsame Koalition sprechen zu wollen – auch mit den Grünen. Mit FDP und SPD ohnehin. In der 187. Ausgabe seines Newsletters „MerzMail“ schrieb er:

Die AfD wird es sicher nicht sein, sie steht als rechtsradikale Partei außerhalb jedes denkbaren Spektrums für uns. Also bleiben SPD, Grüne und FDP.“

Weiteren politischen Mitbewerbern sprach der Oppositionsführer die Kraft für einen „Politikwechsel“ ab – freilich ohne das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), die Freien Wähler (FW) oder die noch zu gründende WerteUnion (WU) auch nur zu erwähnen:

Wer meint, mit der Wahl der AfD oder einer anderen rechts- oder linkspopulistischen Partei ein besonders starkes Zeichen in diese Richtung setzen zu wollen, dem werden wir sagen: Jede Stimme für eine dieser Parteien macht einen wirklichen Politikwechsel in Deutschland schwerer und nicht etwa leichter. Nur die Wahl der CDU und der CSU ermöglicht die grundlegende Korrektur einer Politik, die Deutschland immer weiter ins Abseits manövriert. […] Mit den Radikalen von rechts und links ist kein Staat zu machen.“

Wer schwarz wählt, bekommt …?

Der logische Umkehrschluss: Wer aus Frust über die Ampelregierung die Union wählt, wird weiter mindestens mit einer jener drei Parteien als Taktgeber für seinen Alltag leben müssen, die er eigentlich unbedingt entmachten will. Womöglich käme es gar zu Schwarz-Rot-Grün.

Wie Merz seine Korrekturen trotzdem durchzusetzen gedenkt, ließ er im Ungefähren. Er skizzierte lediglich einige Voraussetzungen, unter denen er sich eine schwarz geführte Bundesregierung vorstellen könne.

Bedingung Nummer 1 – den Verlust der Mehrheit im aktuellen Bündnis SPD, Grüne und FDP – sieht Merz bereits „seit mehr als einem Jahr“ erfüllt. Und „dies dürfte angesichts der Zerstrittenheit und der persönlichen Zerwürfnisse innerhalb der Regierungskoalition auch so bleiben, selbst wenn es im Sommer einen Wechsel im Amt des Bundeskanzlers geben sollte.“

Auch Bedingung Nummer 2 – die Union als stärkste Kraft – sieht der 68-jährige Sauerländer momentan „vermutlich“ nicht in Gefahr: „Weitgehend unstreitig im öffentlichen Meinungsbild“ sei nämlich „die Annahme, dass die Union aus CDU und CSU die nächste Bundesregierung anführen dürfte“. Man werde aber „vermutlich“ einen Koalitionspartner benötigen.

Wunschpartner FDP könnte ausfallen

Ob Bedingung Nummer 3 eintreffen wird, hält selbst Merz für zweifelhaft: Es sei „fraglich“, ob die Liberalen „als Partei“ überleben würden. Doch selbst wenn die FDP die Fünf-Prozent-Hürde noch einmal überspringen sollte, „müsste sie ordentlich zulegen, um mit uns zusammen die Mehrheit der Mandate im Deutschen Bundestag zu erreichen“.

Was sogleich zu Bedingung Nummer 4 führen würde: Die FDP müsste nach Maßgabe von Merz „dann aber auch zurückkehren zu ihren liberalen und marktwirtschaftlichen Grundüberzeugungen“, wofür sie sich allerdings „früh genug und glaubwürdig aus der Umklammerung der Ampel“ befreien müsste. Davon allerdings ist weit und breit nichts zu sehen: Jede bisherige Initiative aus der FDP-Basis, ihre Parteispitze zum Ampelaustritt zu bewegen, war bislang gescheitert. Erst jüngst brachte FDP-Parteichef Christian Lindner im ARD-„Bericht aus Berlin“ sein Unverständnis über die Vorstellung zum Ausdruck, dass er 2028 vielleicht nicht mehr Bundesfinanzminister sein könnte (Video ab circa 18:30 Min. in der ARD-Mediathek).

Plan B: Schwarz-rot

Sollte die FDP tatsächlich aus dem Bundestag fliegen, könnte Merz auf so etwas wie einen Plan B zurückgreifen: ein Bündnis mit SPD oder den Grünen. „Keine verlockende Aussicht“, räumte Merz ein. Noch wichtiger sei aber, ein Bündnis mit jemandem zu verhindern, „der zurück will zum Nationalismus und die NATO und die Europäische Union verlassen will“, so Merz in der „Welt“ mit Blick auf die AfD.

Es bedürfe dazu aus Merz‘ Sicht einer Bedingung Nummer 5: „Die Union müsste – so wie gegenwärtig in den Umfragen – bei der Wahl so gut abschneiden, dass nur ein Koalitionspartner benötigt wird, auf keinen Fall zwei. […] Einer muss reichen, am besten mit Auswahl zwischen mehreren“, betonte der mutmaßliche Kanzlerkandidat. Er halte das „aus heutiger Sicht [für] einigermaßen realistisch“. Die SPD steht nach einer aktuellen INSA-Umfrage vom 5. Februar 2024 bei 15 Prozent, die Grünen bei 12,5 Prozent. Es könnte also knapp werden mit dem Zweierbündnis.

Offenbar spekuliert Merz auf die SPD als zweitliebsten Juniorpartner im Bund, also auf eine neue schwarz-rote „GroKo“: Der hessische CDU-Ministerpräsident Boris Rhein habe vorgemacht, wie das gelingen könne. Nach der Landtagswahl vom 8. Oktober 2023 habe Rhein sich zunächst ebenfalls Gespräche mit den Grünen offen gehalten – und dadurch die Verhandlungsposition gegenüber der SPD gestärkt. Mit den Worten „Wäre dieses Ausloten um den besten Erfolg im Sinne der CDU nicht möglich gewesen, die SPD wäre viel selbstbewusster aufgetreten“, erklärte Merz die Taktik.

Man möchte ergänzen, dass das gleiche Spiel auch zugunsten der Grünen hätte ausgehen können – oder beim nächsten Mal auch zugunsten der Grünen ausgehen könnte. Das aber unterließ Merz. Er beschwor vielmehr seinen Standpunkt, dass Deutschland „in der Außen- und Sicherheitspolitik ebenso wie in der Energie- und Klimapolitik, in der Wirtschaftspolitik ebenso wie in der Arbeitsmarkt- und in der Sozialpolitik“ einen „Politikwechsel“ benötige.

Union machte Weg für Ampelpolitik frei

Genau das fordern auch die übrigen Oppositionsparteien, mit denen Merz weiterhin nicht reden will. Wie glaubwürdig aber kann der Vorsitzende einer Partei, die den Kurs der „Ampel“ unter ihrer eigenen Kanzlerin Angela Merkel 16 Jahre lang geebnet und ein zwölfjähriges Bündnis mit der SPD federführend mitgetragen hatte, für einen Stopp der unkontrollierten Massenmigration oder für eine Anti-Scharia-Politik werben? Für den Wiedereinstieg in die Atomkraft trommeln? Für ein neues „Leitkultur“-Konzept oder generell für eine „wehrhafte Demokratie“ eintreten, wenn sie Millionen andersdenkende Bürger „in großen Teilen auf dem Weg in den Rechtsradikalismus“ wähnt?

Union stärkste Kraft – Koalitionsbildung schwierig

Wenn am nächsten Sonntag ein neuer Bundestag gewählt würde, würden laut INSA genau 30 Prozent der Wähler ihr Kreuzchen auf dem Wahlzettel bei CDU oder CSU machen. Das geht aus der aktuellen INSA-Wahlumfrage hervor, die im Auftrag von „Bild“ zwischen dem 2. und 5. Februar durchgeführt worden war.

Die Union wäre mit 9,5 Prozent Abstand auf die AfD (20,5 Prozent/plus 0,5 Prozentpunkte) die stärkste politische Kraft in Deutschland. Gemeinsam würde es rechnerisch zwar für eine Regierungsübernahme reichen. Doch wegen des immer wieder bekräftigten „Unvereinbarkeitsbeschlusses“ der Union gegenüber der AfD wäre eine schwarz-blaue Koalition unter Friedrich Merz nicht möglich.

FDP, Linke und Freie Wähler momentan aus dem Spiel

Die FDP (4,5 Prozent/plus 0,5 Punkte), die Linke (3,5 Prozent/minus 0,5), die Freien Wähler (3,0 Prozent/konstant) und die sonstigen Parteien (3,5 Prozent/minus 0,5) wären nicht im Bundestag vertreten. Ihre Wählerstimmen würden bei der Sitzverteilung auf die übrigen Parteien verteilt. Die Umfragewerte für die CSU wurden, obgleich ebenfalls der Fünf-Prozent-Hürde unterworfen, nicht gesondert aufgeführt. Auch sie könnten unter den Tisch fallen, falls die CSU allein nicht den Mindestanteil von fünf Prozent schaffen sollte. Die CSU hatte im Dezember 2023 eine Verfassungsklage gegen die dementsprechende Wahlrechtsreform 2023 eingereicht, die im März 2023 verabschiedet worden war.

Stand 5. Februar 2024 wären neben CDU/Union und AfD also nur die SPD (15 Prozent/konstant), die Grünen (12,5 Prozent/minus 0,5) und das Bündnis Sahra Wagenknecht (7,5 Prozent/plus 0,5) im Parlament vertreten.

WerteUnion in den Startlöchern

Spannend bleibt die Frage, welche Rolle die WerteUnion um den Ex-Verfassungsschutzchef Dr. Hans-Georg Maaßen (früher CDU) spielen wird. Sie soll nach den Worten Maaßens „vermutlich“ noch im laufenden Monat offiziell gegründet werden und dürfte vor allem Stimmen aus dem bürgerlich-freiheitlichen Lager CDU, CSU, Freie Wähler, FDP und AfD abziehen. Das Meinungsforschungsinstitut INSA sieht ein Potenzial von 15 Prozent, Maaßen hält sieben bis acht Prozent für realistisch.

Die WU wäre als einzige Partei offen für eine Zusammenarbeit mit der AfD, um das Land „wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen“, wie Maaßen sich gern ausdrückt. Antreten wolle man schon bei den Landtagswahlen im September 2024 in den AfD-dominierten Ländern Sachsen, Thüringen und Brandenburg.

Von Partnern zu Rivalen: Maaßen vs. Merz

Das Tischtuch zwischen Maaßen und Merz scheint mittlerweile völlig zerschnitten, obwohl Merz im Januar 2022 nach Aussage Maaßens mit den Stimmen der Unionsmitglieder aus dem WerteUnion-Verein ins Amt des Parteichefs gekommen war. Die WerteUnion habe Merz vor allem vertraut, weil er einen neuen Kurs für Deutschland versprochen habe.

„Leider hat sich im zurückliegenden Jahr gezeigt, dass Merz und der heutige Bundesvorstand der CDU nicht zu einer Politikwende bereit sind“, hatte der ehemalige Chef des Bundesverfassungsschutzes schon vor rund vier Wochen betont. Auch der Ausgrenzungsbeschluss der Union gegenüber der WerteUnion und das inzwischen obsolete Parteiausschlussverfahren gegen ihn selbst zeige in Wahrheit, dass „die CDU unter Merz jegliche Kurskorrektur“ bekämpfe.

Die CDU hatte sich nach dem Beschluss zur WU-Parteigründung erleichtert gezeigt: „Die rechte Ecke“ sei nun „aufgeräumt“, hieß es aus Kreisen von CDU-Spitzenvertretern. Angesichts der neuen CDU-Programmatik sei im Parteienspektrum ohnehin „kein Platz“ für eine Maaßen-Partei.



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