Ex-Geheimdienstchef Schindler: „Wir brauchen mehr Mut beim Kampf gegen die Bedrohungen unseres Landes“

Der ehemalige BND-Präsident Gerhard Schindler vermisst in Deutschland eine Diskussion über Sicherheit. Geld und Personal seien zwar wichtig, aber nicht alles.
Von 3. November 2020

Gerhard Schindler nennt sein Buch „Wer hat Angst vorm BND?“ eine Streitschrift. Viereinhalb Jahre, von 2012 bis 2016, war er Chef des Bundesnachrichtendienstes und weiß, wovon er spricht, wenn er sagt:

Im Internet tobt – das kann man ohne Übertreibung sagen – ein Krieg, allerdings ein stiller und damit weitgehend kaum wahrgenommener Krieg. Dabei sind die Folgen insbesondere für unsere Wirtschaft verheerend.“

Im YouTube Interview mit Epoch Times berührte Schindler generell das Thema, „Wieviel Freiheit wollen wir und wieviel Sicherheit brauchen wir dafür“. Er sagt: „Ich möchte mit meinem Buch, wenn es sein muss, ein stückweit stören.“ Und er fragt:

Warum haben wir kein Grundrecht auf Sicherheit?“

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Die Behörden brauchen auch Klarheit über ihren Auftrag

Aus aktuellem Anlass des Terroranschlags in Wien zitieren wir aus Schindlers Buch einige seiner grundlegenden Aussagen zu dem Thema: „Wir brauchen einen Sicherheitsdiskurs in Deutschland. Geld und Personal sind zwar wichtig, aber eben nicht alles. Die Behörden brauchen auch Klarheit über ihren Auftrag und hinreichende Befugnisse. Was nutzen zum Beispiel mehr Geld und mehr Personal, wenn die Bundespolizei an der Grenze keine Zurückweisungen vornehmen darf, wenn die Strafverfolgung am Datenschutz scheitert, wenn der Föderalismus nicht nur im Verfassungsschutzverbund zum Problem bei der Zusammenarbeit wird?“

Schindler kritisiert auch die deutsche Flüchtlingspolitik, die Europa 2015 gespalten habe. Die Coronakrise habe gezeigt, dass eine Grenzschließung, die damals als „unmöglich“ bezeichnet wurde, doch möglich sei.

Auch sollte sich nach seiner Meinung der BND „weniger um den Inlandsterrorismus kümmern“, der sei besser im Zuständigkeitsbereich des Verfassungsschutzes aufgehoben, als vielmehr um die geopolitischen Gefahren. Zu diesem Zweck sollte der BND dem Verteidigungsministerium unterstellt werden.

Bei der Rasterfahndung gab es keine Kriterien

Die Frage der Rasterfahndung wird ja nun in Österreich auch wieder aktuell werden, dazu sagt Schindler:

Mir geht es aber um einen anderen Aspekt, nämlich was zum Beispiel beim Frühwarnsystem Verfassungsschutz geändert werden müsste, damit entsprechende Gefährdungen rechtzeitig erkannt werden können. Nicht selten hieß es nämlich in den Diskussionen, der Täter sei ‚durch alle Raster gefallen‘, weshalb er bis zur Tat unerkannt blieb. Die Frage ist allerdings, durch welche Raster, welche festgelegten Kriterien er gefallen sein soll, denn es gab keine.“

Auch zwischen dem Bundesamt für Verfassungsschutz und dem Bundesnachrichtendienst sollten nach Meinung von Schindler „die Trennlinien neu gezogen werden.“ Denn „Terrorismus lässt sich nicht mehr sinnvoll in Inland und Ausland zuordnen.“

In Deutschland würden Kämpfer rekrutiert für Krisengebiete im Ausland, die dort, wie im Beispiel des IS, Terror verbreiten; und „ausländische Terroristen sickern nach Deutschland ein, um hier Anschläge zu begehen.“ Gleiches wird man jetzt aus Österreich auch zu hören bekommen. Die Lebensgeschichte des schon getöteten Terroristen spricht Bände.

Gerhard Schindler stellt nüchtern fest:

Eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik findet eigentlich gar nicht mehr statt. Auf bisher Erreichtem wird nicht aufgebaut, sondern an bisher Erreichtem wird abgebaut.“

Und weiter: „Ob es um Fragen der Grenzkontrollen geht oder um eine gemeinsame Migrationspolitik, ob es um Mandate für einen Streitkräfteeinsatz geht oder um eine gemeinsame Definition von terroristischen Gefährdern – die Heterogenität auf europäischer Ebene zeigt, dass man vernünftigerweise erst sein eigenes Feld bestellt, bevor man nach der nicht funktionierenden Genossenschaft ruft.“

Der laxe Umgang mit dem Thema Sicherheit in unserem Land

Zu dem eingangs erwähnten Krieg im Internet kommt schließlich an wichtigster Stelle der Krieg um das Internet hinzu. Schindler wird deutlich:

„Die Risiken sind letztlich allesamt bekannt. Umso unverständlicher ist die zögerliche Haltung hinsichtlich der Frage, ob der chinesische Konzern Huawei am hiesigen Aufbau des 5G-Netzes beteiligt werden soll. Dass dies eine ernsthafte Option ist, zeigt prototypisch den laxen Umgang mit dem Thema Sicherheit in unserem Land. 5G ist eine Schlüsseltechnologie, die mehr beinhaltet als jeder der Technologiesprünge der Vergangenheit. Dieser neue Mobilfunkstandard wird die Mobilfunknetze leistungsfähiger machen als jemals zuvor.“

Der besorgte Blick in die Zukunft

„Sich freiwillig in eine politische Erpressbarkeit zu begeben, ist eben keine gute Sicherheitspolitik“, stellt Schindler nüchtern fest und fährt fort:

Das dritte und gefährlichste Risiko besteht allerdings darin, dass derjenige, der jetzt bei 5G den Zuschlag erhält, dann auch zwangsläufig dank seines weiter ausgebauten Technologievorsprungs die nächsten Generationen 6G, 7G und folgende bereitstellen wird. Wir rutschen für viele kommende Jahre in eine strategische Abhängigkeit hinein, deren Auswirkungen sich noch nicht bemessen lassen. Diese Abhängigkeit besorgt mich am meisten.“

Im Video-Interview mit Epoch Times wurde Schindler noch deutlicher und verwies auf die in China für große Unternehmen gesetzlich vorgeschriebene Zusammenarbeit mit den zuständigen Organen der Kommunistischen Partei. Da führt kein Weg dran vorbei und der führt dann auch in die Länder der Unternehmenskunden.

Schindler analysiert und resümiert in seinem Buch, was nach seinen Einsichten und Ansichten zu einer Verbesserung der Nachrichtendienste führen könnte. Sein klarer Stil und sein unaufgeregter Einsatz für die Sicherheit, machen das Buch lesbar und allgemein verständlich. In seinem staatsbürgerlichen Engagement geht er über die eigene Pensionsgrenze hinaus.

„Wer hat Angst vorm BND“ stürmt wohl nicht nur wegen Schindlers Aufrichtigkeit sämtliche Bestsellerlisten, sondern auch, weil es das Bedürfnis der Öffentlichkeit nach Klarheit widerspiegelt. Es lohnt sich, dieses Buch gründlich zu lesen.

Gerhard Schindler: Wer hat Angst vorm BND?: Warum wir mehr Mut beim Kampf gegen die Bedrohungen unseres Landes brauchen  252 Seiten, Econ Verlag, 22,00€

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