„Wer die Augen verschließt, ist mitverantwortlich“: Proteste vorm Kanzleramt
Noch unterschiedlicher könnte es nicht sein: auf einer Seite – in bester Lage vor dem Bundeskanzleramt – ein Pulk aus rot gekleideten, Fähnchen schwenkenden Studenten, auf der anderen Seite – etwas abseits – eine bunte Gruppe in Gelb, Blau und weiteren Farben mit Transparenten und Flaggen.
Während die jungen Chinesen in blutrot gefärbten T-Shirts frenetisch jubeln, als die Fahrzeugkolonne mit den chinesischen Staatsgästen vorbeifährt, allen voran der neue Ministerpräsident Li Qiang und weitere Minister, empfängt die bunte Gruppe die Gäste mit lauten Rufen voller Kritik und Abstrafung in Englisch und Chinesisch. Nur die in leuchtendem gelb gekleideten Falun-Gong-Praktizierenden üben ungestört weiter ihre sanften, ruhigen Qigong-Übungen schweigend aus.
Das Treffen im Kanzleramt geht um die 7. deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen unter dem Titel: „Gemeinsam nachhaltig handeln.“
„Wir befürchten, dass es vielmehr um Geschäfte geht“
Doch nachhaltiges Handeln sieht man auf der Seite der Kritiker des Treffens nicht:
„Hier wird der chinesischen Regierung der rote Teppich ausgerollt“, so der neue Direktor der Gesellschaft für bedrohte Völker, Roman Kühn. „Das sehen wir sehr kritisch.“ Man lebe hierzulande in einer Demokratie, die ausmache, dass man hier die gleichen Rechte habe und in Freiheit leben könne – ohne die Gefahr, verhaftet zu werden, aus nichtigen Gründen oder wenn man einer bestimmten Religion oder Bevölkerungsgruppe angehöre.
„Diese Werte sind in China jedoch massiv in Gefahr.“ Denn die Menschenrechte, so befürchtet die Göttinger Menschenrechtsorganisation, würden heute nur sehr begrenzt angesprochen. „Wir befürchten, dass es vielmehr um Geschäfte geht, dass hier eben ausgelotet werden soll: Wie werden in Zukunft weiter Geschäfte mit China möglich sein, wie können die Firmen bessere Geschäfte machen?“ Man wolle sich dem nicht ganz verschließen. „Handel ist auch wichtig. Aber noch wichtiger als Handel sind die Menschenrechte.“
Die kürzlich veröffentliche Nationale Sicherheitsstrategie der Bundesregierung weise da sehr viele Lücken auf. „Das kritisieren wir eben auch.“ Taiwan werde beispielsweise gar nicht erwähnt. „Das zeigt, dass dort noch bedeutend nachgearbeitet werden muss“, so Kühn.
„Keine Geschäfte ohne Menschenrechte“
Dieser Meinung ist auch die zierliche, doch entschlossen wirkende Hongkong-Chinesin Amy Siu. Die Professorin lebt langjährig in Deutschland.
„Wir rufen die deutsche Regierung auf, insbesondere den Bundeskanzler, Menschenrechte als Teil des Dialogs zu machen.“ Menschenrechte müssten auf den Tisch kommen, sagt das Vorstandsmitglied zweier Hongkonger Demokratievereine energisch. „Keine Geschäfte ohne Menschenrechte“, so Siu.
Sie fordert von der Bundesregierung Mut in den Verhandlungen ein. Es gebe viele Menschen, die aktuell in China in Konzentrationslagern gefangen gehalten werden. Es gebe Zwangsarbeit, es gebe allerlei Menschenrechtsverletzungen. „Man darf nicht Geschäfte um jeden Preis machen.“
Tatsächlich gibt es auf der Protestveranstaltung auch einen jungen Mann, der von einer Verhaftung berichtet.
Mutter drei Mal für ihren Glauben inhaftiert
Der Chinese Lebin Ding lebt seit zehn Jahren in Berlin. „Heute bin ich hier, um auf meine Eltern aufmerksam zu machen“, erklärt er.
Seine Mutter war bereits zwei Mal aufgrund ihres Glaubens an die buddhistische Schule Falun Gong inhaftiert. Deswegen wurden sie und auch ihr Ehemann, beide Teebauern aus der Provinz Shandong, der Partnerprovinz Bayerns, am 12. Mai unrechtmäßig inhaftiert. „Dort sind sie jetzt weiteren Gefahren ausgesetzt“, so der angehende Jurist.
Hintergrund für eine der vorherigen Festnahmen war, dass sie jemand angezeigt hat, weil sie auf offener Straße Informationsblätter über die wahren Umstände der Verfolgung von Falun Gong verteilt hatte.
Die KP Chinas fühlte sich durch Falun Gong mit seinen Prinzipien von Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit und Nachsicht, nach denen man sich richten soll, um ein besserer Mensch zu werden, bedroht, erklärt der Wahlberliner weiter.
„Zudem spielte Neid beim damaligen KP-Vorsitzenden und Staatspräsidenten Jiang Zemin eine Rolle für den Beginn der Verfolgung der buddhistischen Meditationsschule.“ Ihn habe die große Popularität von Falun Gong gestört, die sich bis hinein in den Sicherheits- und Parteiapparat erstreckte. Vor Beginn der Verfolgung von Falun Gong am 20. Juli 1999 waren es laut Schätzungen 100 Millionen Festlandchinesen, die diese Kultivierungspraxis ausübten.
„Ihr seid eine wichtige Stimme für Freiheit und Menschenrechte“
Zwei Politiker folgten dem Aufruf des Bündnisses aus Menschenrechtsorganisationen, Uiguren, Tibetern und Hongkong-Demokratieaktivisten und Förderern für ein demokratisches China als Redner zu dem Protest zu erscheinen.
So richtete Michael Brand (CDU) als Bundestagsabgeordneter und Mitglied im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Worte an die Protestteilnehmer, ebenso wie der Parteikollege Roderich Kiesewetter, Mitglied im Verteidigungsausschuss.
„Ihr seid eine wichtige Stimme für Freiheit und Menschenrechte in einer Zeit, in der Menschenrechte global von diesem Regime in Peking massiv und brutal bekämpft werden“, so Brand.
Es sei wichtig, dass man zusammenstehe. „Die Tibeter, die Uiguren, Hongkong, Falun Gong, auch die Freunde, die neben uns sind, gehören mit dazu – viele andere, auch die Christen, die durch Peking unterdrückt werden.“
China habe einen klaren Plan: Expansion, Aggression, die globale Führung in allen Bereichen übernehmen zu wollen. Es werde Zeit, dass Deutschland, Europa und der Westen einen Plan hat, der auch verfolgt werde, erklärt der Menschenrechtspolitiker.
„Die KP-Chinas ist mit einer aggressiven Strategie dabei, unsere gemeinsamen Rechte, unsere Freiheit in China zu unterdrücken und diese Unterdrückung auf andere Länder auszuweiten. Den Versuch Pekings zu sagen: „Ja, wir sind auch für Menschenrechte, aber nicht für eure Menschenrechte, sondern für unsere Menschenrechte“, dies dürfe der Westen nicht akzeptieren.
Er plädiert für ein Netzwerk aus Verbündeten, die sich dem widersetzen: „Wer die Augen verschließt, der ist mitverantwortlich, dass sich diese Unfreiheit weiter ausbreitet wie ein Krebsgeschwür über China hinaus.“
Diejenigen, die glauben, sie wären eigentlich die Stärkeren und das Recht des Stärkeren werde sich durchsetzen: „Die Wahrheit ist, die, die hier versammelt sind, ihr seid die Stärkeren.“
„Ihr hier seid wichtige Vertreter eurer Völker, die in China unterdrückt werden. Ihr seid die Perlen für Freiheit, für Demokratie, für Menschenrechte. Ich verneige mich für diesen Einsatz. Vielen Dank!“, verabschiedet sich der Politiker unter Beifall der Zuhörerschaft.
„Chinesische Regierung sieht Uiguren als Fremdkörper“
Von weiteren Teilnehmern des Protestes ist zu erfahren, wie die chinesische Regierung in Ostturkestan (Xinjiang), Tibet und der Südmongolei eine brutale Assimilierungspolitik gegenüber der dortigen Bevölkerung durchführt.
Eine Tibeterin berichtet, dass tibetische Kinder ab vier oder fünf Jahren aus ihrer Familie verschleppt und in staatlich geführte Internate gebracht werden, wo sie nur in Chinesisch unterrichtet werden und ihnen verboten ist, die tibetische Sprache und Kultur zu lernen. „Das ist für uns eine existenzbedrohende Strategie Pekings.“
Gheyyur Kuerban, vom Weltkongress der Uiguren, ist davon überzeugt, dass die chinesische Regierung Uiguren als Fremdkörper sieht. „Mit all diesen Maßnahmen, mit den massiven Internierungslagern, der Politik der Zwangsarbeit, die parallel dazu läuft, beabsichtigt die KP Chinas, die Uiguren als Volk mit einzigartiger kultureller und religiöser Identität, mit ihrer einzigartigen Sprache und Kultur, komplett auszulöschen.“
„Ich bin für den Kampf gegen das chinesische Regime“
Ein junger chinesischer Student berichtet zudem über die massive Strategie der Einschüchterung der KP Chinas gegenüber den im Ausland lebenden Chinesen und gegenüber dem Kantonesisch.
„Ich bin hier, um gegen Li Qiang, den Ministerpräsidenten von China, zu protestieren.“ Er sei Kantonese aus der Stadt Kanton in der Nähe von Hongkong. „Wir haben eine gemeinsame Kultur, eine gemeinsame Sprache und ein gemeinsames Erbe“, so der junge Mann, der aus Sicherheitsgründen namentlich nicht genannt werden will.
Er erklärt: Unter der KP Chinas werde auch die Kantonesische Sprache und Kultur unterdrückt. Alle Schüler müssten in China Mandarin-Chinesisch als Unterrichtssprache in der Schule lernen und studieren. Ihnen sei verboten, in der Schule Kantonesisch zu sprechen. „Sie werden sonst bestraft.“
„Ich bin für den Kampf gegen das chinesische Regime und dessen Ende.“ Er hoffe, dass alle Völker in China das Recht auf Selbstbestimmung haben werden und in Zukunft ihren eigenen Weg gehen können. Er hoffe auch, dass Deutschland sich der Situation in China bewusst werde, „mit seinen Problemen und der Verfolgung dort“.
Die chinesische Regierung überwache nicht nur chinesische Staatsangehörige, sondern auch Chinesen im Ausland, berichtet er. Es habe Fälle gegeben, in denen Auslandschinesen in den Niederlanden oder auch hier in Deutschland durch die ausländische Präsenz der chinesischen Polizei belästigt wurde.
„Ich hoffe, dass die deutsche Regierung entschlossener die Menschenrechte in China verteidigt und fördert und China nicht nur als Geschäftspartner sieht.“
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