Wenn im Ernstfall die Rettungswagen fehlen
Insgesamt 179 Mal mussten im letzten Jahr beim landeseigenen Rettungsdienst in Berlin der Ausnahmezustand ausgerufen werden, weil Rettungswagen fehlten.
Im Jahr 2022 war das 331 Mal der Fall, 2021 178 Mal.
Bürokratie, Personalmangel, fehlende Investitionen, überalterter Fuhrpark sowie ein vermehrter Missbrauch des Notrufs belasten den Berliner Rettungsdienst.
Ausnahmezustand bedeutet, dass während eines bestimmten Zeitraums die komplette Rettungsdienstflotte ausgelastet war. Dadurch konnte die vorgeschriebene Zeitspanne vom Eingehen eines Notrufs bis zum Eintreffen der Rettungskräfte beim Patienten nicht eingehalten werden.
In der Hauptstadt gibt es Ausnahmezustände teilweise mehrmals am Tag und im Schnitt dauern sie 5,5 Stunden. Laut Ärzteblatt dauerte der längste Ausnahmezustand in Berlin am 28. Dezember 24,5 Stunden.
Trotzdem heißt von der Pressestelle der Berliner Feuerwehr gegenüber Epoch Times: „Die Notfallversorgung kann in Berlin flächendeckend sichergestellt werden.“
Personalmangel ist Dauerzustand
Entscheidend für das Ausrufen von Ausnahmezuständen sei besonders die Anzahl der Einsätze. Denn die Feuerwehr verzeichne seit Anfang November 2023, verglichen mit den Vorjahren, einen signifikanten Anstieg an Einsätzen pro Tag. Einflussfaktoren seien aber auch die Auslastung und Verfügbarkeit von Einsatzfahrzeugen, die Anzahl der eingehenden Notrufe, die Wetterlage und Anzahl der Veranstaltungen im Stadtgebiet, erklärt die Feuerwehr.
Doch das ist nicht die ganze Wahrheit für die allein im November und Dezember 48-mal ausgerufenen Ausnahmezustände.
„Ein wichtiger Faktor ist das einsetzbare Personal“, heißt es weiter. „Fallen Mitarbeiter aus oder fehlen einfach Kräfte, erhöht das zusätzlich zur steigenden Einsatzzahl den Druck auf das System Rettungsdienst.“ Und das scheint ein Dauerzustand zu sein.
Der von der Politik anerkannte Bedarf an Mitarbeitern im Rettungsdienst konnte bis jetzt nicht gedeckt werden. Das heißt, auch wenn niemand krankgeschrieben ist, fehlt noch immer Personal, um den Bedarf zu decken, so die Pressestelle.
Reparaturbedingte Ausfälle verstärken das Problem
Die – sich häufenden – oft reparaturbedingten Ausfälle bei Rettungsfahrzeugen verstärken das Problem noch. Schuld daran sei ein hoher Verschleiß aufgrund hoher Einsatzzahlen, Unfälle während der Alarmfahrten, eine hohe Laufleistung bei den Fahrzeugen, der schlechte Zustand der Straßen Berlins, erhöhtes Verkehrsaufkommen und altersbedingte Ausfälle aufgrund der Überalterung des Fuhrparks, erklärt die Pressestelle.
Mitte Januar waren daher von den 230 Rettungswagen im Besitz der Berliner Feuerwehr nur 157 Fahrzeuge einsatzbereit. 73 Fahrzeuge waren gleichzeitig in der Werkstatt.
Durchschnittlich haben die Fahrzeuge vier Werkstattaufenthalte im Jahr; davon einen Termin zur regulären Wartung. Im Schnitt ist jedes Rettungsfahrzeug rund 20 bis 25 Tage pro Jahr außer Dienst. Dabei finden im Schnitt 20 Prozent der Reparaturen in Werkstätten der Berliner Feuerwehr statt, die restlichen 80 Prozent in externen.
Lösungsansätze kennt man beim Rettungsdienst bereits. So heißt es auf die Frage möglicher Gegenmaßnahmen, dass ein schnellerer Austausch der Fahrzeuge, also eine Verjüngung des Fuhrparks sowie eine deutliche Aufstockung der Werkstattkapazitäten als auch eine Reduzierung der Einsatzzahlen Abhilfe schaffen würden.
Innensenat will sich Fachkräftemangel stellen
Doch wie will die Landesregierung dem entgegentreten und die Zahl der Ausnahmezustände senken? Der Berliner Innensenat trägt die Dienst- und Fachaufsicht über die Berliner Feuerwehr, dem der Rettungsdienst untersteht.
Erst kürzlich sei eine entscheidende Verordnung verlängert worden, heißt es von dort. Durch diese könnten „Einsatzfahrzeuge auch abweichend von der gesetzlichen Grundregelung besetzt werden.“ Das heißt, dass es möglich werde, Fahrzeuge auch mit Mitarbeitern niedrigerer Qualifikation zu besetzen.
Der Innensenat will damit Personalengpässen durch Fachkräftemangel und Krankheitswellen entgegenwirken. „Außerdem sind wir im Gespräch mit den Hilfsorganisationen, um den Rettungsdienst durch Unterstützung im Notfalltransport zu entlasten.“
Bereits jetzt werden durch Hilfsorganisationen wie Johanniter und Deutsches Rotes Kreuz täglich rund 37 Fahrzeuge samt Besatzung bereitgestellt, so die Berliner Feuerwehr.
Um der Überalterung der Fahrzeuge gegenzusteuern, sei im aktuellen Doppelhaushalt 2024/2025 das Budget für die Erneuerung und Erweiterung des Fuhrparks der Berliner Feuerwehr erhöht worden, heißt es vom Innensenat.
Zum Vergleich: Von 16 Millionen Euro für 2022 und 21,9 Millionen Euro für das Jahr 2023 wurde das Budget jetzt auf 24,2 Millionen Euro für das Jahr 2024 und 28,6 Millionen Euro für das Jahr 2025 erhöht. „Aus diesen Mitteln ist die Anschaffung von 48 Rettungswagen als Basisfahrzeug beabsichtigt“, erklärt der Innensenat.
Zwei-Schicht-Betrieb in Werkstätten soll starten
Und auch in den Werkstätten soll sich was tun, verspricht die Landesregierung: 2024 werde die Berliner Feuerwehr zusätzlich zwölf Kfz-Mechatroniker einstellen. „Damit kann unter anderem der Zwei-Schicht-Betrieb in den Werkstätten begonnen werden“, kündigt der Innensenat an. Ziel sei, „die Ausfallzeiten für Fahrzeuge und Geräte zu verkürzen“.
Mit einer Ausbildungsoffensive will man dem Personalmangel begegnen, so die Landesregierung. „Mit dem Doppelhaushalt 2024/2025 wurden der Feuerwehr zusätzliche 170 Stellen im feuerwehrtechnischen Dienst zur Verfügung gestellt, um die Übernahme der Anwärter nach der Ausbildung abzusichern.“ Ferner könne die Feuerwehr ab 2024 weitere Experten einstellen. Insgesamt 65 Stellen für Ärzte, Rufbereitschaft, Kfz-Mechaniker, IT-Experten und andere Bereiche kämen hinzu, heißt es.
Berufsattraktivität und Betriebsklima
Natürlich spielt auch die Berufsattraktivität und das Betriebsklima für einen gut funktionierenden Rettungsdienst eine wichtige Rolle. Die Zahl an Übergriffen auf Rettungspersonal stieg in den vergangenen Jahren kontinuierlich an. Trauriger Höhepunkt waren die Silvesterkrawalle 2022/23 in der Hauptstadt.
„Durch neue interne Meldeverfahren bei Angriffen und der Darstellung auf Lagekarten können Gefahrenzonen von der Berliner Feuerwehr nun schnell identifiziert werden.“ Das helfe, sich über das weitere Vorgehen schnell und effektiv mit der Berliner Polizei abzustimmen, führt der Innensenat aus. Diese „konstruktive und gute Zusammenarbeit“ soll in den kommenden Jahren und bei anderen Einsatzlagen fortgeführt und weiter ausgebaut werden.
Zusätzlich erlaubt die Novellierung des Berliner Sicherheits- und Ordnungsgesetzes eine erweiterte Unterstützung im Einsatz. Innensenatorin Iris Spranger (SPD) wolle nun, um den Schutz der Rettungs- und Einsatzkräfte und die Verfolgung von Straftaten zu verbessern, die Einsatzkräfte mit weiteren 917 Bodycams und rund 1.000 Fahrzeugkameras ausstatten. Rund 1,5 Millionen Euro stehen dafür im aktuellen Doppelhaushalt 2024/25 zur Verfügung, wovon noch in diesem Jahr die Beschaffung der Geräte erfolgen soll.
„Ein Zögern ist nicht empfehlenswert“
Zusammenfassend erklärt die Berliner Feuerwehr, dass Herausforderungen in der aktuellen Größenordnung nur gemeinschaftlich gelöst werden können. Zügiges Handeln sei seitens der politischen Entscheidungsträger geboten, da das Bedienen der „großen Stellschrauben“ mitunter viele Monate der Vorbereitung benötigt. Dabei sollte das politische Handeln dem gesellschaftlichen Anspruch folgen, mahnt die Feuerwehr an. „Ein Zögern angesichts der gegebenen Brisanz ist nicht empfehlenswert.“
Aber auch die Berliner Bevölkerung kann mithelfen, den Rettungsdienst zu entlasten. So sollte jeder seine eigenen Selbsthilfemöglichkeiten in Notlagen auch mit nachbarschaftlicher Hilfe ausbauen. Zudem sollte ein aufgeklärter und verantwortungsvoller Umgang mit dem Notruf stattfinden und eine Auseinandersetzung mit dem Thema Rettungsdienst und seinen Möglichkeiten in einer Großstadt erfolgen, rät die Berliner Feuerwehr.
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