Wenn die Polizei weiß, wieviel Benzin noch im Tank ist und ob ein Autofenster offen steht
Der Polizei soll es künftig möglich sein, Fahrzeuge in Echtzeit zu überwachen. Eine neue Spezifikation des Europäischen Instituts für Telekommunikationsnormen (ETSI) soll den Behörden den Zugriff auf entsprechende Metadaten erleichtern. Wie das Nachrichtenportal „heise.de“ berichtet, nehmen seit dem Frühjahr 2023 Vertreter der Automobilindustrie regelmäßig an den Sitzungen des Überwachungsgremiums teil. Das geht aus einer Reihe von Dokumenten des technischen Komitees für Lawful Interception (TC-LI) des ETSI hervor. Es befasst sich mit Standards der Telekommunikationsüberwachung.
Software mit Schnittstellen für Behörden
Die Begehrlichkeiten betreffen Daten aus der Autoelektronik, um damit gekoppelte Smartphones auszulesen oder auch um festzustellen, wie viele Personen gerade in einem Auto sitzen. Diese Daten, so eine weitere Forderung, sollen in Echtzeit verfügbar sein. Das funktioniert aber nur, wenn Autohersteller in ihrer Software entsprechende Schnittstellen für die Behörden einrichten. Nachdem die Vorarbeiten dazu sehr vielversprechend verlaufen seien, könne eine technische Umsetzung bald möglich sein, heißt es in einem internen Papier vom 25. April 2023.
Der Plan folge dem Vorbild der polizeilichen Überwachung von Mobilfunknetzen, heißt es bei „heise.de“ weiter. ETSI normiert die dafür erforderlichen Schnittstellen bereits seit 20 Jahren. Auch Deutschland sei in diesem von Polizei- und Geheimdienstbehörden dominierten Komitee des ETSI vertreten.
Auch der Verfassungsschutz sitzt mit am Tisch
Neben dem Bundeskriminalamt (BKA) und mehreren Landeskriminalämtern (LKA) nehmen der Bundesverfassungsschutz und die „Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (ZITis) an den Sitzungen teil.
Ganz oben auf der Prioritätenliste steht für die Behörden die Verknüpfung der IMEI („International Mobile Equipment Identifier“) mit der Fahrgestellnummer (VIN) des Fahrzeugs. Autohersteller und Betreiber von Fahrzeugdatenbanken sollen diese und alle möglichen weiteren Metadaten der Fahrzeuge den Behörden nahezu in Echtzeit zur Verfügung stellen. Dazu gehört auch die Übermittlung der „International Mobile Subscriber Identity“ (IMSI) des Telefonmoduls im Auto. Die IMSI ist etwa beim Dienst „We Connect“ von Volkswagen über eine eSIM in der Hardware integriert. Mit Unterstützung einer Smartphone-App sind auf diese Weise eine ganze Reihe von Parametern auslesbar.
So haben Fahrzeugbesitzer derzeit schon einen Fernzugriff auf bestimmte Funktionen der Bordelektronik. Diese verarbeitet und speichert Bewegungsdaten oder die IDs der mit dem Infotainmentsystem gekoppelten Smartphones während der Fahrt. Aus dem Navigationssystem des Fahrzeugs lassen sich wiederum alle zurückgelegten oder geplanten Strecken nachvollziehen.
Direkter Einblick in Entscheidungsfindung der Autofahrer
Da die tatsächlich gefahrenen Strecken ohnehin gespeichert werden, geht diese Forderung weit über das bisherige Bewegungsprofil des Autos hinaus. So könnten daraus Rückschlüsse auf die Absichten des Fahrers oder der Fahrerin gezogen werden.
Weil sämtliche Einzelinformationen mit einem Zeitstempel versehen sind, bekommt die Polizei einen direkten Einblick in die Entscheidungsfindung der überwachten Person. Die EU-Verordnung zum grenzüberschreitenden Datenzugriff von Ermittlungsbehörden sieht dafür eine Frist von sechs Stunden vor. Dies sei auch hier angemessen, heißt es in dem Bericht.
Über diese Verordnung zur „Beweissicherung in der Cloud“ verhandeln EU-Ministerrat und Parlament bereits seit fünf Jahren. Auf Druck der schwedischen Ratspräsidentschaft kam es Anfang 2023 zwar zu einer grundsätzlichen Einigung, verschiedene Streitpunkte seien aber nach wie vor offen. Wann und in welcher Form die Verordnung verabschiedet wird, ist daher völlig unklar.
Zahlreiche Urteile gegen Vorratsdatenspeicherung
„Dieses Dokument bewertet weder die Rechtskonformität der Datenanfragen, noch impliziert es, dass die Datensätze dauerhaft gespeichert werden müssen“, heißt es in der Einleitung zur Auflistung der Datenkategorien, für die sich Strafverfolger und Geheimdienste interessieren.
Grund für diese vorsichtige Formulierung sind eine Reihe von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gegen die Vorratsdatenspeicherung. So hatte der EuGH 2014 zunächst die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für nichtig erklärt und in der Folge ein halbes Dutzend nationale Umsetzungen verworfen. Das letzte dieser Urteile erging im September 2022 gegen die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland, so „heise.de“.
Neben den bereits erwähnten Hardware-IDs wie IMEI oder Fahrgestellnummer verlangen die Behörden die Lieferung weiterer Positionsdaten der Autos, und das im Minutentakt. Dazu gehören Geschwindigkeit, Außentemperatur oder Tankinhalt. Und wenn ein Autohalter Fenster und Türen seines Fahrzeugs öffnet, erfahren die Ermittler auch das.
Über die Bordsensorik gibt es Informationen über die Anzahl von Personen im Fahrzeug sowie die IDs aller Smartphones, die mit dem Infotainmentsystem verbunden sind. Die Zahl der Personen wird bereits optional bei dem in der EU vorgeschriebenen automatischen Notrufsystem eCall an Rettungsstellen übertragen.
Weitere Konferenzen sind bereits terminiert
Sobald sich die etwa 200 Mitglieder von TC LI auf einen Anforderungskatalog geeinigt haben, geht der Technical Report TR 103 854 zur technischen Umsetzung an die Arbeitsgruppe SA3LI. Diese gehört zur International Telecommunication Union (ITU), die wiederum eine Unterorganisation der Vereinten Nationen ist.
So müssen die technischen Dokumente der SA3LI zumindest teilweise öffentlich zugänglich sein. Die sehr wenigen Dokumente, die für die Öffentlichkeit von Interesse sind, sind in einer riesigen Ansammlung von Änderungsanträgen zu technischen Details verborgen. Doch nur dort sind die Vorgaben des TC LI in der frühen Phase der Entwicklung eines technischen Standards zu finden.
Die nächste dreitägige Konferenz von ETSI TC LI findet am 29. Juni in Rom statt. Anfang September trifft sich das Komitee in Sophia Antipolis an der Côte d’Azur und Ende Oktober im australischen Sydney. Bei diesen Treffen wird die nächste Version des technischen Berichts 103 854 erarbeitet.
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