Wem gehört Victor Klemperer? Kontroverse um „LTI“-Lesung mit Uwe Steimle in Dresden

Zum 9. November werden mehrere Dresdner Künstler auf Einladung der Stadtratsfraktion Freie Wähler/Freie Bürger im Landhaus aus Victor Klemperers „LTI“ lesen. Dass auch Kabarettist Uwe Steimle unter ihnen ist, sorgte für Kontroversen.
Titelbild
Der sächsische Kabarettist Uwe Steimle.Foto: Pressefoto/uwesteimle.de
Von 9. November 2023

Mit der späten Genehmigung vonseiten des Reclam-Verlages ist die Kontroverse um eine Lesung anlässlich des 9. Novembers beendet, die seit Tagen Dresden beschäftigt hat. Anlässlich des 85. Jahrestages der Reichspogromnacht hat die Fraktion Freie Wähler/Freie Bürger im Stadtrat dazu eingeladen. Mehrere Künstler sollen aus dem 1947 erschienenen Buch „LTI – Notizbuch eines Philologen“ von Victor Klemperer lesen. Dass einer davon der Kabarettist Uwe Steimle sein soll, hat die Gemüter in Wallung gebracht.

Neben Steimle sollen auch Vaatz und Hermenau aus Klemperers Werk lesen

Die nach Angaben der Veranstalter bereits komplett ausgebuchte Lesung ist für Donnerstag, 9. November, um 19:00 Uhr angesetzt. Ob sie im Stadtmuseum Dresden stattfinden würde, war bis Montag unklar. Grund dafür waren die Podiumsteilnehmer, die aus dem Werk des jüdischen Literaturwissenschaftlers lesen sollten. Neben Steimle sind auch noch der Ex-CDU-Landtagsabgeordnete Arnold Vaatz und die frühere Grünen-Politikerin Antje Hermenau eingeladen.

In den Reihen von SPD, Grünen und Linkspartei sorgte dieses Podium für Bedenken – und zu Beginn hatte auch der Reclam Verlag als Rechteinhaber zunächst die Lesung untersagt. Man hielt dort offenbar die für kontroverse Aussagen bekannten Teilnehmer nicht für geeignet, aus dem Werk eines Holocaust-Überlebenden zu lesen, das sich mit der „Sprache des Dritten Reichs“ befasst.

Vor allem dem Kabarettisten Uwe Steimle kreidete man an, dass er erst jüngst in einem Interview von einer „Sprache des grünen Reiches“ gesprochen habe. Bei einem früheren Auftritt hatte er neben den USA auch Israel vorgeworfen, diese würden „Kriege anzetteln“. Offenbar erschien Steimle manchen angesichts dieser Aussagen nicht als die richtige Person, um mit Klemperer bedenkliche Sprache zu entlarven oder Antisemitismus anzuprangern. Steimle hatte seine Aussagen zu Israel später relativiert und erklärt, nicht über Taktiken der terroristischen Hamas im Bilde gewesen zu sein.

Fangemeinde blieb Steimle jederzeit treu

Im Jahr 2019 beendete der MDR seine zuvor jahrelange Zusammenarbeit mit Steimle. Anlass dafür waren dessen mehrfache kritische Äußerungen über die Staatsnähe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Die Ankündigung hatte dem Sender Zensurvorwürfe eingetragen, Zehntausende unterschrieben eine Petition zugunsten des Künstlers.

Seither hatten vor allem linke und westdeutsche Kommentatoren versucht, den Kabarettisten in die rechte beziehungsweise verschwörungsideologische Ecke zu drängen. Tatsächlich hatte Steimle mehrfach dazu aufgefordert, auch mit Bestrebungen wie der AfD oder Pegida – unter Wahrung von Grenzen – das Gespräch zu suchen.

Der Kabarettist hatte zudem auch mehrfach die Qualität der Redefreiheit in der Bundesrepublik Deutschland infrage gestellt. Für den Präsidenten der Russischen Föderation, Wladimir Putin, fand er auch nach der russischen Militäroperation in der Ukraine anerkennende Worte. Zum 9. Mai gedachte er am Treptower Ehrenmal der Gefallenen der Roten Armee. Politisch ließ Steimle sich nie vereinnahmen – auch wenn er 2009 für die Linkspartei in der Bundesversammlung saß. Vor allem in Ostdeutschland verfügt er über eine starke Fangemeinde, die ihm vor allem Authentizität zubilligt.

Erster Bürgermeister musste gegenüber Kulturbürgermeisterin Machtwort sprechen

Dresdens Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch (Die Linke) erklärte am Montag, man habe die Raumzusage hinsichtlich des Stadtmuseums für die Fraktion zurückgezogen. Zum Zeitpunkt der Zusage seien „weder der konkrete Inhalt der Veranstaltung noch die Podiumsgäste bekannt gewesen“. Im Einvernehmen mit dem Leiter des Museumsamtes der Stadt habe man sich zu dem Schritt entschlossen.

Am Montagnachmittag genehmigten jedoch Reclam und der Gustav Kiepenheuer Bühnenvertrieb beide Lesungen. In einer Mitteilung dazu, aus welcher der MDR zitiert, hieß es, der Verlag und der Vertrieb stünden für „Diskurs, Diskussion und Reflexion“.

Man halte „eine öffentliche Auseinandersetzung mit dem Werk Klemperers für wichtig, denn Bücher sind für alle da“. Es sei dabei jedoch wichtig, dass „das Werk Victor Klemperers angemessen gewürdigt und im historischen Kontext diskutiert wird“.

Mit Zustimmung des Verlages entfiel Grundlage zur Verweigerung des Saales

Klepsch wollte dennoch an der Verweigerung der Räumlichkeiten für die Klemperer-Lesung festhalten. Wie die „Sächsische Zeitung“ berichtet, wollte sie damit einen „drohenden Imageschaden für die Landeshauptstadt Dresden“ abwenden. Podiumsteilnehmer hätten „diverse Auftritte im rechten politischen Spektrum“ absolviert. Eine Lesung von Klemperer-Texten durch diese könne „öffentlich als Verunglimpfung von Holocaustopfern wahrgenommen werden“.

Freie-Wähler-Stadträtin Susanne Dagen erstattete daraufhin Anzeige gegen die Beigeordnete und forderte Oberbürgermeister Dirk Hilbert zu einem Machtwort auf. Dieser weilte im Urlaub. Sein Stellvertreter Jan Donhauser (CDU) entschied in Hilberts Vertretung, den Festsaal des Landhauses für die Lesung zur Verfügung zu stellen. In einer Erklärung der Pressestelle hieß es:

Der Reclam Verlag hat der Fraktion die Lesung gestattet. Damit entfällt der Grund, diese Nutzung zu versagen.“

In einer späteren gemeinsamen Erklärung von Donhauser und Klepsch hieß es, der Saal stehe aus formalrechtlichen Gründen zur Verfügung. Man erwarte, dass „jederzeit zum Ausdruck kommt, dass es sich um eine Veranstaltung der Fraktion handelt“. Zudem sei es selbstverständlich, dass die Veranstaltung „dem Gedenken an die Opfer der Pogrome vom 9. November 1938 jederzeit gerecht wird“.



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