Weitermachen oder Hinwerfen? Schicksalswochen für die FDP

Die FDP kämpft seit Monaten nicht nur um diverse Kurswechsel in der Regierungspolitik, sondern auch um den Rückhalt ihrer Basis. Eine Initiative aus Hessen verfolgt seit Wochen den vorzeitigen Ampelaustritt. Manchen FDP-Spitzenpolitikern käme das wohl gerade recht.
FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner sieht Einsparmöglichkeiten beim Bürgergeld.
FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner muss sich immer wieder Fragen nach einem vorzeitigen Austritt aus der Koalition stellen.Foto: Soeren Stache/dpa
Von 1. November 2024

Verlorene Wahlen in drei östlichen Bundesländern, bundesweiter Absturz in der Wählergunst und eine unzufriedene Basis: Nicht erst seit dem Hickhack um die besten Ideen für die Wirtschafts- und Haushaltspolitik sieht sich die FDP auch parteiintern mit Forderungen nach einem Verlassen der Ampelkoalition konfrontiert.

Am Dienstagabend, 29. Oktober 2024, hat sich der FDP-Bundestagsabgeordnete Marcus Faber in die Schar jener Liberalen eingereiht, die einen Fortbestand des Regierungsbündnisses zumindest in Zweifel ziehen. „Ich denke, das hängt davon ab, welche Entscheidungen wir jetzt in den nächsten zwei Monaten treffen“, erklärte der 40-Jährige in der ZDF-Talkrunde „Markus Lanz“. Die Ampel müsse insbesondere bei den Themen Wirtschaftswende und Haushalt 2025 „etwas tun“. Und weiter:

Wenn wir etwas tun können, dann lohnt es auch, dass diese Koalition zusammenbleibt. Wenn wir das nicht mehr können, dann ist es besser, den Weg freizumachen.“

Der Bundestagsabgeordnete Marcus Faber (FDP, r.) war am 29. Oktober 2024 bei Markus Lanz zu Gast. Foto: Bildschirmfoto/ZDF/Markus Lanz

Der Bundestagsabgeordnete Marcus Faber (FDP, r.) war am 29. Oktober 2024 bei „Markus Lanz“ zu Gast. Foto: Bildschirmfoto/ZDF/Markus Lanz

Angesichts dieser beiden Optionen habe auch der FDP-Parteichef, Bundesfinanzminister Christian Lindner, von einem „Herbst der Entscheidungen“ gesprochen, wie Faber in Erinnerung rief (Video ab circa 9:50 auf ZDF.de).

Lindner hatte nach der Landtagswahl von Brandenburg, bei der die FDP nur auf 0,8 Prozent der Stimmen gekommen war, bis Weihnachten gemeinsame Weichenstellungen in der Migrations-, Wirtschafts- und Haushaltspolitik angemahnt. Das seien die „drei Entscheidungsfelder dieses Herbstes“, an denen die FDP als Partei die Regierung „messen“ werde.

Lindner hofft auf zweite Amtszeit

In den vergangenen Tagen aber war der Bundesfinanzminister wieder mit vollem Elan aufgetreten. Er verneinte ein vorzeitiges Ampelaus: Für Deutschland sei es „allemal besser, wenn eine Regierung eine gemeinsame Richtung findet, sie beschreibt und umsetzt“, betonte Lindner während seiner Pressekonferenz nach dem Mittelstandsgipfel vom Dienstag, 29. Oktober (Video auf YouTube).

Wenige Tagen zuvor, am 26. Oktober, hatte Lindner in einem Interview mit „Welt TV“ in Washington, D.C. sogar von seiner Absicht gesprochen, eine zweite Amtszeit als Finanzminister anzustreben: „Ich will nicht zuschauen, wie andere das, was wir uns jetzt erarbeiten an wirtschaftlicher Stabilität, geringerer Inflation, dass andere das wieder aufs Spiel setzen“ (Video auf X).

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai allerdings ließ sich am Dienstag in einem beinahe einstündigen Gespräch mit dem stellvertretenden Chefredakteur von „Bild“, Paul Ronzheimer, keine eindeutige Antwort auf die Frage entlocken, wie er zu einem Koalitionsbruch stehe.

Djir-Sarai betonte, dass die Entscheidung darüber noch „in diesem Herbst fallen“ müsse, „wohin die Reise geht und womit und wohin letztlich dieses Land geht“. Seine persönliche Meinung dazu werde er „den Gremien“ allerdings schon „in den nächsten Tagen“ mitteilen.

FDP-Ortsverbandschef will Entscheidung erzwingen

Wenn es nach Ulf Kasimir ginge, dem Chef des FDP-Ortsverbandes Neu-Isenburg (Hessen), müsste die FDP das Boot schon schneller verlassen. Der Diplom-Ingenieur und seine ebenfalls in der FDP engagierte Frau Susann Guber hatten laut „hessenschau“ Mitte Oktober die Initiative „#StarkeFDP“ inklusive eigener Website ins Leben gerufen.

Das Paar sammelt seitdem Unterstützerbriefe (Muster: PDF), um einen Mitgliederentscheid zum Ampelexit zu erzwingen. Dabei gehe es ausdrücklich nicht darum, am Stuhl von Parteichef Lindner zu sägen, wie Kasimir auf Anfrage des Onlineportals „Table.Media“ klarstellte: „Das sind zwei unterschiedliche Paar Schuhe.“

Nach Informationen von „Table.Media“ hatten sich mit Stand 30. Oktober allerdings erst 500 Parteimitglieder dem Antrag Kasimirs auf Durchführung eines Mitgliederentscheids angeschlossen.

Das würde laut Paragraf 21 der FDP-Satzung (PDF) zwar für eine unverbindliche Mitgliederbefragung, nicht aber für einen Mitgliederentscheid ausreichen. Dazu bedürfte es nämlich eines Quorums von fünf Prozent aller Liberalen, also rund 3.500 Stimmen. Alternativ müssten sich mindestens 100 Kreisverbände oder mindestens fünf Landesverbände für einen Entscheid starkmachen.

Ulf Kasimir, der Vorsitzende des FDP-Ortsvereins Neu-Isenberg, will einen Mitgliederentscheid für einen vorzeitigen Austritt der FDP aus der Bundesregierung durchsetzen. Foto: Bildschirmfoto/hr/hessenschau

Ulf Kasimir, der Chef des FDP-Ortsverbandes Neu-Isenburg, will einen Mitgliederentscheid für einen vorzeitigen Austritt der FDP aus der Bundesregierung durchsetzen. Foto: Bildschirmfoto/hr/hessenschau

Für die Partei bindend wäre ein Entscheid aber nur dann, wenn die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen der Abstimmung mindestens 15 Prozent aller Parteimitglieder umfasst. Das bedeutet, dass sich am Ende über 10.000 FDP-Parteibuchinhaber Kasimirs Austrittswunsch anschließen müssten, um das Ende der Ampel zu besiegeln.

Die Epoch Times bat Kasimir schriftlich um eine aktuelle Wasserstandsmeldung. Bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung lag allerdings noch keine Antwort vor.

Befragung vor einem Jahr knapp gescheitert

Im Dezember 2023 hatte es bereits eine offizielle FDP-Befragung der Mitglieder zum Ampelaus gegeben. Damals stimmten online allerdings nur 48 Prozent der 26.058 Beteiligten für einen Austritt aus der Koalition. 52 Prozent entschieden sich für einen Fortbestand der Ampel.

Anders als ein Mitgliederentscheid kommt eine solche Mitgliederbefragung allerdings nur einem Stimmungsbild gleich: Bindende Wirkung für die Gesamtpartei entfaltet sie nicht.

Ein verpflichtender Mitgliederentscheid zur Frage, ob die FDP zumindest den Anti-Atomkraft-Kurs der Ampel verlassen sollte, war im Herbst 2023 zwar versucht worden, schließlich aber doch nicht zustande gekommen. Die Initiatoren Johannes Baare und André Thess („Freie Demokraten für Kernenergie“) hatten das nötige Quorum nicht erreicht.

Der Gedanke dahinter war auch in diesem Fall das Ende der Ampel gewesen: Nach Einschätzung der Initiatoren hätten SPD und Grüne wahrscheinlich auf die Mitarbeit der FDP verzichtet, falls diese sich für eine Rückkehr zur Kernenergie starkgemacht hätte.

Kubicki rechnet mit Ampelbruch vor Weihnachten – falls sich nichts ändert

In den vergangenen Monaten hatten sich immer wieder auch prominente Liberale gegen den Verbleib ihrer Partei in der Ampel ausgesprochen.

Vizeparteichef Wolfgang Kubicki etwa hatte der Ampel nach der Brandenburg-Wahl vom 22. September nur bis Mitte Oktober Zeit gelassen, einen „vernünftigen gemeinsamen Nenner“ zu finden – andernfalls mache es „für die Freien Demokraten keinen Sinn mehr, an dieser Koalition weiter mitzuwirken“. Jedenfalls gehe er davon aus, dass die relevanten Entscheidungen zumindest noch im Herbst fallen würden: „Bei der jetzigen Performance“ werde die Koalition bis Weihnachten aus seiner Sicht nicht mehr durchhalten.

Einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Forsa zufolge würde die FDP bundesweit nur noch vier Prozent der Wählerstimmen erhalten, wenn am kommenden Sonntag ein neuer Bundestag gewählt würde. Bei der Bundestagswahl Ende September 2021 hatte die Partei noch beinahe dreimal so viel erreicht, nämlich 11,5 Prozent der Stimmen.

Spannende Wochen in Berlin

Bereits Anfang September hatte sich kein einziger Befragter des ZDF-„Politbarometers“ für eine zweite Auflage der rot-grün-gelben Bundesregierung ausgesprochen.

Heute, fast zwei Monate später, wird der Druck auf die Akteure auch im politischen Alltag immer größer, und die großen Herausforderungen des Jahres 2024 kommen erst noch: Falls Donald Trump die US-Präsidentschaftswahl am kommenden Dienstag gewinnen sollte, müsste die Regierung wahrscheinlich ihre Außen-, Handels- und Verteidigungspolitik überdenken.

Ob die Bereinigungssitzung im Haushaltsausschuss des Bundestags am 14. November einen für alle Ampelparteien tragfähigen Etatplan für das Jahr 2025 zutage fördern wird, steht in den Sternen. Womöglich aber stellt auch die finale Abstimmung über Lindners Haushaltszahlenwerk im Bundestag am 29. November die Koalition vor eine Zerreißprobe, der sie dieses Mal vielleicht nicht mehr standhalten würde.

Auf getrennten Pfaden unterwegs

Für Kontroversen sorgen in diesen Tagen auch die Ambitionen von Bundeskanzler Scholz (SPD) und Finanzminister Lindner, jeweils eigene Lösungen für die andauernde Wirtschaftskrise zu finden.

Statt gemeinsam mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) an einem Strang zu ziehen, luden Scholz und Lindner unterschiedliche Interessenvertreter aus Industrie beziehungsweise Mittelstand am vergangenen Dienstag zu jeweils getrennten, bislang ergebnislosen Gipfeltreffen ein.



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