Streckbetrieb für Kernkraftwerke kaum sinnvoll: Neue Brennstäbe benötigt
Derzeit sind noch drei Kernkraftwerke in Deutschland in Betrieb: Emsland in Niedersachsen, Isar 2 in Bayern und Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg. Laut Gesetz sollen sie Ende 2022 abgeschaltet werden. Derzeit wird diskutiert, sie unter einem „Streckbetrieb“ mit den vorhandenen Brennstäben länger laufen zu lassen.
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hält die Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke um mehrere Jahre für möglich und sagte in der „Welt am Sonntag“: „Wir werden uns noch lange Zeit Putins brutalem Versuch, den Westen durch Energieterror zu destabilisieren, ausgesetzt sehen. In dieser Lage sind Laufzeitverlängerungen für die Kernkraft von mindestens weiteren fünf Jahren denkbar.“
Umgehende Kritik kam von den Grünen, denn auch der Regierungspartner FDP sprach sich für eine längere Nutzung aus. Einen Wiedereinstieg in die Atomkraft werde es mit den Grünen aber auf keinen Fall geben, sagte die Parteivorsitzende Ricarda Lang.
Parteitag und Stresstest vor Streckbetrieb
Der frühere Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) sagt, dass auch ein Streckbetrieb eine Laufzeitverlängerung sei. Diese sei nur möglich, wenn der Bundestag das Atomgesetz ändere. Notfalls müsse in einem Parteitag der Grünen über Atomlaufzeiten und das umstrittene Aufschnüren des Atomausstiegs entschieden werden. „Wenn man ernsthaft eine Änderung des Atomgesetzes wollte, wird das ohne Parteitag nicht gehen“, sagte er dem „Tagesspiegel“. „Ob das ein Sonderparteitag sein muss oder ob wir das auf dem regulären im Oktober machen könnten, ist eine andere Frage.“
Für Trittin steht jedoch fest, dass die Grünen das Atomgesetz nicht anfassen werden. Der FDP wirft Trittin vor, dass sie bei solchen Verhandlungen mit der Union alles Mögliche neu verhandeln und den Atomausstieg 2022 verhindern wolle.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (ebenfalls Grüne) hat auf den Vorschlag des Streckbetriebes einen Stresstest angeordnet. Ergebe dieser, dass beispielsweise Bayern tatsächlich ein ernsthaftes Strom- bzw. Netzproblem haben könnte, dann würden sie diese Situation und die dann bestehenden Optionen bewerten. So die Aussage von Habecks Parteikollegin und Bundesumweltministerin Steffi Lemke.
Neue Brennstäbe, neue Kernkraftwerke
Der Verband Kerntechnik Deutschland e.V. (KernD) unterstützt die zunehmenden Forderungen nach einem Weiterbetrieb von Kernkraftwerken ebenfalls. Er weist jedoch auch darauf hin, dass ein reiner Streckbetrieb mit den in den Reaktoren vorhandenen Brennelementen über das Jahresende 2022 hinaus nur noch wenig Sinn ergebe. Es müssten neue Brennelemente bestellt werden.
In einer Pressemitteilung schreibt KernD: „Damit die Beschaffung frischer Brennelemente bis zum kommenden Sommer 2023 erfolgen kann, müssten seitens der Politik nun umgehend Entscheidungen getroffen werden, die es erlauben, diesen Prozess in Gang zu setzen. Ohne die nun rasche Bestellung von neuem Brennstoff wäre ein Weiterbetrieb auf nur noch wenige Wochen beschränkt. Ein unterbrechungsfreier Weiterbetrieb im kommenden Jahr mit frischen Brennelementen ist im Übrigen schon jetzt nicht mehr möglich.“
Der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Stefan Wolf, fordert sogar den Bau neuer Kernkraftwerke. „Weltweit werden derzeit 50 neue Atomkraftwerke gebaut, die Technik hat sich weiterentwickelt. Die EU hat die Atomenergie gerade erst als grüne Energie gekennzeichnet“, sagte er der Funke Mediengruppe.
Lindner: Keine Verhaltensregeln für Haushalte
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sagte in der „Bild am Sonntag“, dass daran gearbeitet werden müsse, dass zur Gaskrise nicht eine Stromkrise dazukomme. „Deshalb darf mit Gas nicht länger Strom produziert werden, wie das immer noch passiert.“ Insgesamt spricht sich Lindner für den Weiterbetrieb der Kernkraftwerke aus.
„Vieles spricht dafür, die sicheren und klimafreundlichen Kernkraftwerke nicht abzuschalten, sondern nötigenfalls bis 2024 zu nutzen.“ Zudem positioniert er sich gegen Verhaltensregeln für die Bevölkerung. „Natürlich versuche ich, sparsam mit Energie umzugehen“, so der FDP-Vorsitzende. „Dennoch bin ich bei Verhaltensvorschriften für Privathaushalte zurückhaltend. Denn die Politik muss ihre Hausaufgaben machen.“
Grünen-Politiker gegen, (Grünen-)Wähler für Laufzeitverlängerung
In der Debatte um den verlängerten Betrieb der Kernkraftwerke treten vor allem die Grünen als Skeptiker auf und wollen die Verlängerung verhindern. Dabei sprechen sich laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts INSA 54 Prozent der Grünen-Wähler für eine Laufzeitverlängerung der verbleibenden Kernkraftwerke in Deutschland aus, um die Energieversorgung unabhängiger von russischem Gas zu machen. 38 Prozent der Grünen-Wähler sind gegen einen Weiterbetrieb.
Die Umfrage hat ergeben, dass in der Gesamtbevölkerung 70 Prozent für die Verlängerung, 20 Prozent dagegen und 10 Prozent unentschlossen sind.
Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang lehnt Lindners Vorschlag, die deutschen Kernkraftwerke bis 2024 laufen zu lassen, ab. In einem „ZDF Sommerinterview“ sagte sie: „Das, was Christian Lindner da will, ist der Wiedereinstieg in die Atomkraft und das wird es mit uns auf jeden Fall nicht geben.“
Außerdem würden die Gaskraftwerke in Deutschland nur zu einem sehr kleinen Teil in der Verstromung eingesetzt und könnten nur zu einem winzigen Teil durch die Atomkraft ersetzt werden. Deutschland habe ein Wärmeproblem und kein Stromproblem. Mit einem Stresstest werde sich zeigen, inwieweit die Stromversorgung garantiert ist. Weiter sagt sie, dass Atomkraft in Bezug auf das Sparen von Gas nur „ganz, ganz, ganz wenig“ helfe und das Kohlekraftwerke besser helfen würden.
Zur besseren Einordnung: In der letzten Juliwoche standen etwa 4 GW Kernkraftwerkleistung zur Stromerzeugung zur Verfügung. Erdgas steuerte etwa 6 bis 14 GW bei, sodass sich der Gasverbrauch für die Stromerzeugung bei Wegfall der Kernkraftwerke um etwa 30 bis 65 Prozent erhöhen würde.
Sicherheitsgefahr, Endlagersuche, Forschungsverbot
Auch laut Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann gehe es Söder, Merz und Leuten aus der FDP in der Diskussion nicht darum, die Versorgungssicherheit zu garantieren, sondern um die „Rücknahme des Atomausstiegs“. Sie bezeichnet die Atomkraft auf Twitter als eine „gefährliche und teure Hochrisikotechnologie“ und es solle auf Energieeinsparung, Effizienz und den Ausbau erneuerbarer Energien gesetzt werden.
Laut Haßelmann müsse man sich außerdem mit der Entsorgung der radioaktiven Abfälle beschäftigen. „Wir haben bis heute kein Endlager für atomaren Müll, weil niemand den Atommüll vor seiner Haustür haben will. Die Folgen der Nutzung der Kernenergie verschlingen Milliarden an Steuergeldern. Die Reaktorkatastrophen von #Fukushima & #Tschernobyl schaden bis heute massiv“, schreibt sie auf Twitter.
Auch der Präsident des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung, Wolfram König, lehnt die verlängerten Laufzeiten von Atomkraftwerken aus besagten Gründen ab. König vermisse zudem Fortschritte bei der Endlagersuche und bezeichnet das Ziel 2031 als „nicht mehr realistisch“.
Dass es bis dahin neue Kraftwerkstypen geben könnte, die den heutigen Atommüll weiter nutzen und das Abfallproblem weitestgehend eliminieren können, wird von beiden nicht angesprochen. Entsprechende Bemühungen werden unter anderem in Kanada vorangetrieben, nachdem die Firma aufgrund des bestehenden Forschungsverbots für zivile Kernkraftnutzung aus Deutschland fortgezogen ist.
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