Was steckt hinter dem Nord-Stream-Anschlag? Kiew und Warschau schalten sich ein

Ein Bericht des „Wall Street Journals“ und die Aussagen des ehemaligen BND-Chefs sorgen für Verstimmung zwischen der Ukraine, Polen und Deutschland. Nun äußert sich Warschau zu den Vorwürfen.
Titelbild
Polens Präsident Duda empfängt seinen ukrainischen Amtskollegen Selenskyj zu wichtigen Vorgesprächen vor dem NATO-Gipfel am 8. Juli 2024.Foto: WOJTEK RADWANSKI/AFP via Getty Images
Von 16. August 2024

Nachdem das „Wall Street Journal“ (WSJ) berichtet hatte, dass hinter der Sprengung der deutsch-russischen Ostseepipeline Nord Stream im September 2022 eine ukrainische Operation stecke und Präsident Wolodymyr Selenskyj davon gewusst haben soll, sind die Reaktionen unterschiedlich.

Wie das WSJ unter Berufung auf Teilnehmer berichtet, kostete die Aktion rund 300.000 US-Dollar. Ein sechsköpfiges Team, das zum Teil aus zivilen Tauchern bestand, habe eine kleine gemietete Jacht für die Durchführung genutzt.

Der ukrainische Präsident soll zunächst dem Plan zugestimmt haben, so vier damit vertraute ukrainische Beamte. Als die CIA dann davon erfuhr und den ukrainischen Präsidenten aufforderte, die Aktion zu stoppen, soll Selenskyj dies auch versucht haben.

So soll der Präsident den damaligen militärischen Oberbefehlshaber, Valeriy Zaluzhniy, angewiesen haben, die Operation zu stoppen. Doch der General habe den Befehl ignoriert, berichtete das WSJ.

Ende September 2022 beschädigten mehrere Sprenungen die beiden Pipelines, dufch die russisches Gas nach Europa gelangte. (Archivbild)

Ende September 2022 beschädigten mehrere Sprengungen drei von vier Rohren der beiden Pipelines, durch die russisches Gas nach Europa gelangte. Foto: -/Danish Defence Command/dpa

Polnische Behörden beschuldigt

Im September 2022 soll für die Sprengaktion in Rostock die Freizeitjacht „Andromeda“ angemietet worden sein. Nach Angaben ukrainischer Beamter und mit den deutschen Ermittlungen vertrauter Personen soll das Boot dabei mithilfe eines polnischen Reisebüros gemietet worden sein. Dieses soll der ukrainische Geheimdienst vor fast einem Jahrzehnt als Deckmantel für Finanztransaktionen gegründet haben, so das WSJ.

In dem Bericht heißt es zudem, dass die Saboteure zeitweise Schwierigkeiten gehabt hätten, die Zusammenarbeit mit den polnischen Behörden sicherzustellen, obwohl sie Polen teilweise als logistische Basis nutzten und im polnischen Hafen von Kolberg vorübergehend ankerten.

So soll ein dortiger Hafenbeamter Verdacht geschöpft und die Polizei alarmiert haben. Der polnische Grenzschutz habe dann die Identität der Besatzung überprüft und sie weiter nach Norden segeln lassen, wo sie die Minen für die Sprengung legten, hätten mit den Ermittlungen vertraute Personen gesagt, so das WSJ.

Trotz der engen Zusammenarbeit zwischen Warschau und Berlin in Polizeiangelegenheiten hätten sich polnische Beamte zudem zunächst geweigert, die Aufnahmen der Überwachungskamera des Hafens herauszugeben. Dieses Jahr hätten sie dann ihren deutschen Kollegen mitgeteilt, dass das Filmmaterial kurz nach dem Ablegen der „Andromeda“ aus dem polnischen Hafen routinemäßig vernichtet worden sei.

Polens Spionageabwehr ABW teilte dem WSJ mit, dass es kein solches Filmmaterial gebe.

Früherer BND-Chef sieht Duda, Selenskyj involviert

Der frühere BND-Chef August Hanning hat in einem Interview mit dem „Welt“-Fernsehsender die Beteiligung Polens an der Sabotage-Aktion als realistisch eingeschätzt.

Offenkundig habe „ein ukrainisches Team“ den Anschlag ausgeführt, sagte Hanning. Dies sei aber „nur mit starker logistischer Unterstützung aus Polen“ möglich gewesen. „Das sind Entscheidungen, die auf höchster politischer Ebene gefallen sind, und ich glaube, dass es hier Verabredungen zwischen Präsident Selenskyj und Präsident Duda gegeben hat, diesen Anschlag auszuführen“, sagte der Ex-Geheimdienstchef mit Blick auf den ukrainischen Präsidenten und Polens Staatschef Andrzej Duda.

Aus seiner Sicht sollte die Bundesregierung aufgrund dieses Falles von „Staatsterrorismus“ sowohl von Kiew als auch von Warschau Schadenersatz verlangen.

Warschau sieht Desinformationskampagne

Die Regierung in Polen hat mittlerweile auf die Vorwürfe reagiert und hat jede Verwicklung in die Sprengung der Nord-Stream-Pipelines von sich gewiesen.

„Polen hat an nichts teilgenommen. Man muss sagen, dass das eine Lüge ist“, sagte der polnische Vize-Regierungschef und Minister für Digitalisierung, Krzysztof Gawkowski, am Freitag, 16. August, dem Sender „Polsat News“.

Gawkowski wies die Anschuldigungen Hannings kategorisch zurück. „Ich glaube, dass es sich hierbei um russische Desinformation handelt, die durch die Worte deutscher Politiker oder Mitglieder der staatlichen Verwaltung in Deutschland widerhallt“, sagte er.

„Entweder handeln sie unter dem Einfluss Moskaus oder sie sind sich bewusst, dass dies zu Meinungsverschiedenheiten unter den NATO-Mitgliedstaaten führt.“ Er sei „überzeugt, dass es keine Beweise dafür gibt, dass Polen an irgendetwas in der Nord-Stream-Sabotage beteiligt war“, sagte er.

Generalbundesanwalt beantragt Haftbefehl

Hanning warf der Regierung in Warschau zudem vor, „offenkundig kein Interesse an einem Erfolg der Ermittlungen“ zu haben. Dies liege daran, dass „Polen in die Vorbereitung dieses Anschlags massiv involviert gewesen ist“.

Die dortigen Behörden hätten den von deutschen Ermittlungsbehörden per Haftbefehl gesuchten ukrainischen Verdächtigen ausreisen lassen. Auch seien die Ermittlungen „nicht gerade befördert“ worden. „Im Gegenteil, man hat wichtige Ergebnisse zurückgehalten.“

Am Mittwoch war bekannt geworden, dass der Generalbundesanwalt in Karlsruhe im Zusammenhang mit der Nord-Stream-Sabotage im Juni einen ersten Haftbefehl beantragt hat. Dieser richtet sich gegen einen Ukrainer, der an den mutmaßlichen Anschlägen beteiligt gewesen sein soll. Der zuletzt in Polen ansässige Mann hatte sich jedoch nach Angaben der polnischen Justiz vor einer Festnahme Anfang Juli in die Ukraine absetzen können.

Die Ukraine reagiert

Am Donnerstag hat bereits die ukrainische Führung den WSJ-Bericht über eine Billigung der Sabotage an den Nord-Stream-Pipelines durch die höchste Regierungsebene in Kiew als „Unsinn“ zurückgewiesen.

Auch General Zaluzhniy, der mittlerweile als Botschafter der Ukraine in Großbritannien stationiert ist, erklärte in Bezug auf die Vorwürfe, er wisse nichts von einer solchen Operation und sagte, dass die Streitkräfte der Ukraine nicht befugt seien, Einsätze im Ausland durchzuführen, berichtete das WSJ.

Putin hat öffentlich den USA die Schuld an den Anschlägen gegeben. Ein hochrangiger russischer Diplomat in Berlin schloss sich dieser Behauptung an und bezeichnete die deutschen Untersuchungsergebnisse als „Märchen, die der Gebrüder Grimm würdig sind“.

Die beiden Pipelines waren im September 2022, sieben Monate nach Beginn des Ukraine-Krieges, durch Explosionen beschädigt worden. Zu diesem Zeitpunkt waren sie nicht mehr in Betrieb, enthielten aber Gas.

Deutschland profitierte jahrelang vom Import billigen Erdgases aus Russland. Ihr Bau wurde massiv durch die Ukraine die USA und osteuropäische EU-Partner kritisiert.

(Mit Material der Nachrichtenagenturen)



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