Warnung der Wirtschaft verhallt ungehört: Scholz setzt Kurs ohne Rettungsanker

Die Stimmung im Handwerk ist schlecht wie lange nicht mehr. Das zeigte eine gerade veröffentlichte Umfrage. Nicht nur das Handwerk klagt über hohe finanzielle Belastungen und andere Wachstumshindernisse. Die Forderungen an Bundeskanzler Scholz waren heute daher auf dem Spitzentreffen der Wirtschaft lang. Geliefert hat der Kanzler offenbar aber nicht. Die Enttäuschung der Wirtschaft ist daher groß.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und BDI-Präsident Siegfried Russwurm nehmen am BDI-Tag der deutschen Industrie teil.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und BDI-Präsident Siegfried Russwurm auf dem BDI-Tag der deutschen Industrie.Foto: Kay Nietfeld/dpa
Von 3. März 2024

Die Stimmung im deutschen Handwerk ist so schlecht wie lange nicht mehr. Das geht aus einer Umfrage zu den aktuellen Herausforderungen des „Zentralverbands des Handwerks“ (ZDH) hervor. Anfang Februar führte der Spitzenverband der Wirtschaft seine Umfrage durch.

Aufgrund der Wirtschaftskrise erwägt jeder achte Handwerksbetrieb eine Schließung oder Übergabe. Besonders bedroht sind, laut Umfrage, kleine Unternehmen mit bis zu neun Mitarbeitern. Jeder vierte Betrieb prüft offenbar im Moment, einzelne Bereiche seines Unternehmens aufzugeben. 42 Prozent der befragten Betriebe berichten davon, dass sie aktuell Investitionen aufschieben. 

Fast die Hälfte erwartet Umsatzrückgänge 

Für das erste Quartal 2024 machen sich die Betriebe keine großen Hoffnungen: 47 Prozent der Befragten erwarten einen Umsatzrückgang. Auch für die darauffolgenden Quartale sind die Erwartungen sehr gedämpft. „Vor dem Hintergrund der hohen Preissteigerungsraten der letzten zwölf Monate ist das ein alarmierendes Ergebnis“, mahnt der ZDH-Referatsleiter für Wirtschaftspolitik, René Rimpler.

Die Probleme für das Handwerk benennen die Befragten sehr deutlich. Besonders belastend im Konjunkturumfeld wirken nach Auffassung der Handwerksbetriebe die hohe Steuer- und Abgabenlast. Diese Auffassung vertreten 68 Prozent der befragten Betriebe. Über die Hälfte (52 Prozent) benennen die Dokumentations- und Nachweispflichten. Große Belastungsfaktoren sind darüber hinaus der Fachkräftemangel, die hohen Energiekosten und der derzeitige Auftragsrückgang. 

Entbürokratisierung und hohes Ausbildungsniveau 

Weiter benannten die befragten Unternehmen ihre Prioritäten für die Wahl zum Europaparlament im Juni. Die Ergebnisse zeigen, dass die Verbesserung des Rufs der beruflichen Bildung, eine Entbürokratisierung für mittelständische Betriebe und ein hohes Ausbildungsniveau als besonders wichtig erachtet werden. Deutlich darunter lag die Vereinfachung der Zuwanderung potenzieller Fachkräfte aus Drittstaaten. Digitale Verwaltungsverfahren im grenzüberschreitenden Bereich und mögliche klimapolitische Reformen erhielten ebenfalls weniger Priorität als die oben genannten Punkte. 

Ungeachtet der Forderungen der Handwerksbetriebe und eines langen Forderungskatalogs der führenden Wirtschaftsverbände, die diese vor wenigen Wochen in einem Brandbrief Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zugeschickt hatten, verlief ein am Freitag stattgefundenes Spitzengespräch mit dem Kanzler ohne Ankündigungen oder Annäherungen.

Scholz hat nichts Neues im Gepäck 

Am Rande der Münchner Handwerksmesse traf Bundeskanzler Scholz Vertreter der Spitzenverbände der Wirtschaft. Der Kanzler betonte nach dem Gespräch, dass Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit zentral für die Bundesregierung und ihr Handeln sei. Scholz verteidigte deshalb das geplante Wachstumschancengesetz, das „sehr relevante, wachstumsfördernde Maßnahmen“ enthalte. Weitergehende finanzielle Zusagen an die deutsche Wirtschaft, die seit Langem umfassendere Steuer- und Abgabensenkungen fordert, vermied er aber.

Der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, äußerte sich nach dem Gespräch dann auch sehr enttäuscht. Man habe vom Kanzler wenig Neues erfahren. „Das kannten wir alles schon.“

Russwurm forderte schon vor dem Gespräch mit Scholz Bürokratieabbau und niedrigere Energiekosten. Noch immer müssten die Unternehmen in Deutschland deutlich, deutlich höhere Steuern zahlen als zum Beispiel im Mittel der EU. „All das sind Steine im Rucksack der Wirtschaft, die man ausräumen sollte. Und der Zeitdruck ist hoch.“ Er kritisierte zudem das politische Gerangel beim Wachstumschancengesetz, welches wieder in der Diskussion zwischen Bundestag und Bundesrat hänge. „Und dann reden wir über neun Monate verbesserte Abschreibung auf geringwertige Güter vom 1. April bis zum 31. Dezember – das ist ja eigentlich lächerlich und zeigt, dass wir viel zu viel Zeit verlieren in der Diskussion.“

Wirtschaft erwartet einen „echten Kraftakt“

Im Hinblick auf die düsteren Wachstumsprognosen brauchte es eigentlich einen „echten Kraftakt“, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen, so der BDI-Präsident. „Die Unternehmen wünschen sich von der Bundesregierung eine klare Wachstumsagenda, und zwar eine, die über eine Legislaturperiode hinaus trägt.“

Für Verärgerung in der internen Runde mit dem Kanzler sorgte nach Angaben aus Teilnehmerkreisen, wie die „Tagesschau“ berichtet, auch, dass Scholz nicht auf die konkreten Forderungen der Wirtschaftsverbände in einem Zehn-Punkte-Papier eingegangen sei.

„Das reicht bei Weitem nicht“

Darin fordern der BDI, die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, der Deutsche Industrie- und Handelskammertag und der Zentralverband des Deutschen Handwerks unter anderem: international konkurrenzfähige Strompreise, eine grundlegende Steuerreform mit niedrigeren Unternehmenssteuern, schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren, weniger Bürokratie, Investitionen in die Infrastruktur und eine ausreichende Fachkräftesicherung.

„Das reicht bei Weitem nicht“, reagierte der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Jörg Dittrich, im Nachgang auf das Gespräch mit Bundeskanzler Scholz. „Die Stimmung in den Betrieben ist schlecht.“ Gemeinsam mit der Deutschen Industrie- und Handelskammer, der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und dem Bundesverband der Deutschen Industrie hatte der Verband den Zehn-Punkte-Plan vorgelegt und entwickelt, „um Vertrauen zurückzugewinnen und den Standort Deutschland zu stärken“. 



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