Wahlrechtsreform verfassungsgemäß? – Union, CSU und Linke hoffen auf Nein aus Karlsruhe

Insbesondere die Unionsparteien und die Linke hoffen darauf, dass das Bundesverfassungsgericht am Dienstag der jüngsten Wahlrechtsreform des Bundestags ihren Segen verweigern wird. Ansonsten müssten insbesondere CSU, Linke und direkt gewählte Kandidaten um ihren Einzug ins Parlament bangen.
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.
Das Symbilbild zeigt ein Schild mit dem Bundesadler am Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe. Das höchste deutsche Gericht soll am 30. Juli über die Wahlrechtsreform urteilen.Foto: Uli Deck/dpa
Von 29. Juli 2024

Am Dienstag, 30. Juli 2024, blickt das politische Deutschland wieder einmal nach Karlsruhe: Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) wird entscheiden, ob die Wahlrechtsreform der Ampelregierung für den Bundestag dem Grundgesetz genügt oder nicht.

Die Regierung Olaf Scholz (SPD) hatte die Reform am 17. März 2023 im Bundestag durchgesetzt. Dagegen geklagt hatten die Unionsfraktion, die CSU und die Linke. Das BVerfG hatte seit dem 23. April dieses Jahres zwei Tage lang mündlich verhandelt, nun soll das Urteil verkündet werden.

Dobrindt: „dreiste Wahlrechtsmanipulation“

Regierung und Opposition stehen sich nach wie vor mit ihren bekannten Argumenten unversöhnlich gegenüber.

Nach Auffassung von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt ist die Reform darauf angelegt, „zwei Parteien möglichst aus dem Bundestag zu verdrängen“. Die Erststimme würde „entwertet“, der Wählerwille in den Wahlkreisen „ignoriert“, sagte Dobrindt im Gespräch mit den Zeitungen der Mediengruppe Bayern. Er bezeichnete die Reform als eine „dreiste Wahlrechtsmanipulation der Ampel“. Es handele sich um „eine Respektlosigkeit gegenüber dem Wählerwillen und der Demokratie an sich“. Seiner Meinung nach könne das neue Wahlrecht „erheblichen Schaden am Demokratieprinzip auslösen“.

Der zuletzt über die „Grundmandatsklausel“ per Direktmandat in den Bundestag gewählte Linke Gregor Gysi geht davon aus, dass wenigstens ein Teil der Wahlrechtsreform kippt. Wie Dobrindt sieht er eine Diskriminierung, speziell zulasten seiner eigenen Partei und der CSU.

„Ich glaube nicht, dass das Gericht das durchgehen lässt“, betonte Gysi gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Wahrscheinlich würde das BVerfG entweder die Fünf-Prozent-Hürde auf drei oder vier Prozent senken oder die Grundmandatsklausel wieder einführen. Deren Wegfall sei ein „Sündenfall und eine Reduzierung von Demokratie“.

SPD, FDP und Grüne in gelassener Stimmung

Johannes Fechner, der Vizechef der SPD-Bundestagsfraktion, erklärte dagegen, er und seine Kollegen seien „guter Dinge“, dass das BVerfG die Reform nicht beanstanden werde:

Nachdem die Postengeilheit der CSU die überfällige Verkleinerung des Bundestages über Jahrzehnte verhindert hat, wird so der Bundestag 2025 endlich auf 630 Sitze verkleinert und damit der Parlamentsbetrieb noch effektiver.“

Konstantin Kuhle, der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, bemühte sich um ausgleichende Töne: „Sollte sich aus dem Urteil überhaupt ein Bedarf zur Änderung des Wahlrechts ergeben, so sollten alle Parteien der demokratischen Mitte, ob Regierungskoalition oder Opposition, nach der Entscheidung konstruktiv zusammen wirken, um für die kommende Bundestagswahl ein verfassungsgemäßes Wahlrecht zu haben, das den Bundestag nicht immer weiter wachsen lässt“.

Falls Karlsruhe die Reform ganz oder in Teilen kippen würde, wäre der Bundestag gezwungen, eine entsprechende Alternative zu beschließen.

Till Steffen, der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen im Bundestag, sieht dieser Möglichkeit unaufgeregt entgegen: „Wenn das Gericht dem Bundestag den Auftrag gibt, die Reform anzupassen, sind wir dazu rechtzeitig vor der kommenden Bundestagswahl in der Lage, auch wenn nicht viel Zeit bleibt“, gab sich Steffen gegenüber den Zeitungen der Funke Mediengruppe zuversichtlich. „Wenn die Union sich dann beteiligen möchte, stehen wir dem nicht im Weg“.

Reform will maximal 630 Abgeordnete – Wahlkreissieger könnten das Nachsehen haben

Der Kern der Reform liegt nach Informationen des Bundestages darin, dass es keine Überhang- und Ausgleichsmandate mehr geben würde. Das soll garantieren, dass maximal 630 Abgeordnete in den Bundestag einziehen dürften und nicht wie jetzt weit über 700.

Überhangmandate entstanden bisher, wenn eine Partei über die Erststimmen mehr Direktmandate im Bundestag gewann, als ihr Sitze nach dem Zweitstimmenergebnis zustanden. Diese Überhangmandate durfte sie behalten. Die anderen Parteien erhielten dafür Ausgleichsmandate. Dieses System hatte zu einer immer größeren Aufblähung des Bundestages geführt: Statt wie ursprünglich gedacht aus 598 Abgeordneten hatte der Bundestag nach der Wahl 2021 aus 736 Mandatsträgern bestanden.

Maßgeblich für die Sitzverteilung soll laut Reform bei kommenden Wahlen nur noch die korrekte Umsetzung der Zweitstimmen sein. Das würde die Rolle der Listenkandidaten (Zweitstimme) zulasten der Direktkandidaten (Erststimme) stärken. Denn künftig würden nicht mehr alle Direktkandidaten, die in ihren Wahlkreisen die meisten Erststimmen gewinnen, automatisch in den Bundestag einziehen. Manche Wahlkreise wären dann nicht mehr direkt im Plenum repräsentiert: Es dürften nur noch solche Wahlkreisgewinner direkt in den Bundestag einziehen, deren Mandat vom Gesamtkontingent der Parteien gedeckt würde.

Keine Ausnahmen mehr für Parteien unter fünf Prozent

Außerdem soll die Fünf-Prozent-Hürde keine Ausnahme mehr für jene Parteien zulassen, die eine Fraktionsgemeinschaft eingehen – wie etwa CDU und CSU. Käme die CSU, die bekanntlich nur im Freistaat Bayern antritt, nach „bundesweitem“ Maßstab nicht über fünf Prozent, wäre sie draußen – selbst wenn die CSU sämtliche 46 Direktmandate über ihre Wahlkreise holen würde. Bis zu neun Millionen Wählerstimmen könnten so am Ende wertlos bleiben. Nur für die Repräsentanten nationaler Minderheiten wie dem „Südschleswigschen Wählerverband“ würde es noch eine Ausnahme geben. Zur Erinnerung: Bei der Bundestagswahl 2021 hatte die CSU 5,2 Prozent geholt.

Zudem wurde die „Grundmandatsklausel“ gestrichen. Sie hatte auch Parteien unter fünf Prozent den Einzug in den Bundestag gewährt, wenn diese per Erststimme mindestens drei Direktmandate gewonnen hatten. Das war zuletzt bei den Linken der Fall. Obwohl die Partei bundesweit nur 4,9 Prozent der Zweitstimmen geholt hatte, hatten die gewonnenen Direktmandate von Sören Pellmann (Leipzig), Gesine Lötzsch und Gregor Gysi (beide Berlin) dafür gesorgt, dass am Ende nicht nur diese drei Wahlkreissieger, sondern weitere 36 Linken-Bewerber im Plenarsaal Platz nehmen und gemeinsam eine eigene 39-köpfige Fraktion bilden durften.

BVerfG drängte selbst auf Reform

Grundlage für die Wahlrechtsreform waren das „Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes und des Fünfundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes“ (BT-Drucksache 20/5370, PDF) und die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Heimat, nach der die „Grundmandatsklausel“ gestrichen wurde (BT-Drucksache 20/6015, PDF).

Das Parlament war damit einer Aufforderung des Bundesverfassungsgerichts gefolgt, das die Praxis der Sitzverteilung im Bundeswahlgesetz schon vor Jahren als verfassungswidrig bemängelt hatte.

Die Reform war am 17. März 2023 mit 399 der 683 abgegebenen Stimmen angenommen worden. 261 Abgeordnete lehnten die Novelle ab. Es gab 23 Enthaltungen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) unterzeichnete die Novelle im Juni 2023. Sie ist damit formal in Kraft gesetzt – bis zu einer anderslautenden Reform oder eben bis zu einem Veto des BVerfG.

Das neue Wahlrecht soll schon mit der nächsten Bundestagswahl gelten. Diese soll nach Angaben der Bundeswahlleiterin regulär zwischen dem 27. August und dem 26. Oktober 2025 stattfinden. Das genaue Datum steht bisher nicht fest.

Mit Informationen der Nachrichtenagentur dts.



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