„Wahlgetöse“ um Corona-Impfung für Kinder und Jugendliche – Hausärzteverband kritisiert Ministerbeschluss
Mit einem breiteren Impfangebot für Kinder und Jugendliche wollen die Gesundheitsminister von Bund und Ländern die Impfkampagne in Deutschland ausweiten. Bei Hausärzten stößt das auf Kritik.
Der Chef des Deutschen Hausärzteverbands, Ulrich Weigeldt, sagte dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (Dienstagausgaben): „Diese Diskussion unter Missachtung der Kompetenz der Ständigen Impfkommission kann eher zur Verunsicherung führen, als dass sie der Impfkampagne hilft.“ Für Kinder und Jugendliche mit hohem Risikopotenzial gebe es bereits eine Impfempfehlung, so Weigeldt.
Warum eine Empfehlung der STIKO dazu zunächst nicht abgewartet werden kann, die sich auf Basis von fundierten Studien zeitnah äußern will, ist mir schleierhaft. Das Ganze klingt ein wenig nach Wahlkampfgetöse“, kritisiert Weigeldt.
Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA hatte sowohl die neue mRNA-Technologie des COVID-19-Impfstoffs von Biontech/Pfizer als auch den von Moderna für Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren zugelassen. In Deutschland empfahl die unabhängige Ständige Impfkommission (STIKO) Impfungen von Kindern ausdrücklich nur bei höherem Risiko für schwerere Corona-Verläufe etwa wegen Erkrankungen wie Diabetes.
Die STIKO begründete ihre Position unter anderem mit der Datenlage, die aus ihrer Sicht bislang nicht ausreichte, um mögliche Folgeschäden zu beurteilen. Allerdings können sich Kinder und Jugendliche nach ärztlicher Beratung entgegen dem ausdrücklichen Rat der STIKO trotzdem impfen lassen.
Gesundheitsminister verteidigen Entscheidung
Die Gesundheitsminister der Länder beschlossen am Montagabend (2. August) einstimmig, in allen Ländern Impfungen für 12- bis 17-Jährige auch in regionalen Impfzentren anzubieten – so wie es in Arztpraxen bereits möglich ist.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat die Entscheidung von Bund und Ländern verteidigt. Er betonte am Dienstag im RBB-Inforadio, dass die Impfung freiwillig bleibe. Es gebe dabei auch keinen Widerspruch zur STIKO-Empfehlung.
Spahn verwies darauf, dass viele in der Altersgruppe schon jetzt geimpft würden. „Es sind schon über 900.000 Kinder und Jugendliche von zwölf bis 17 Jahren, das sind etwa 20 Prozent dieser Altersgruppe, mindestens einmal geimpft, auf eigenen Wunsch“, sagte der Minister.
Mit Blick auf Kritik an einem generellen Impfangebot für Jugendliche, wie sie etwa der Hausärzteverband äußerte, sagte Spahn: „Es geht ausdrücklich nicht darum, Druck zu machen.“ Gerade das Impfen bei Kindern und Jugendlichen sei „auch ein emotionales Thema, das in vielen Familien diskutiert wird“. Es gehe darum, denjenigen, die geimpft werden wollten, auch die Möglichkeit dazu zu geben.
Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) sagte dem RND, die Empfehlungen und die wissenschaftliche Beratung der STIKO sei nach wie vor „extrem wichtig“. Er fügte hinzu: „Wenn allerdings Daten und Studien aus anderen Ländern sowie die Zulassungen der Europäischen Arzneimittelbehörde nahelegen, dass die STIKO-Empfehlungen etwas großzügiger ausgelegt werden können, ist das in Zeiten, in denen die vierte Welle anrollt und Varianten auftreten, von großer Bedeutung.“
Ähnlich äußerte sich Niedersachsens Gesundheitsministerin Daniela Behrens (SPD). „Die Erfahrungen unserer Sonderimpfaktion zeigen, dass viele Familien sich ein entsprechendes Angebot wünschen“, sagte sie dem RND. „Wir haben bereits jetzt eine im Vergleich der Länder hohe Impfquote bei den Zwölf- bis 18-Jährigen und ich würde es begrüßen, wenn wir diese noch wesentlich erhöhen können“, sagte sie mit Blick auf aktuellen Zahlen des Landes. In Niedersachsen haben 27,7 Prozent der 12- bis 17-Jährigen eine erste Impfung erhalten, neun Prozent sind bereits vollständig geimpft.
Auch Sachsens Gesundheits-Staatssekretärin Dagmar Neukirch (SPD) unterstützte die Ausweitung des Impfangebotes für Kinder und Jugendliche. „Durch die aktuelle Empfehlung der Sächsischen Impfkommission, eine Impfung für alle ab zwölf Jahre uneingeschränkt zu empfehlen, gibt es mehr Sicherheit für die impfenden Ärztinnen und Ärzte, aber auch für die Kinder, Jugendlichen und ihre Eltern“, sagte Neukirch dem RND.
Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek bekräftigte, er sehe in dem geplanten Angebot keinen Widerspruch zur STIKO. Eine individuelle Risikoabschätzung sei sehr wichtig, betonte der CSU-Politiker und Vorsitzende der Länder-Gesundheitsminister am Abend im ZDF-„heute journal“. Einen Konflikt mit der STIKO könne er nicht erkennen.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat sich in der Debatte um die deutsche Impfkampagne für Impfangebote vor Schulgebäuden ausgesprochen. Sie begründet dies mit einer steigenden Infektionszahl durch die „ansteckendere Delta-Variante“. Demnach sollen möglichst viele Lehrer und Schüler geimpft werden, sagte die GEW-Vorsitzende Maike Finnern den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) vom Dienstag.
Neue STIKO-Empfehlung in Planung
STIKO-Chef Thomas Mertens sagte dem „Spiegel“ mit Blick auf eine neue Empfehlung: „Ich hoffe, dass wir das in den nächsten zehn Tagen schaffen.“ Den Inhalt könne er aber noch nicht voraussagen. Einen Konflikt mit den Gesundheitsministern der Länder, die eine Empfehlung entgegen der STIKO ausgesprochen haben, sieht Mertens nicht. „Aktuell fragen mich ja alle, ob ich den Beschluss der Gesundheitsminister als Gegensatz zu unserer Empfehlung sehe. Nein, und ich rege mich auch nicht darüber auf.“
Das ist eine politische Entscheidung, es ist die Freiheit der Politik so etwas im Sinne der allgemeinen Gesundheitsvorsorge anzubieten“, so Mertens.
Die Gesundheitsministerkonferenz begründete ihre Entscheidung damit, dass Impfungen an Kindern und Jugendlichen „zu einem sichereren Start in den Lehr- und Lernbetrieb nach den Sommerferien beitragen“. Die Angebote seien so auszugestalten, dass die Freiwilligkeit der Annahme dieses Impfangebotes nicht in Frage gestellt wird.
Indes kritisieren zahlreiche Ärzte und Wissenschaftler, dass es nach wie vor an einer umfangreichen Aufklärung der zu Impfenden über mögliche Nebenwirkungen mangelt und sie aufgrund dieser fehlender Informationen gar keine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung vornehmen können. (dpa/dts/afp/sua)
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion