Wahlgeschwächtes Deutschland: Wer nutzt das Machtvakuum nach Merkel in der EU?

Die Anspannungen der Vorwahlzeit sind vorbei. Nach der Bundestagswahl stehen nun Sondierungsgespräche und Koalitionsverhandlungen an. Doch Angela Merkel hinterlässt nach 16 Jahren Kanzlerschaft nicht nur in Deutschland ein Machtvakuum, sondern auch in Europa. Zwei Länder wollen nun gemeinsam die Gunst der Stunde nutzen.
Von 28. September 2021

16 Jahre Angela Merkel sind vorbei. Manche atmen auf. Manche bedauern. Mit Angela Merkel geht, je nach Sichtweise, eine starre Weiter-So-Politik, aber auch eine gewisse Ära der Stabilität in Deutschland verloren – mit noch unbekannter Zukunft.

Die Bundestagswahlschlacht ist geschlagen. Das Ergebnis kennt keinen starken Sieger. Für eine Regierungsmehrheit werden viele Eingeständnisse gemacht werden müssen. Wie lang die Koalitionsverhandlungen andauern werden, ist ungewiss. Ungewiss ist damit auch die Dauer des Machtvakuums in Deutschland, das Angela Merkel hinterlässt.

Auch in der Europäischen Union macht sich der Weggang Merkels und der momentane politische Stillstand in Deutschland bemerkbar. Doch schon wittern die europäischen „Partner“ ihre Chance.

Wird Deutschland in der EU abgedrängt?

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sieht in dem aktuellen Machtvakuum durch die voraussichtlich langwierigen Koalitionsverhandlungen in Berlin offenbar seine Gelegenheit.

Angeblich herrsche bereits reges Treiben in Paris, wo Pläne für ein Europa ohne Merkel auf Hochtouren liefen, wie die „Welt“ berichtet. Der französische Präsident sehe sich als natürlicher Führer einer EU, die den „merkelschen Ruhepunkt“ verloren habe.

Auch habe Macron bereits einen europäischen Partner gefunden, um die EU in eine neue Richtung zu führen: Italiens Ministerpräsident Mario Draghi. Draghi hat derzeit eine internationale Führungsposition inne, den G-20-Vorsitz Italiens, der im Verlauf des Jahres 2022 auf Indien übergeht.

Dass Macron und Draghi mehr verbindet als die Staatsgeschäfte, zeigt ein Treffen der beiden Anfang September in Marseille. Beim Abendessen in einem Drei-Sterne-Restaurant hätten sie nach „Welt“-Angaben in Draghis Geburtstag hineingefeiert.

Günstig stehe der Wind für Macron wegen des Wechsels der EU-Ratspräsidentschaft im Januar 2022. Dann werden Frankreich und Tschechien an der Macht sein. Das ganze fällt in den Wahlkampf um die französische Präsidentschaft, die am 10. April neu besetzt werden soll.

Mehr Kredite: Allianz der Ex-Banker

Der „Welt“ nach seien sowohl Macron als auch Draghi „überzeugte Europäer“ und von der Unvermeidbarkeit der Lockerung der strengen EU-Schuldenpolitik überzeugt. Beide Ex-Banker seien sich einig, dass es nicht beim aktuellen EU-Aufbauprogramm  „Next Generation EU“ bleiben werde.

Sie hielten die Maastricht-Kriterien für unzeitgemäß und glauben, dass wirtschaftlicher und politischer Fortschritt in der EU nur mit einer lockeren Schuldenpolitik möglich sei.

Auch der ehemalige französische Regierungschef und Macrons Ex-Parteigenosse bei den Sozialisten, Manuel Valls, habe kürzlich gesagt: „In dieser Phase des Vakuums wird die Führungsrolle der EU Emmanuel Macron und Mario Draghi zukommen.“

Schon im Frühjahr, nach Draghis Wahl zum Ministerpräsidenten, vermutete die „Financial Times“: „Wenn Angela Merkel als Bundeskanzlerin zurücktritt, könnten Draghi und Macron Europas neues Machtpaar werden.“ Die Zeitung schrieb, dass die Achse Paris-Rom nach Merkel noch in diesem Jahr zum Integrationsmotor werde. Jetzt titelt der „Spiegel“ schon vom Aufstieg des „Dracron“.

Für die EU: mehr Geld, mehr Schulden

Das EU-Aufbauprogramm „Next Generation EU“ wird durch 750 Milliarden Euro Schulden der EU finanziert. Es verbürgt alle Mitgliedsstaaten. Es gilt als das „größte Konjunkturpaket, das je aus dem EU-Haushalt finanziert wurde“.

Das Programm „soll ein grüneres, stärker digital ausgerichtetes und krisenfesteres Europa werden“, heißt es auf der offiziellen EU-Seite.

Der neue, langfristige Haushalt könne aufgrund seiner größeren Flexibilität besser auf „unvorhergesehenen Bedarf reagieren“ und werde damit nicht nur den „Gegebenheiten von heute, sondern auch den Unwägbarkeiten von morgen gerecht“.

Bereits Grünen forderten die Abschaffung der Maastricht-Kriterien. Der Europaabgeordnete Damian Boeselager (Volt, Grünen-Fraktion) sagte laut „Tagesschau“: „Die Stabilitätspaktregeln jetzt anzuziehen wäre kontraproduktiv, weil es die Ungleichheiten zwischen den armen und reichen Ländern vergrößern würde.“



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