VW-Krise: FDP fordert weniger politischen Einfluss durch das Land Niedersachsen

Seit 1960 hält das Land Niedersachsen ein Fünftel der Aktien bei VW und damit eine Sperrminorität. Die Krise des Konzerns hat nun eine Debatte über den Einfluss des Staates ausgelöst. Kritisiert wird unter anderem eine Personalie.
Das VW-Stammwerk in Wolfsburg gilt als größte Autofabrik der Welt. (Archivbild)
Das VW-Stammwerk in Wolfsburg gilt als größte Autofabrik der Welt. (Archivbild)Foto: picture alliance/Julian Stratenschulte/dpa
Von 4. November 2024

Die Krise bei VW und damit einem der Schlüsselunternehmen Deutschlands in der Autoindustrie hat eine Debatte über die Zukunft des VW-Gesetzes ausgelöst. Konkret geht es um den Anteil von 20,2 Prozent, den das Land Niedersachsen an dem Konzern hält. Vor allem aus der FDP kommen Vorwürfe, der politische Einfluss auf die Volkswagen AG sei für deren missliche Lage mitverantwortlich.

In der Vorwoche hatte die Unternehmensführung die Quartalszahlen für die Sommermonate präsentiert. Dabei war die Rede von einem 63,7-prozentigen Gewinneinbruch und von einer Gewinnmarge von nur noch 2,1 Prozent. Deutlich zu wenig, um Investitionen zu finanzieren, die den Erhalt von Standorten, Arbeitsplätzen und Lohnhöhen ermöglichten. Außerdem sei der Standort Deutschland zu teuer. Nun stehen Werksschließungen, Lohnkürzungen und Jobabbau zur Debatte.

FDP sieht Politik hinter E-Auto-Strategie bei VW

Der FDP-Landeschef von Niedersachsen, Konstantin Kuhle, fordert, das Land müsse „seinen politischen Einfluss auf den Konzern reduzieren“. Gegenüber der „Welt“ äußerte er:

„Statt sich in die betriebswirtschaftliche Feinsteuerung des Unternehmens einzumischen, sollte die Politik Volkswagen und anderen Autobauern diese Strategie ermöglichen.“

Auch der Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Christian Dürr, betonte, Unternehmen müssten „Entscheidungen am Markt treffen und nicht nach politischen Vorgaben“. Er machte den Einfluss verantwortlich für die „riskante Entscheidung“, sich in Erwartung einer entsprechenden Nachfrage auf die Elektromobilität zu fokussieren.

Nicht nur Dürr, sondern auch zahlreiche Social-Media-Nutzer halten eine Personalie für besonders unangemessen. Zwei Sitze stehen dem Land im Aufsichtsrat von VW zu. Neben Ministerpräsident Stephan Weil ist dort die grüne Kultusministerin Julia Willie Hamburg vertreten.

Politische Positionen im Aufsichtsrat

Kritiker stellen nicht nur deren fachliche Qualifikation in Zweifel. Willie Hamburg gilt zudem als ideologisch motivierte Gegnerin des motorisierten Individualverkehrs. Allerdings ist sie nicht nur Kultusministerin, sondern auch die stellvertretende Ministerpräsidentin des Landes. Außerdem stellt die SPD den Wirtschaftsminister – weshalb dessen Entsendung am Parteienproporz scheitern musste.

Grundsätzlich ist eine Beteiligung von 20,2 Prozent weit von einer Mehrheit entfernt. Mit 53,3 Prozent der Stimmrechte kann die Porsche Automobil Holding SE wesentliche Entscheidungen in Eigenregie treffen. Das Emirat Katar verfügt mittlerweile über 17 Prozent der Stimmrechte, der Rest ist Streubesitz.

Das VW-Gesetz sieht jedoch vor, dass es für einzelne Entscheidungen einer Vierfünftelmehrheit bedarf. Zu diesen gehörten Fusionen und Übernahmen, Änderungen von Satzungsbestimmungen zu Struktur und grundlegenden Regeln des Unternehmens oder Kapitalerhöhungen. Aber auch strategische Entscheidungen könnten vetorelevant sein. Dies wären etwa Investitionen von besonders erheblicher Größenordnung – aber auch die Ausrichtung auf Elektromobilität.

Standortentscheidungen bedürfen laut VW-Gesetz im Aufsichtsrat einer Zweidrittelmehrheit. Dies wertet vor allem die Arbeitnehmervertreter auf, ohne deren Zustimmung Verlagerungen ins Ausland unwahrscheinlich werden.

EuGH erzwang bereits Anpassungen am VW-Gesetz

De facto werden bei VW alle wesentlichen Entscheidungen im Konsens getroffen. Darauf legen alle relevanten Eigentümer größten Wert, schließlich würden Kampfabstimmungen dem Image des Unternehmens auf dem Markt schaden.

Der Einfluss der Politik auf VW wurde ursprünglich mit einem erforderlichen Interessenausgleich begründet. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gab es erhebliche Konflikte darüber, wer die Kontrolle über das ursprüngliche Vorzeigewerk der Nationalsozialisten ausüben sollte.

Das VW-Gesetz des Jahres 1960 machte den Weg frei zu einer privatwirtschaftlichen Organisation des Unternehmens. Der Staat sollte jedoch eine Sperrminorität behalten. Im Kern blieb das Gesetz bis heute in Kraft, obschon im Laufe der Jahrzehnte einzelne Anpassungen erfolgten. Einige davon erzwang der Europäische Gerichtshof (EuGH), der durch Teile des VW-Gesetzes 2007 die EU-Kapitalverkehrsfreiheit beeinträchtigt sah.

Befürworter verweisen auf hohe Bedeutung

Heute spielen die Debatten der Nachkriegsjahre keine Rolle mehr. Befürworter eines Verbleibs des Landes unter den Entscheidungsträgern weisen auf die Größe der wirtschaftlichen Bedeutung von Volkswagen für Niedersachsen hin. Dort befindet sich jeder fünfte Arbeitsplatz im gesamten VW-Konzern.

Eine Studie der Nord/LB zufolge steuert VW auch die Hälfte der Wertschöpfung der 50 größten Arbeitgeber des Bundeslandes bei. Dazu kommt die Bedeutung von VW als Steuerzahler – und Zahler von Dividenden. Davon hatte das Land Niedersachsen zuletzt aufgrund seiner Beteiligung 533 Millionen Euro eingenommen. Der Bund hatte ursprünglich ebenfalls Anteile an VW, verkaufte diese jedoch im Jahr 1988.

Der Fraktionsvize der Grünen im Bundestag, Andreas Audretsch, spricht von Fehlentscheidungen sowohl des Managements als auch der Politik, die für die Krise verantwortlich seien. Er fordert eine Neuausrichtung der E-Auto-Strategie:

„VW muss endlich Modelle anbieten, die sich auch Normalverdiener leisten können.“

Unternehmenspolitik bei VW immer auch Standortpolitik

Sowohl Landes- als auch Bundes-CDU wollen das VW-Gesetz im Kern aufrechterhalten. Ihr Fraktionschef im niedersächsischen Landtag, Sebastian Lechner, betonte, man werde im Fall eines Regierungswechsels auch den eigenen Ministerpräsidenten in den Aufsichtsrat entsenden.

Die wirtschaftspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, Julia Klöckner, betonte jedoch, dass „die Politik sich nicht übermäßig in unternehmerische Entscheidungen einmischen“ solle. Im Jahr 2009 war es die damalige CDU-geführte Landesregierung, auf deren Vorschlag VW Teile der insolventen Autofabrik Karmann in Osnabrück erwarb.

Nun steht der Fortbestand des Werks infrage – und bereits zum damaligen Zeitpunkt galt es als fraglich, ob VW nicht schon über ausreichend Produktionskapazitäten verfügte. Allerdings zeigte das Beispiel, dass Unternehmenspolitik bei VW auf Grundlage des VW-Gesetzes bislang immer auch Standortpolitik war.



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