Vosgerau vs. „Correctiv“: Beschwerde zurückgewiesen – beide Seiten sehen sich als Sieger
Im Zusammenhang mit dem Bericht des Portals „Correctiv“ zum sogenannten Geheimplan-Treffen nahe Potsdam im November 2023 hat das Hanseatische Oberlandesgericht eine Beschwerde des Staatsrechtlers Ulrich Vosgerau zurückgewiesen. Dieser hatte vor dem Landgericht Hamburg eine einstweilige Verfügung gegen drei Darstellungen beantragt, die seine Person betrafen. In einem Fall hatte er Erfolg – die beiden anderen Aussagen durfte „Correctiv“ aufrechterhalten. Die dagegen gerichtete Beschwerde wurde nun zurückgewiesen.
Verfahren bezog sich auf Teilaspekte des „Correctiv“-Berichts
Dies hatte die stellvertretende Chefredakteurin des Portals, Anette Dowideit, am Mittwoch, 27. März, auf X mitgeteilt. Der Anwalt Vosgeraus, Carsten Brennecke, bestätigte den Inhalt der Entscheidung auf der Webseite des Anwaltsbüros Höcker.
Der Rechtsstreit hatte sich auf Teilaspekte des Treffens bezogen, bei dem „Correctiv“ zufolge auch Vosgerau ein Referat gehalten hatte. In diesem ging es schwerpunktmäßig um Wahlen, insbesondere um die Briefwahl.
In diesem Zusammenhang hatte das Landgericht Hamburg „Correctiv“ zur Unterlassung einer ursprünglich aufgestellten Behauptung verpflichtet. Es ging dabei um die Frage einer Anfechtung von Wahlen aufgrund möglicher Unregelmäßigkeiten, die durch die Briefwahl entstehen könnten. Es wurde in diesem Kontext über mögliche Musterschreiben gesprochen.
Juristische Falschaussage darf Vosgerau nicht mehr zugeschrieben werden
In der ursprünglichen Fassung des Berichts hatte man dem Juristen in diesem Kontext die zumindest sinngemäße Aussage in den Mund gelegt: „Je mehr mitmachten, umso höher die Erfolgswahrscheinlichkeit.“ Juristisch ist eine solche nachweislich falsch, da vor Gericht bei Wahlprüfungsbeschwerden nur zu prüfen ist, ob diese formgerecht eingebracht wurden und inhaltlich berechtigt sind. Auf die Anzahl gleichlautender Beschwerden kommt es nicht an.
Diese Darstellung von „Correctiv“ war damit geeignet, Vosgeraus fachliche Kompetenz als Jurist in Zweifel zu ziehen. Da das Portal mit Ausnahme von Angaben anonymer Zeugen keine Beweise für deren Richtigkeit vorbringen konnte, gab das Landgericht dem Antrag auf einstweilige Verfügung statt.
Zwei weitere Darstellungen mit Bezug auf Vosgerau darf „Correctiv“ jedoch aufrechterhalten. Die eine bezieht sich auf Wahrnehmungen hinsichtlich des Inhalts des Vortrags, den der als Rechtsextremist eingestufte österreichische „Identitären“-Gründer Martin Sellner bei dem Treffen gehalten hatte.
Gericht: „Correctiv“ hat Antwort verkürzt wiedergegeben – aber nicht sinnentstellend
Dazu schrieb „Correctiv“ auf der Grundlage der eigenen Recherchen und der schriftlichen Antwort Vosgeraus auf eine Anfrage:
„An die Sache mit der Ausbürgerungsidee von Staatsbürgern in Sellners Vortrag will er sich aber nicht erinnern können.“
Vosgerau sah sich dadurch in einer verkürzenden Weise wiedergegeben, die seiner Darstellung nicht gerecht werde, auch von anderen Teilnehmern eine solche Idee nicht wahrgenommen zu haben. Er monierte auch, dass „Correctiv“ seine Klarstellung in der Antwort ignoriert habe. Vosgerau hatte erklärt, dass eine Repatriierung oder Ausbürgerung von Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit „rechtlich normalerweise auch gar nicht möglich“ sei.
Das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg sah zwar in der Darstellung von „Correctiv“ ebenfalls eine Verkürzung der entlastenden Antwort des Juristen. Im Wege der Abwägung ging das Gericht jedoch nicht davon aus, dass dadurch beim Leser ein erheblich abweichendes Verständnis hervorgerufen werden könne.
Briefwahl-Bedenken von Vosgerau als Herabwürdigung wahrnehmbar?
Der zweite Komplex, bei dem das Gericht einen Unterlassungsanspruch Vosgeraus verneint hat, bezieht sich auf dessen Illustration hinsichtlich der Problematik der geheimen Wahl bei Briefwahlen. Er hatte „Correctiv“ zufolge „Bedenken in Bezug auf junge WählerInnen türkischer Herkunft, die sich keine unabhängige Meinung bilden könnten“, geäußert. Auf Fragen von „Correctiv“ habe er diesen Satz später bestätigt.
Vosgerau insinuierte, das Portal habe ihm damit unterstellt, türkeistämmigen Mitbürgerinnen generell die Fähigkeit abzusprechen, sich ihre eigene politische Meinung zu bilden. Tatsächlich hatte er wohl die Problematik angesprochen, dass die deutsche Briefwahl ein Ausfüllen des Stimmzettels am Küchentisch ermöglicht – und damit auch das Risiko eröffnet, dass Unbeteiligte dabei anwesend sind und versuchen, die Entscheidung zu beeinflussen.
Warum Vosgerau ausgerechnet eine junge türkische Mitbürgerin heranzieht, um ein allgemeines Problem im Kontext der Briefwahl zu illustrieren, bleibt ungeklärt. Das Hanseatische OLG sah es nicht als hinreichend wahrscheinlich an, dass Leser aus den wiedergegebenen Ausführungen etwas anderes als die Problematik des Wahlgeheimnisses herauslesen würden. Deshalb bleibt die Darstellung zulässig.
„Correctiv“ bezüglich des Kerns der Berichterstattung „nicht zurückgerudert“
Beide Seiten sehen sich unterdessen als Sieger des Rechtsstreits. Vosgerau konnte sich erfolgreich gegen eine Darstellung wehren, die geeignet gewesen wäre, seinen Ruf als Jurist zu unterminieren. Sein Anwalt Brennecke sieht zudem die „manipulativen Methoden“ des „Systems Correctiv“ bei der Berichterstattung entlarvt. Dazu gehöre es, „entlastende Aussagen von Protagonisten gezielt zu beschneiden und zu verkürzen“.
„Correctiv“ sieht in dem Verfahren zwar lediglich einen Nebenaspekt seiner Recherche als berührt. Dennoch hält man es für bemerkenswert, dass das Gericht an einer Stelle seiner Begründung einen Sachverhalt ansprach, der ein Parallelverfahren betrifft. Es geht dabei um die Frage, ob und inwieweit das Portal bezüglich einer seiner Kernaussagen „zurückgerudert“ sei, die das Treffen anbelangte.
Diesbezüglich bleibt „Correctiv“ bei der Darstellung, Sellner habe die „ethnische Wahl“ problematisiert und über Wege zur „Remigration“ von mehreren Gruppen gesprochen. Dabei sei es auch um „nicht hinreichend assimilierte“ Staatsbürger gegangen. Video- oder Tonaufnahmen von dem Treffen gibt es jedoch nicht.
„Correctiv“ ersetzte in seinem Bericht jedoch den Begriff „Deportation“ durch „Vertreibung“. Außerdem hieß es in einem Schriftsatz explizit, die Teilnehmer des Treffens hätten nicht darüber gesprochen, wie man deutsche Staatsangehörige auf der Grundlage geltenden Rechts aus dem Land drängen könne.
#Correctiv gewinnt in zwei Verfahren vor dem OLG Hamburg. Bemerkenswert, dass das Gericht sich veranlasst sieht, bei der Gelegenheit klarzustellen, dass Correctiv gerade nicht zurückgerudert sei, wie es die Teilnehmer-Anwälte ständig hier behaupten. Einordnung im Video. pic.twitter.com/ZbdW3yMGf3
— Chan-jo Jun 🇺🇦 (@Anwalt_Jun) March 28, 2024
Die Berichterstattung über das Treffen, an dem neben Sellner unter anderem auch AfD-Funktionäre teilgenommen hatten, schlug in Deutschland und darüber hinaus hohe Wellen. Unter anderem hatte sie Massendemonstrationen gegen Rechtsextremismus und gegen die AfD in vielen deutschen Städten ausgelöst.
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion