Vorwürfe gegen Lauterbach: Eli Lilly „durch ein maßgeschneidertes Gesetz nach Alzey geholt“
Hat sich der US-Konzern Eli Lilly aufgrund einer vorausschauenden Gesetzgebungsinitiative unter Federführung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach für den Bau eines Werks im rheinhessischen Alzey entschieden? Oder hat Lauterbach auf Zuruf ein maßgeschneidertes Gesetz initiiert, damit Eli Lilly dort baut? Bereits zum Zeitpunkt des Beschlusses des Medizinforschungsgesetzes (MFG) hatte es Spekulationen über Lobbyarbeit gegeben. Nun sehen Kritiker die Vorwürfe erhärtet.
Lauterbach kündigte vertrauliche Erstattungsbeträge in Presseerklärung an
Am 13. Dezember des Vorjahres hatte die Bundesregierung ein Strategiepapier vorgelegt. Dieses trug den Titel „Verbesserung der Rahmenbedingungen für den Pharmabereich in Deutschland“. Es solle die Position Deutschlands als Produktionsstandort in diesem Segment stärken. „Klinische Prüfungen und das Zulassungsverfahren von Arzneimitteln und Medizinprodukten sollen vereinfacht, entbürokratisiert und beschleunigt werden“, heißt es auf der Website des Bundestags.
Bereits zum damaligen Zeitpunkt teilte die Bundesregierung die wichtigsten Elemente des Vorhabens in einer Presseerklärung mit. Ein Punkt, der schon damals ins Auge stach, lautete:
„Pharmazeutische Unternehmer erhalten die Möglichkeit, vertrauliche Erstattungsbeträge bei neuen Arzneimitteln zu vereinbaren.“
Schon damals argwöhnten Kritiker, es könnten bereits konkrete Pharmakonzerne Lobbyarbeit geleistet haben, um das Ampelkabinett von dieser Konstruktion zu „überzeugen“. Demgegenüber verwies Minister Lauterbach während der gesamten Dauer der Debatte auf Länder, in denen dies gefestigte Praxis sei.
Dazu gehören unter anderem die USA, die Schweiz und Großbritannien – alle sind als erstrangige Pharmastandorte bekannt. Deutschland gleiche mit einer solchen Neuregelung einen Standortnachteil aus – in der Praxis würden Pharmaunternehmen selten davon Gebrauch machen.
Im September 2023 gewünschte Rabattregelung zugesagt
Die „Süddeutsche Zeitung“, der NDR, der WDR und die Journalistengenossenschaft „Investigate Europe“ hatten bereits im Dezember 2023 dazu Akten angefordert. Erst verweigerte das Ministerium ihnen die Herausgabe ungeachtet des Informationsfreiheitsgesetzes. Mittels einer Klage gelang es dem Rechercheverbund jedoch, an die Dokumente zu gelangen.
Sie sehen darin Grund für ihre Einschätzung, das Medizinforschungsgesetz von Karl Lauterbach sei eine „Lex Lilly“ gewesen – bewusst auf die Interessen des Konzerns zugeschnitten. Im April 2024 erfolgte in Alzey in Anwesenheit Lauterbachs, der Ex-Ministerpräsidentin Malu Dreyer und von Bundeskanzler Olaf Scholz der Spatenstich zum neuen Werk des US-Konzerns.
Der Rechercheverbund präsentierte nun ein Dokument, das vom 13. September des Vorjahres datiert. Darin habe das Lauterbach-Ministerium dem Konzern mitgeteilt, dass man dem Wunsch nach vertraulichen Rabatten nachkommen wolle. Eli Lilly soll Monate zuvor erklärt haben, seine 2,3 Milliarden Euro teure Fabrik in Alzey zu bauen, wenn es diese Regelung gebe.
Wagenknecht fordert Rücktritt von Lauterbach
Nun bestreitet der Konzern, Druck ausgeübt zu haben. Die Entscheidung für den Standort sei bereits gefallen gewesen, als die Bundesregierung auf das MFG aufmerksam gemacht habe. Auffällig war, dass Lauterbach ursprünglich Gegner der vertraulichen Erstattungen war.
Noch 2023 verwies er auf Länder, die dieses Modell nicht übernommen hätten. Experten in seinem Ministerium hätten vor negativen Auswirkungen und Mehrkosten gewarnt. Spekuliert werde nun darüber, ob Bundeskanzler Scholz auf Lauterbach eingewirkt haben könnte. Er und sein Staatssekretär Jörg Kukies hätten persönlich mit Eli-Lilly-CEO Dave Ricks gesprochen.
BSW-Chefin Sahra Wagenknecht sprach gegenüber „Focus online“ von einem „himmelschreienden Skandal“. Sie forderte den Rücktritt des Ministers und warf der Koalition vor, Lobbyisten zu bevorzugen:
„Interessen eines US-Pharmariesen sind der Ampel offenbar wichtiger als die Interessen der eigenen Bürger.“
Eli Lilly trug immer noch parlamentarisches Abänderungsrisiko
Der Gesetzgebungsprozess zum MFG war allerdings erst im Juli 2024 beendet. Eli Lilly hätte immer noch das Risiko gehabt, dass der Lauterbach-Entwurf im parlamentarischen Prozess zuungunsten des Konzerns abgeändert würde. Allerdings hatte es, wie der Minister betonte, „selbst aus der Opposition kaum Kritik“ gegeben. Von Seite der Krankenkassen war die Kritik dafür teilweise sehr scharf. Dort befürchtete man unter anderem, dass Intransparenz bezüglich der Preise keinen Versorgungsgewinn für die Patienten mit sich bringe. Stattdessen schaffe sie zusätzlichen bürokratischen Aufwand bei der Abrechnung.
Eine Sprecherin des GKV-Spitzenverbandes warnte in der Anhörung, die Regelung könnte in einem Zeitraum von zehn Jahren Zusatzkosten in Höhe von bis zu 33 Milliarden Euro verursachen. Zusatzkosten ab einer Höhe von 1,5 Milliarden Euro seien beitragssatzrelevant.
Neben Lilly haben auch schon Roche und Daiichi Sankyō eine Milliarde Euro oder mehr in Deutschland investiert. Merck kündigte Lauterbach zufolge eine Investition von mehreren hundert Millionen Euro an.
Vertrauliche Preise können den Pharmastandort Deutschland stärken, da bei erstmalig in Verkehr gebrachten Arzneimitteln die vertraulichen Rabatte höher ausfallen können als die öffentlich sichtbaren. Andere Länder kennen den wahren Preis nicht als Referenz und können nicht nachziehen.
Die Möglichkeit, vertrauliche Preise zu vereinbaren, kann Unternehmen ermöglichen, mehr in die Forschung und Entwicklung neuer Medikamente zu investieren. Zudem ist man in den Preisverhandlungen mit den Versicherungen flexibler.
Spitzenverband der GKV befürchtet erhebliche Mehrkosten
Allerdings führen vertrauliche Erstattungspreise auch zu weniger Transparenz im Gesundheitssystem. Die Preisverhandlungen können langwieriger und komplizierter sein und Markteinführungen neuer Medikamente verzögern.
Außerdem befürchten die GKV erhebliche Kosten und machen dies an eigenen Studien und Berechnungen fest. Deren Spitzenverband erwartet Mehrkosten von bis zu 840 Millionen Euro im ersten Jahr, sollten die Pharmakonzerne auch nur in zehn Prozent der Fälle von neuen Medikamenten von der Option Gebrauch machen. Innerhalb von zehn Jahren könne sich der Betrag auf bis zu acht Milliarden Euro summieren.
Die zwischen Eli Lilly und der GKV ausgehandelten Erstattungspreise von neuen Wirkstoffen sind aufgrund des Gesetzes nicht mehr öffentlich zu machen. Die Hersteller können zunächst sechs Monate lang den Preis für ihr Präparat frei wählen. Danach greifen die Erstattungsbeträge. Erst im Anschluss müssen sie die Differenz zum tatsächlichen Abgabepreis abzüglich Handelsabschläge und Umsatzsteuer ausgleichen. Die GKV geht derweil in Vorleistung.
Wie funktioniert das System der Erstattung und wer profitiert von vertraulichen Erstattungsbeträgen?
Im Erstattungsprozess wird das neue Arzneimittel durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) einer Nutzenbewertung unterzogen. Auf der Grundlage des dort erzielten Ergebnisses verhandeln die Hersteller mit dem Spitzenverband der GKV den Erstattungsbetrag, den die Krankenkassen für das Medikament bezahlen. Diese Verhandlungen sind vertraulich, um die Preise nicht öffentlich bekannt zu machen.
Sobald eine Einigung erzielt wurde, wird in den gegenständlichen Fällen der Erstattungsbetrag festgelegt und bleibt vertraulich. Dies ermöglicht es den Herstellern, in unterschiedlichen Ländern flexible Preisstrategien zu verfolgen, da bei vertraulichen Erstattungsbeträgen die Preise nicht als Referenz für andere Länder dienen können. Die Möglichkeit vertraulicher Erstattungsbeträge ist lediglich für Arzneimittel eine Option, die erstmalig auf den Markt kommen.
Vertrauliche Erstattungsbeträge bedeuten, dass auf Verlangen eines pharmazeutischen Unternehmens auf eine Meldung des mit dem Spitzenverband der GKV verhandelten Erstattungsbetrages an die allgemein verwendeten Verzeichnisse (Lauer-Taxe) verzichtet wird. Damit wird der Erstattungsbetrag für ein Arzneimittel nicht öffentlich zugänglich.
Dies soll nach dem Willen des Gesetzgebers mehr Verhandlungsspielraum ermöglichen, weil die globalen Effekte des öffentlich sichtbaren Preises in Deutschland durch die internationale Preisreferenzierung wegfallen würden. Dies schafft mehr Verhandlungsspielraum für die Hersteller, insbesondere bezüglich der Höhe der Rabatte, zu denen sie Arzneimittel anbieten können. Für Hersteller hat das System den Vorteil, dass sie ein neues Arzneimittel schneller auf dem Markt verankern können, Patienten können schneller an innovative Produkte kommen.
Nur in wenigen Fällen für Hersteller relevant
Am Ende sind die pharmazeutischen Unternehmen verpflichtet, die Differenz zwischen dem tatsächlich gezahlten rabattierten Abgabepreis und dem vereinbarten oder festgesetzten vertraulichen Erstattungsbetrag auszugleichen. Dies muss innerhalb von zehn Tagen nach Geltendmachung des Anspruchs durch die Krankenkassen erfolgen – einschließlich der angefallenen Zuschläge nach Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) und der Mehrwertsteuer. Bis dahin stellt die zu entrichtende Differenzsumme für die Hersteller de facto ein zinsloses Darlehen dar. Noch bedeutsamer sind aber die Vorteile im internationalen Wettbewerb aufgrund der nicht vorhandenen Transparenz und die Rabattierung, die den Marktzutritt erleichtert.
Der Verband forschender Arzneimittelhersteller (vfa) sieht deshalb die Vertraulichkeit der Erstattungsbeträge nur in wenigen Fällen als relevant an. Im Grunde bringe er den Pharmaunternehmen nur dort Vorteile, wo eine internationale Preisreferenzierung die Verfügbarkeit innovativer Arzneimittel in Deutschland massiv gefährden würde.
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