Vorgeburtlicher DNA-Test: Familie mit Down-Syndrom-Kind findet die Debatte „zynisch“

Die aktuelle Debatte über eine mögliche Kostenübernahme von Blut- bzw. DNA-Tests zur Diagnose von Trisomien durch die Krankenkassen bewertet ein betroffenes Ehepaar als höchst problematisch, ja sogar zynisch. Sie schildern ihre eigenen Erfahrungen.
Epoch Times11. April 2019

Gemeinsam mit ihrer Schwester und ihrem Bruder buddelt, rutscht und schaukelt Judith auf dem Spielplatz im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, was das Zeug hält. Ihre Eltern sind entspannt, denn die größeren Geschwister sind am Dienstagnachmittag mit dabei und beschäftigen sich mit der Zweijährigen. Es ist eine alltägliche Situation, so wie sich die Wistubas als ganz normale Familie sehen, deren jüngstes Mitglied eben das Down-Syndrom hat.

Diese Diagnose haben Bettina und Clemens Wistuba bereits vor der Geburt ihrer Tochter erhalten. Die dazugehörige Feindiagnostik hatte die heute 41-jährige Mutter eigentlich in Anspruch genommen, um die Voraussetzungen für eine außerklinische Geburt abzuklären. Was dann aber mit der Ankündigung einherging, das Kind in ihrem Bauch könnte eines mit Trisomie 21 sein, schockierte die Eltern nachhaltig.

Sie hätte erfahren, was ein Teil der Gesellschaft über solche Menschen denke, und das sei offenbar ein eher negativ geprägtes Bild, erzählt Bettina Wistuba Reuters TV. „Die Aussage war, es gibt nicht viel Gutes über Ihr Kind zu sagen: Kinder mit Trisomie 21 sind stur, sie sind nicht lernfähig, sie zerstören das Leben von uns als Eltern, sie zerstören das Leben ihrer Geschwister. Und man legte uns sehr nahe, dieses Kind nicht zu bekommen, was unsere Tochter ist.

Und wir sind da mit Hoffnung hingegangen, wir haben uns auf das Kind gefreut. Und dann steht man sozusagen so einem Widerspruch gegenüber, und man sagt, bekommen Sie Ihre Tochter nicht. Und das war sehr hart, und das war eine schwere Zeit tatsächlich.“

Eltern haben sich für das Kind entschieden

Die Eltern entschieden sich dennoch für ihr drittes Kind. In den ersten eineinhalb Jahren sei Judiths Herzfehler das große Gesundheitsthema gewesen, häufig eine Begleiterscheinung des Down-Syndroms. Die Aufenthalte im Krankenhaus hätten an die essenziellen Fragen des Lebens gerührt und seien an die Substanz der Familie gegangen, beschreibt die Mutter die Zeit nach Judiths Geburt.

So negativ die Wistubas die Beratungsrichtung im Anschluss an die Diagnose empfanden, so abweichend davon stellte sich die Situation dar, nachdem das Baby auf der Welt war, so der Vater über die damalige Situation. „Das ist ja das Kuriose, dass man Kinder, die behindert sind, versucht, irgendwie wegzuselektieren und zu sagen, ‚Oh, das ist ganz gefährlich, das macht ganz Böses mit Euch, und die Familie wird zerrüttet werden.

Und wenn denn das Kind da ist, wie als wenn es durch einen Wunder-Tunnel geht auf einmal, ja, ist alles da. Da lebt man, ja, ich weiß gar nicht, in einem Betreuungsschlüssel, der ist ja fantastisch, ja. Das ist ja unglaublich, was das Sozialsystem mit Eltern, die ein behindertes Kind haben, machen kann“, sagt der 41-jährige Angestellte.

Aktuelle Debatte „höchst problematisch“

Die aktuelle Debatte über eine mögliche Kostenübernahme von Bluttests zur Diagnose von Trisomien durch die Krankenkassen bewertet das Ehepaar als höchst problematisch, Bettina Wistuba nennt sie zynisch. Einerseits wolle man durch die nicht mehr invasive Testung das Risiko von Fehlgeburten reduzieren, damit die Kinder auf die Welt kommen könnten. „Gleichzeitig steht dem gegenüber, dass 95 Prozent aller Kinder, wo eine theoretische Trisomie 21 oder eine Trisomie 18, 13, vorliegt, abgetrieben werden.“

Somit würden dann künftig aufgrund der hohen Abbruchquote sicher mehr Schwangerschaften beendet. Womit sich gewissermaßen ein Kreis schließe, denn die hohe Zahl der Abtreibungen bei möglichen Down-Syndrom-Kindern hänge in ihren Augen wohl auch mit der „schrecklichen Beratung“ während und nach der Diagnose zusammen.

Zudem impliziere der Test als Kassenleistung, dass es normal werde, Kinder mit Behinderung als nicht erwünscht abzutreiben. Das findet die dreifache Mutter nicht hinnehmbar. Ihr Mann stellt sich darüber hinaus die Frage, was das in der Folge auch gesellschaftlich bedeute. Was wäre beispielsweise, wenn Tests den Pigmentierungsgrad ungeborener Kinder ermittelten, so sein Gedankenspiel. „Ist das Kind zu stark pigmentiert, wird es abgetrieben. Würden dann die Leute hier ruhig noch auf dem Spielplatz stehen? Ich weiß es nicht. Ich glaube, eher nicht“, meint Clemens Wistuba.

Unter dem Motto „Inklusion statt Selektion“ wollten am Mittwoch Vertreter von Gruppierungen und Betroffene „für die selbstverständliche Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen und gegen das vorgeburtliche Aussortieren nach genetischen Merkmalen“ demonstrieren, wie es auf der Internetseite des Veranstalters, des Vereins downsyndromberlin, hieß. Auch Bettina Wistuba wird daran teilnehmen.

Am Donnerstag findet im Bundestag eine Orientierungsdebatte zum Nutzen der nichtinvasiven, vorgeburtlichen Bluttests statt. Der auf zwei Stunden angesetzten Aussprache der Parlamentarier liegt keine Vorlage zugrunde. Am Montag beschäftigte sich bereits das CDU-Präsidium mit dem Thema. In der vergangenen Woche hatte eine FDP-Kampagne auf dem Kurznachrichtendienst Twitter Kritik auf sich gezogen. Dabei hatte die Partei mit dem Foto eines Kindes, das offenbar Trisomie 21 hat, für eine kostenlose Früherkennung geworben.

Judith Wistuba soll ab August einen Kindergarten besuchen. Ihre Eltern finden es in der Rückschau gut, die Trisomie-Diagnose bereits während der Schwangerschaft gekannt zu haben, auch zur behutsamen Vorbereitung der inzwischen sechs und acht Jahre alten Geschwister auf die neue Konstellation. Auf die Frage nach den konkreten Veränderungen durch eine Tochter mit Down-Syndrom sagt die Mutter, die Familie sei durch den gemeinsamen Erfahrungsprozess zusammengewachsen. Und der Vater fügt hinzu, Judiths Geburt habe „nichts Negatives mit sich gebracht, sondern eher nur etwas Positives: eben das dritte Kind.“ (reuters)



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